»Halt du dein Maul, Remigius! Schließlich war ich es, der dieses Schnapphahnschloss entwickelt hat, und frag den Meister, wo wir ohne mich wären!«
»Benehmt euch wenigstens, wenn ein Gast im Haus ist!«, fuhr der Meister dazwischen.
Dem vornehmen Herrn war die Streiterei am Tisch nicht entgangen.
»Eure Waffen sind gefragt und sicherlich ist Eure Schmiede eine der fortschrittlichsten nördlich der Alpen. Dann geht es jetzt nur noch darum, dass die Waffe so dimensioniert wird, dass sie nicht nur vom Infanteristen, sondern auch vom Reiter abgefeuert werden kann.« Raymund begriff sofort, wie listig der große Herr seine Frage gestellt hatte: Weil die Venezianer so eine mächtige berittene Armee haben! Ganz sicher nicht!
»Unsere Waffen sind reich verzierte Prunkwaffen, allein die Hirschhorn-Einlegearbeiten, die wir nur auf Bestellung anfertigen, benötigen dreimal so viel Zeit wie der Rest der Büchse. Sie werden bisher hauptsächlich von Jägern benutzt, denen das Laden der Waffe keine besonderen Schwierigkeiten bereitet, da es in der Einsamkeit des Waldes oder der Stille des Vogelherds geschieht.«
»Da seid Ihr zu bescheiden, Meister Benzenauer! Eure Waffen haben das Zeug, nicht nur bei der Jagd, sondern auch im Kampf auf den Schlachtfeldern eingesetzt zu werden und den Reitern mit ihrer Leichtigkeit und einfachen Handhabung bei jedem Wetter einen großen Vorteil zu verschaffen. Die Treffsicherheit allerdings muss auf hundert Schuh Entfernung garantiert sein. Auf jeglichen anderen Zierrat könnt Ihr getrost verzichten. Ein Reiter benötigt lediglich einen großen Kugelknauf, der ihm ein schnelles Ziehen ermöglicht.«
»Ihr meint also, Herr Castranova, dass ich meinen Betrieb von Prunkwaffen auf Gebrauchswaffen für Kriegsleute umstellen soll?«
»Wir sprechen von einem Volumen von fünfhundert Waffen jährlich. Könnt Ihr das bewerkstelligen, Benzenauer?«, fragte Castranova provokant, aber selbst Raymund wusste, dass diese Zahl aus der Luft gegriffen war.
»Warum geht Ihr nicht nach Suhl, Nürnberg oder München. Da sind sie viel eher auf so große Mengen eingestellt«, warf der Obergsell vorlaut ein, und seine Zahnlücke entließ einen Schwall Spucke über den Tisch.
Der Meister schaute verärgert in seine Richtung.
»Mein Auftraggeber braucht kurze, treffsichere und wetterunabhängige Waffen ohne viel Zierrat. Darüber solltet Ihr nachdenken. Es gibt wohl bereits in Frankreich sogenannte Pistoletten, die nicht viel länger sind als eine Elle, jedoch lässt ihre Zielgenauigkeit sehr zu wünschen übrig. Wenn Ihr Euch anstrengt, Benzenauer, soll es zu Eurem Schaden nicht sein. Ich komme in einem halben Jahr wieder, bis dahin habt Ihr Zeit, das Ganze durchzurechnen.«
»Dann kann ich meine Schäfter wohl nach Hause schicken. Nein, nein, sagt Eurem Herrn, dass ich mir einen solchen Auftrag schon sehr gut überlegen muss.«
»Denkt an die Zukunft Eurer Werkstatt: Jäger und Fürsten, Bischöfe und Herzöge, sie alle brauchen Frieden, um auf die Pirsch zu gehen, brauchen Geld, um sich Eure teuren Waffen kaufen zu können. Aber die Zeiten ändern sich, es wird Krieg geben, den der gewinnen wird, der mit der Entwicklung geht.« Castranova nahm seinen mit Federn geschmückten Hut und verließ mit ausladender Geste den Raum.
»Aufgetakelter Wichtigtuer! Wenn es nach mir ginge, würde ich die Produktion von diesen Spielzeugpistoletten den Franzosen überlassen«, murmelte der Obergsell vor sich hin. »Ja, ja, die Treffsicherheit! Der Graf von Oettingen-Oettingen war schon dreimal mit seiner Büchse zum Nachbessern hier, weil er angeblich innerhalb von vier Wochen siebenmal in seinem Revier auf denselben Zwölfender geschossen hat und dieser immer noch brunftvergnügt herumläuft.«
Alle am Tisch lachten über die Geschichte des Obergsells.
»Wie kann der Obergsell ungestraft seine Klappe so aufreißen?«, raunte Raymund dem Schäfter Remigius zu, der neben ihm saß.
