Die Queen of Pain wandte sich mit einem Schnaufen an Daniela. »Kennst du den Typen?«
Die Sklavin schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich, er ist mir nur ein paar Mal auf der Straße hinterhergelaufen.«
Nora zog scharf Luft in ihre Nase. »Mensch, Mädchen, lass dich ja nicht mit diesem Kerl ein. Seine Sorte ist aus grobem Holz, respektlos und gefährlich. Außerdem braucht er eine Dusche und ordentliche Kleidung.«
Daniela zuckte mit den Achseln. Ralle hatte für ihren Geschmack nicht schlecht gerochen – ein bisschen würzig vielleicht, aber das mochte sie.
Die Studiochefin schaute Daniela mit Argwohn an. »Dein Gesicht sieht merkwürdig aus. Ist da sonst noch etwas, das ich wissen sollte?«
»Nö.« Die namenlose Sklavin griff sich schuldbewusst an die Nase. Es knirschte, als ob ihr ein Zahn aus dem Kiefer gezogen würde, und tat höllisch weh. Ohne das Camouflage-Make-up würde ihre Haut von der Nase bis unter die Augen blau leuchten.
Die Queen of Pain zeigte ihr Wer’s-glaubt-wird-selig-Gesicht, sagte aber nur: »Dann ist es ja gut.«
DANIELA ließ sich im Aufenthaltsraum mit einem Stöhnen neben Paula auf das Sofa fallen. »Zimtzicke!«
Jazz umarmte sie. »Der Blitz soll die Alte beim Scheißen treffen!«
Daniela kicherte und klammerte sich an die Freundin, als würde sie jeden Augenblick ertrinken. Dann löste sie sich mit einem Ruck. »Ich hatte kein Bock auf August Schenker.« Daniela blickte in Richtung Zimmerdecke.
Felicitas verzog die Mundwinkel. »Das verstehe ich. Der Mann ist ein Vollarsch.«
Jazz kratzte sich am Handgelenk. »Aber so was von.«
Daniela nickte. »Ein echter Kotzbrocken. Das letzte Mal hat er sich nicht an die Absprachen gehalten, die wir vor der Session getroffen haben. Der Typ macht mir Angst.«
Felicitas runzelte die Stirn. »Hast du das Nora erzählt?«
Daniela zuckte mit den Schultern. »Bis jetzt noch nicht.«
Felicitas schnaubte. »Das würde ich aber an deiner Stelle so schnell wie möglich tun.«
Statt einer Antwort fischte die namenlose Sklavin einen DIN-4-Block aus ihrem Rucksack, klappte ihn auf, legte ihn auf die Knie. In die linke obere Ecke zeichnete Daniela mit einem Bleistiftstummel ein Gesicht, grub tiefe Falten in die Stirn, zog Mundwinkel nach unten und zauberte einen Blick, der den Betrachter zurückweichen ließ. Daneben brachte sie mit präzisen Strichen zwei Figuren auf das Papier. Daniela knallte das Blatt auf den Tisch, lehnte sich mit einem Aufatmen gegen den Sofarücken.
Jazz gluckste vor Vergnügen. »Krasse Karikatur! Die Queen of Pain knutscht August Schenker den Hintern. Sieht aus wie von Zille.«
Daniela war froh darüber, dass die Freundin sich nicht über ihr außergewöhnlich dickes Make-up wunderte. Die verschmähte Sklavin schämte sich für ihr Versagen bei Dark Raven . Sie wollte nicht an ihn denken; wollte verhindern, dass Jazz und vor allem die so verdammt selbstsichere Lady Caprice von ihrer Schmach erfuhren; wollte die Leere, die sich in ihr ausbreitete, mit etwas Banalem füllen. Daniela plapperte los. »Ich war bei Old Henry in der Ausstellung. Der hat in seiner Zeit die Armut im Wedding gezeichnet. Aber die heutigen Kunstfuzzis preisen Zilles Werke als Karikaturen.« Danielas Hände flatterten. Sie tippte sich an die Stirn.
Jazz nickte. »Thema verfehlt. Seine Bilder waren sozialkritische Studien. Heinrich hätte abgekotzt.« Sie schob der Freundin einen Becher mit frisch gebrühter Pfefferminze hin.
Daniela registrierte den erstaunten Blick, den Lady Caprice der Switcherin zuwarf. Tja, Paula ist nicht so unterbelichtet, wie ihr alle denkt .
