Jörg Weigand - Die Welten des Jörg Weigand

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Jörg Weigand (* 1940) ist promovierter Sinologe, Journalist und Autor. Er produzierte nicht nur eine fast unübersehbare Anzahl sekundärwissenschaftlicher Artikel, diverse Fachbücher – darunter das legendäre Pseudonym-Lexikon – und gab Dutzende von Anthologien heraus, sondern schrieb auch eine dreistellige Anzahl von Kurzgeschichten. In diesen reflektiert Weigand oft den jeweiligen Zeitgeist und greift brisante politische und gesellschaftliche Themen auf. Sehr nützlich waren ihm hier seine eigenen Erfahrungen als langjähriger Politjournalist und Reporter, aber auch als Reserveoffizier. Aus einer Idee kocht er die Essenz heraus, um diese dann oft auktorial, teils dokumentarisch beschreibend, niederzulegen; bisweilen geschieht das in einer beiläufigen Brutalität, die den Leser erst im Nachhinein oder beim nochmaligen Lesen schockiert.
In diesem Band werden seine besten phantastischen Geschichten zusammengefasst.

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Frank G. Gerigk (Hrsg.)

Die Welten des Jörg Weigand

Die Welten der SF 2

Frank G. Gerigk (Hrsg.)

DIE WELTEN DES JÖRG WEIGAND

Die Welten der SF 2

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© dieser Ausgabe: Dezember 2020

p. machinery Michael Haitel

Titelbild: Rainer Schorm

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel

Herstellung: Schaltungsdienst Lange oHG, Berlin

Verlag: p. machinery Michael Haitel

Norderweg 31, 25887 Winnert

www. p machinery.de

für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 222 5

ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 874 6

Frank G. Gerigk: Vorwort

Bestürzt holte ich Atem! Was war geschehen? – Eine kleine Blume, aus Versehen auf einen frischen Kolonialplaneten geschmuggelt, bedeutete dessen Untergang! Ein zarter Blumenstrauß, vor Wut in den Boden getrampelt, war das beinahe intime Zeichen für eine weltumspannende, kaum zu überschätzende Tragödie, die sich da abzeichnete. Diese war dort, wo andere Autoren endlos fabuliert hätten, in nur sechs Seiten komprimiert dargestellt in einer Kurzgeschichte von Jörg Weigand.

Das las ich erstmals in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts; tief hat sich diese Geschichte in mein Gedächtnis eingegraben. Und immer wieder stieß ich seither auf solche Geschichten, und immer wieder waren sie von Jörg Weigand.

Seine Protagonisten sind nie die typischen Helden, sondern hadern mit ihrem Schicksal – überwiegend in Form von eindringlichen, oftmals fantastischen, vielfach schicksalshaften Begegnungen. So fällt es auch leicht, Weigand in die Fantastik einzuordnen. Er ist also kein typischer Autor der Science-Fiction; im Gegenteil gründen seine Geschichten in europäischen Genres, die um Jahrhunderte älter sind. Zusätzlich bedient er sich gerne aus dem Fundus der Fabeln und der fernöstlichen Mystik. Diese entkernt und renoviert er und versieht sie mit einem neuzeitlichen Gewand.

Weigand schreibt zeit- und genreüblich meist für männliche Leser: Die Protagonisten sind fast ausschließlich männlich, ebenso die Vorgesetzten und Kollegen. Frauen spielen entweder Nebenrollen oder sind mit den klassischen Figurenvarianten der Verführerin, der Hexe, der Stichwortgeberin usw. besetzt.

Weigands Geschichten sind meist umso kürzer, je älter sie sind – sieht man von den Kürzestgeschichten für die »Phantastischen Miniaturen« ab, die von Thomas Le Blanc für die Phantastische Bibliothek Wetzlar herausgegeben werden. Aus einer Idee kocht er die Essenz heraus, um diese dann oft auktorial, überwiegend nüchtern, teils dokumentarisch beschreibend, niederzulegen; bisweilen geschieht das in einer beiläufigen Brutalität, die den Leser erst im Nachhinein oder beim nochmaligen Lesen schockiert. Dies markiert Weigand auch als Autor des Realismus’ – scheinbar im Gegensatz zu seinen gewählten Genres, in denen es doch oft um genau den Bruch mit der Realität geht. In seinen späteren Geschichten mehren sich jene Elemente, die die einst eher beispielhaften Protagonisten individueller verorten, und charakterisieren bis hin zu schmückenden Erläuterungen, vor allem, wenn er für andere Herausgeberschaften schreibt als seine eigenen. Erst in seinem Spätwerk geht er zu Romanen über, in dem auch Frauen die Hauptrollen spielen – doch das ist ein Thema für außerhalb dieses Buches.

