Kairo, Ägypten, Sommer 1965
Von Godfrey mit einer Namensliste ausgerüstet, flog ich nach Ägypten und bezog eines der Chalets im Garten des Omar-Khayyam-Hotels. Als erstes traf ich den Herausgeber einer großen Tageszeitung, der mir gleich Muhammad Sid Ahmad zuteilte, einen blassen, eher schüchternen Mann mit Brille, der Termine für mich arrangieren sollte; Muhammad hatte gerade erst als Volontär bei der Zeitung angefangen. Besonders gern wollte Godfrey Kamal el-Din Rifaat als Autor gewinnen, einen ehemaligen General und damals in der Arabischen Sozialistischen Union für die Abteilung Information verantwortlich. Muhammad schlug vor, mich ägyptischen Intellektuellen und Journalisten vorzustellen und lud mich zum Abendessen ein.
Vorsichtig fuhr er durch den Kairoer Verkehr nach Gizeh, auf eine schmale unbefestigte Wüstenstraße und zu einem Restaurant mit einer großartigen Aussicht auf die Pyramiden. »Heute gehe ich zum ersten Mal seit meiner Ausgangssperre aus«, sagte er und erzählte, dass er ein paar Monate zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden sei. Er war als Jugendlicher Kommunist gewesen, bekehrt durch Mitschüler und Lehrer an seinem Gymnasium, und hatte sich einer kommunistischen Geheimzelle angeschlossen, doch sein Vater hatte ihn ins Ausland geschickt, in der Erwartung, dass Muhammad die Vergnügungen von Paris den Verschwörungen von Kairo vorzöge.
Doch stattdessen, so erzählte mir Muhammad beim Abendessen, im Hintergrund hallte und flackerte die Lichtershow, sei er in sein Heimatland zurückgekehrt und habe eine Weile im Untergrund gelebt, in einer Zelle unter der Führung einer Französin namens Odette Hazan, bis die Mitglieder seines Zweigs der geteilten Partei verhaftet worden seien. »Nach der Zeit im Untergrund unter Odettes Befehl war das Gefängnis eine Erleichterung.« Seine erste Haftzeit war vorbei, kurz nachdem das Komitee der Freien Offiziere 1952 den König gestürzt und 1954 Nasser an die Macht gebracht hatte. 1959 sei er in der Wüste zusammen mit einer Reihe von Kommunisten und anderen Dissidenten erneut verhaftet worden und 1964 entlassen. »Das Gefängnis war eine Universität. Dort gab es Intellektuelle, die zu allen möglichen Themen lehrten. Das war gut für uns.« Während dieser Zeit hätten Muhammad und seine Kameraden die Sicht der Partei auf die Revolution überdacht und allmählich Ägyptens neue Ordnung akzeptiert – bis deren allmählicher Verfall, wie er mir 2002 schrieb, darin kulminiert habe, dass Nassers Nachfolger Anwar Sadat 1978 Jerusalem besuchte.
Muhammad gehörte zur ottomanischen Oberschicht, die einst Ägypten beherrschte. Sein Vater, ein Pascha unter dem König, Gouverneur von Port Said und Suez sowie Parlamentsabgeordneter, habe die politische Berufung seines Sohnes nicht verstanden. Später schrieb Muhammad, sein Vater habe aus Angst um das Leben seines Sohns dafür gesorgt, dass dessen erster Gefängnisaufenthalt verlängert worden sei. Muhammads Vater starb 1955, verbittert durch den Verlust ausgedehnter Ländereien durch die Reformen der Regierung Nasser.
Muhammads Mutter, Schwester des ehemaligen Premierministers Sidki Pasha, war eine Grande Dame. Ich traf sie zum Tee in der Wohnung der Familie in der Ibn-Zanki-Straße in Zamalek. Das Wohnzimmer war voller eleganter französischer Möbel, über die André Philip, ehemaliger Minister und stellvertretender Parteivorsitzender der französischen Sozialisten, zu Muhammad gesagt hatte, sie gehörten in ein Museum. Muhammads Bücherregale voller kommunistischer Klassiker in ihren üblichen schlichten Einbänden zeigten, dass das Gefängnis seiner jugendlichen Leidenschaft nichts anhaben konnte.
Muhammad sagte, dass wir für das Treffen mit Rifaat nach Alexandria fahren sollten, wo der ehemalige General mit seiner Familie Urlaub mache. Etwa auf der Hälfte der Strecke übernahm ich das Steuer und ließ Muhammad erst wieder fahren, als wir die Küstenstadt erreichten. Ein paar Tage zuvor war seine Mutter für den Sommer dorthin in die Ferienwohnung der Familie umgesiedelt. Sie hatte für ein fantastisches Mittagessen gesorgt, kalten frischen Lachs mit Mayonnaise. Ich wohnte im Hotel Palästina, einer schönen Villa in einem palmbeschatteten Garten am Strand.
Rifaat empfing uns in seinem Strandhaus und willigte ein, einen zweiteiligen Artikel über die »Entwicklung sozialistischer Beziehungen« zu schreiben, durch die Ägypten in der wirtschaftlichen Entwicklung die »Startphase« erreichen solle. Letztlich lieferte er einen Artikel ab – über die Idee der ägyptischen Bemühungen –, jedoch nicht den zweiten, der die Praxis behandeln sollte.