Jetzt tastete die Domina mit ihrem Blick Danielas Gesicht wie mit einem Scanner ab und unterbrach das Kauen. »Irgendetwas stimmt nicht mit deiner Nase.«
Das Lächeln der namenlosen Sklavin gefror. Verdammt, sie fühlte sich unwohl unter diesen Augen, von denen sie das Gefühl hatte, sie könnten tief in ihre Seele blicken. Daniela sah nicht die Besorgnis, die sich auf dem Gesicht der Lady spiegelte. »Wieso?«
»Sie ist so schief wie der Turm von Pisa.«
Jazz schaute zur ihr herüber. »Mensch, jetzt, wo du es sagst … Sieht übel aus!«
Daniela hob beide Hände vor das Gesicht.
Felicitas blinzelte. »Komm schon, ’raus damit. Wer war das?«
Daniela hustete und schwieg. Sie spürte Paulas Hand auf ihrem Knie. »Hey, uns kannst du es doch sagen.«
Die Sklavin schniefte, presste endlich den Namen heraus: »Gabriel.« Der Schmerz über den Verlust saß in ihren Eingeweiden.
Im Augenwinkel registrierte die Ex-Gespielin Dark Ravens erstaunt, wie Jazz zusammenzuckte, als hätte sie ein Peitschenhieb getroffen. »Was hast du?«
Die Switcherin zog die Hand von Danielas Knie, blickte zur Seite, kratzte sich an der Haut unter ihren Armstulpen. »Nichts. Wieso?«
Daniela schaute die Freundin von oben bis unten an. Da stimmt doch etwas nicht! Warum ist sie nervös? Ein vager Verdacht bohrte sich wie ein Stachel in ihren Schädel. Nein. Unmöglich .
Felicitas nickte, als wäre der göttliche Dark Raven kein Neuland für sie. Neid überflutete Daniela. Natürlich, Lady Caprice – das Dominawunder! Kein Mann konnte sie aus der Ruhe bringen. Aber auch diese Dame war nicht ohne Schwäche. Daniela hatte die Kollegin ein paar Mal mit Absicht in der Umkleide überrascht. Ein Mörderspaß . Die Sklavin kannte niemanden, der dermaßen prüde war. In ihrem Inneren frohlockte sie. Strafe muss sein!
Felicitas seufzte. »Warum wirfst du dich weg?«
Das Mitgefühl der Domina überraschte Daniela. Sie senkte den Kopf, strich sich verschämt über die Stirn. »No pain, no gain.« Tränen rollten über ihre Wangen. »Ist sowieso vorbei. Er hat mich in den Wind geschossen.«
Felicitas legte die Stäbchen beiseite. »Wirklich?«
Stockend erzählte die namenlose Sklavin von der Session im Verlies, vom nächtlichen Treffen in Gabriels Haus.
Am Ende des Berichts weiteten sich die Pupillen der Domina. » Dark Raven hat geheult?!«
Daniela schluchzte. »Was habe ich falsch gemacht? Warum hat er mich verstoßen? Ich versteh das nicht.«
Felicitas’ Mund stand immer noch offen. Sie nahm ihre Füße vom Hocker. »Ich schon.«
Jazz runzelte die Stirn. »Wie jetzt?«
Verwundert entdeckte Daniela Anzeichen von Erregung auf Felicitas’ Gesicht. Der Puls pochte am Hals der Domina. »Dieser Typ sieht sich selbst als die personifizierte Allmacht.«
Ein neuer Tränenstrom lief über Danielas Wangen. »Ja, und? Der Dunkle Rabe ist ein Sadogott .«
Die Brauen der Domina zogen sich finster zusammen. »Bullshit! Er ist ein Mann aus Fleisch und Blut, den du beim Flennen erwischt hast. Seine Lordschaft hat das Gesicht verloren. Dafür lässt er dich büßen. Du hast Glück, dass er dich nicht abgemurkst hat.«
Die Ex-Gespielin des Gabriel von Regenstein schluckte. Dieser ungeheuerlichen Logik konnte sie nur langsam folgen. Wort für Wort sickerte in ihr Bewusstsein. Alles nur Show. Dark Raven , der göttliche Gentleman-Sado, hatte verwundbar wie ein devoter Dummkopf in ihren Armen gelegen. Der angeblich schärfste Sadist der Stadt ist in Wirklichkeit eine Memme, ein Abziehbild, Lord Münchhausen . Die Erkenntnis erschütterte die namenlose Sklavin. Daniela schaute verwirrt zu Jazz hinüber.
Der Mund der Freundin zuckte verächtlich. »Felicitas, woher willst du denn wissen, wie Gabriel tickt?«
Die Domina hob die Schultern und widmete sich ihrem letzten Sushistück.
Zickenkrieg , dachte die namenlose Sklavin irritiert. Keine von beiden kennt Gabriel so wie ich . Trotzdem hatte er sie getäuscht. Daniela stieg die Schamesröte ins Gesicht. Himmel, bin ich blöd! Wertlos. Abschaum .
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