»Er ist ein genialer Tüftler und er hätte längst seinen Meister gemacht und eine eigene Werkstatt eröffnet, wenn ihm die Zunft nicht aufgrund der zahlreichen Anklagen wegen Unruhestiftung die Zulassung verweigert hätte«, sagte Remigius so leise, dass ihn der Obergsell nicht hören konnte. »Aber psst, im Vertrauen, der Obergsell hat eine große Schwäche, er ist ein Vollmondsäufer, der sich in seinem Suff nicht mehr unter Kontrolle hat, in Schlägereien gerät und auch schon die eine oder andere Waffe benutzt hat. Der Meister hat ihn mehrmals freikaufen müssen und ihm so die Haut vor dem Pranger oder dem Gefängnis gerettet.«
Aha, sieh einmal an! Auch er hat einen wunden Punkt. Ich werde meinen Meister machen, da kannst du Gift darauf nehmen, Herr Obergsell!, dachte Raymund und lächelte in sich hinein. Sein Ehrgeiz war geweckt.
Von einem schrecklichen und wundersamen Cometen, so sich am Dienstag nach Martini dieses laufenden Jahres 1577 am Himmel erzeiget hat.
Es hat der Allmächtige / Ewige / Gütige und Barmherzige Gott / uns abermals ein Schrecklichs Wunderzeichen für unser Augen dargestellet / und wir müssen es sehen wegen unserer schweren und grossen sünde / ob welcher wir nicht allein dem Zorn Gottes und der zeitlichen straffe hie / und nach diesem leben der ewigen verdammnis / nicht entgehen mögen / wo wir uns nicht in dem waren Christlichen Glauben zu Gottes Barmherzigkeit bekeren …
Wie dann der Menschen unverstand die Wunder und Zeichen Gottes allwegen anders auffnimbt und zueignet / ist ihm zugethan ein langer und schrecklicher Schwanz / von der linken seiten des Mittags Ragts hinauff uber die Stern Chyron fast bis zu dem Steinbock /
Jiří Daschitzsky, Prag, 1577
2Gewehr mit langem Lauf, das aufgeständert werden musste.
Leeder, ein Tag vor Mariä Empfängnis 31577
Die Marianischen standen an diesem kalten Abend im Hof des Keggelbauern und schauten hinauf in den wolkenlosen Nachthimmel. Die Stimmung schwankte zwischen Entsetzen und Faszination.
»Meine Leit, was des wohl mea alls bedeided. Dea wead immer no greaßer und greaßer!«, fand die Schmelzerin als Erste ihre Sprache wieder.
»Eisre Kiah bleared dia ganz Nacht und gennt bloß no d’Hälfte Milch«, warf Theo vom Hauserbauer ein.
»Vielleicht isch des aber au a guats Zoache, dr Stern vo Bethlehem hot schließlich unseren Heiland verkünded«, wandte die Halblützerin ein.
»Dea Komet kommt doch immr nächer, der wead jede Dag heller, des sigt doch a Blinder. Mir kenned froa sei, wenn des bloß a Warnung isch vo eiserm Herrgott und ear dean Komet idda auf eis rafalla losst.« Die junge Keggelbäuerin trat in die Fußstapfen ihrer Schwiegermutter, die seit Monaten bettlägerig war, und hielt die Tradition des Gastgebens für die Marianischen aufrecht. »Kommet, gang mer in d’Stuba«, forderte sie die Umstehenden auf.
Die Mesnerin hatte ihren Rosenkranz schon um die gichtigen Finger gewickelt. »Mir sollted immer no mehr beata, des isch dia oanzig Kraft, dia wo mir hand.«
»Und was au, wenn des a beas Zoache isch?«, meldete sich Vitus Linder. Inzwischen hatten alle an dem großen Tisch Platz genommen.
»I glob, dass der Komet a Prophezeiung isch, dia mir bloß no idda verstanded. Dea schaugt doch aus wia a riesiger Beesa.« Die Lehnerin war nun die Älteste in der Runde, nachdem die Hefflerin im Sommer elendiglich an ihrem Kropf erstickt war und der dazugerufene Bader machtlos ihren Todeskampf hatte ansehen müssen.
»Die kloi Hex hot zwoi Kräha, dia ständig um se rumflattred. Des isch doch Beweis gnua, dass dia am Deifl diena duad«, warnte die Mesnerin vor der jungen Helena Rehlinger und bekreuzigte sich. »Solang dia Ketzerei it aufheart im Schloss doba, wear mer koi Ruah it hau; eis hülft entweder der Inquisitor oder der Fugger. Aber der oine gibt koa Antwort und fiar de andere sind mir viel z’ kloane Leit.«
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