Die Plots entwickeln sich stringent, unverwickelt und geradlinig auf einen einzigen Höhepunkt zu.

Mehrfach reflektiert Weigand den jeweiligen Zeitgeist und greift brisante politische und gesellschaftliche Themen auf: Terrorismus, das Gefälle von Arm und Reich in den Entwicklungsländern, die Angst vor der Atombombe während des Kalten Kriegs, Militarismus, Bürokratismus, die Unterdrückung der Freiheit, Absolutismus in Diktaturen u. a. Sehr nützlich waren ihm hier seine eigenen Erfahrungen als langjähriger Politjournalist und Reporter, aber auch als Reserveoffizier.

Die Geschichten sind hauptsächlich in der Jetztzeit oder der nahen Zukunft angesiedelt, die für uns Leser inzwischen teilweise schon zur Vergangenheit geworden ist. Sie wurden absichtlich nicht dem heutigen Datum angepasst, sondern als Zeitdokumente im Original belassen. Zur besseren Einordnung der Werke wurden diese nicht nur in chronologischer Reihenfolge geordnet, sondern jedem sein Entstehungsjahr vorangesetzt. Lediglich die Schreibweisen nach der Rechtschreibreform wurden angepasst.

In dieser Reihe wollen der Verleger und ich herausragende deutschsprachige Autoren der Fantastik vorstellen und dabei Erzählungen präsentieren, die es wert sind, immer noch einmal gelesen zu werden.

Dass Jörg Weigand sehr früh hier vorgestellt wird, ist insofern geradezu zwingend. Wir freuen uns, dass er für dieses Buch zugesagt hat.

Schwierig war es, aus seinem breiten Fundus die besten und beispielhaftesten Geschichten herauszusuchen. Die Auswahl seitens des Herausgebers erfolgte unzweifelhaft etwas subjektiv; der Weigand-kundige Leser möge dies mit Nachsicht betrachten.

Das Geheimnis der Hakka (1973)

Bericht des Missionars Jens Lindgreen:

»Es ist uns aber zu Ohren gekommen, dass in den Hakka-Bergen ein recht kurioses Volk lebt. Dem Vernehmen nach kennen diese in Abgeschlossenheit lebenden Menschen ein Mittel zur Erlangung längeren Lebens. Sie züchten eine besondere Art von Affen, deren Hirn sie in mystischen Zeremonien bei lebendem Zustand der Tiere verzehren. Es wird dazu ein Trank gereicht, der besondere Kräfte wecken soll. Wie wir aus zuverlässiger Quelle erfuhren, sollen in jenen Bergen überaus zahlreiche Hundertjährige und Ältere leben.«

(Aus: Annalen des Museums für Völkerkunde, Stockholm 1898)

Mehrere Tage waren sie nun schon unterwegs. Pieter van Delden fühlte sich ausgelaugt und erschöpft. Zuerst das risikoreiche, nächtliche Überschreiten der Grenze zur Volksrepublik China und dann dieses mühsame Sichvorwärtsquälen durch fast unwegsames Gelände.

Der Holländer war Fußmärsche einfach nicht gewöhnt. Huang Pao-li dagegen, seinem chinesischen Begleiter und Führer, war noch keinerlei Müdigkeit anzumerken; im Gegenteil, je mehr sie vordrangen, desto beschwingter schien er vorwärtszustreben. Sein Schritt blieb gleichmäßig federnd und seine Stimmung ungebrochen gut. Van Delden beneidete ihn um diese Kondition. Keuchend zog er ein bereits feuchtes Tuch aus der Tasche und wischte sich die schweißüberströmte Stirn. Wenn nur die Sonne nicht so heiß brennen würde!

Angefangen hatte das Abenteuer in Hongkong. In diesem brodelnden Schmelztopf Südostasiens ist kein Verbrechen unbekannt, kann der Europäer sicher sein, für jedes seiner Laster Befriedigung und für alle ausgefallenen Ideen Verständnis zu finden. Daher hatte sich auch Pieter van Delden eines Tages hier eingefunden, voll Hoffnung auf die Erfüllung seines großen Traumes, dem er bereits sein halbes Leben lang nachjagte.

In einer relativ neuen, nichtsdestoweniger aber bereits arg verräucherten Kneipe, ganz in der Nähe des Dschunkenhafens, war er auf Huang Pao-li gestoßen. Reiner Zufall, dass sie am Tresen zusammenfanden. Huang verströmte Zuverlässigkeit, seine braunen Augen schufen Vertrauen und seine gedrungene Gestalt verhieß Sicherheit.

Der bereits stark angesäuselte van Delden war rasch mit dem Chinesen ins Gespräch gekommen und hatte sich innerhalb einer Stunde dem ihm bis dahin völlig Unbekannten in einem Anfall von Schutzbedürfnis anvertraut.

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