Muhammad und ich fuhren übers Land, besuchten ein viel größeres und aufwendigeres Zentrum als jenes, das ich bei meiner ersten Kairoreise 1961 gesehen hatte. Wie auch bei späteren Besuchen in Kairo nahm mich Muhammad mit ins »Night and Day«, ein bei Intellektuellen beliebtes 24-Stunden-Café im Semiramis-Hotel. Dort traf ich Lakhdar Brahimi, damals algerischer Botschafter in Ägypten. Er versprach, einen Artikel über den algerischen Unabhängigkeitskampf zu schreiben.
Brahimi hatte zuvor die algerische Nationale Befreiungsfront in Tunis und andernorts repräsentiert. Neben seinem Botschafterposten war er Untergeneralsekretär der Arabischen Liga für kulturelle Angelegenheiten. Später wurde er Botschafter in London und arbeitete für die UNO-Friedenssicherung. Schließlich wurde er algerischer Außenminister und beendete seine Karriere mit dem Versuch, zwischen den syrischen Kriegsparteien Friedensgespräche zu etablieren. Im Laufe der Jahre wurden wir enge Freunde.
Ich lernte das Feshawi kennen, das berühmteste Tee- und Kaffeehaus in Chan el-Chalili, dem Suk in der Kairoer Altstadt. Das Feshawi, 1773 eröffnet, war ein Lieblingsort von Journalisten, Schriftstellern und Akademikern, die in ihren Wasserpfeifen Haschisch rauchten und bei Tee über Politik diskutierten.
Godfreys Freund Khaled Muhieddine holte mich in seinem schwarzen Fiat im Omar-Khayyam-Hotel ab; auf der Seite des Autos prangten zwei Sterne, ein Zeichen, dass er dem revolutionären Komitee der Freien Offiziere angehörte. Um sicherzugehen, dass wir nicht abgehört wurden, unterhielten wir uns bei einem Spaziergang auf dem Gelände des Gezira Clubs. Als ich später vor dem Hotel aus dem Auto stieg, salutierte der Portier.
Beirut, Libanon, 1965/66
Wenngleich Godfreys Rolle als Chefredakteur eigentlich eine ehrenamtliche sein sollte, kam er regelmäßig ins Büro des Middle East Forum , zwei Zimmerchen, nachträglich auf das Dach der Alumni-Vereinigung der American University of Beirut (AUB) gebaut, gleich neben dem Universitätsspital. Die Räume, im Sommer glühend heiß und im Winter eiskalt, teilten wir uns mit einer fröhlichen, kräftigen jungen Sekretärin namens Alice, die in ihrem Job ein ziemlich hoffnungsloser Fall war. Godfrey nannte mich in variierend gebieterischem Tonfall weiterhin »Miss F.«, am Telefon wie auch persönlich. Ich fand das etwas einschüchternd, bis ich merkte, dass er einfach so war; Er wollte gar nicht brüsk oder herrisch sein.
Als es Sommer wurde, tauchte Godfrey in einem kurzärmligen Safarihemd und goldfarben bestickten Schnabelschuhen aus Rajasthan auf. Alice kicherte. Als er zu einer Party auf meiner großen Terrasse kam, sprang mein Pudel Nana an ihm hoch und hinterließ auf seinem weißen Achkan staubige Pfotenabdrücke. Es schien ihm nichts auszumachen. Nana, anfangs eifersüchtig, mochte ihn irgendwann und blieb über Weihnachten bei ihm, als ich wieder nach Kairo fuhr, abermals auf Autorensuche.
Bis etwa um Ostern herum dachte keiner von uns beiden an die Möglichkeit einer Beziehung; danach konnten wir uns nicht mehr vorstellen, voneinander getrennt zu sein.
Araya, Libanon, Frühjahr 1966
Im Haus von Prue und Ian Seymour kam ihre Tochter Liza, zwei Jahre alt, hellblond, die Treppe heruntergesaust und schlang ihre Arme um Godfreys Knie. Mit ihrem »Goffey, Goffey!« schuf sie den liebevollen Spitznamen »Gof«. Godfrey mochte ihn lieber als seinen Geburtsnamen; in seinen Augen hatten seine Eltern bei allen fünf Kindern ein Faible für unpassende Namen gehabt: Albert, Eunice, Elaine und Daphne, genannt D, hießen seine vier Geschwister. Zwei waren hellhäutig – Eunice und Elaine –, drei der Kinder dunkel, wenngleich sie nur zu einem Viertel indischstämmig waren. Ihr Vater stammte aus einer der jahrhundertealten europäischen Familien des indischen Subkontinents, die als »ansässige Europäer« galten, während ihre Mutter anglo-indischer Herkunft war, der Gemeinschaft entstammte, der in Indien letztlich die gesamte Familie zugerechnet wurde. Elaine wanderte nach Großbritannien aus, wo sie als zurückgekehrte Engländerin durchging.
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