Gleichberechtigung im Kinderzimmer
Der vergessene Schritt zum Frieden
Annette Böhm und Ekkehard von Braunmühl
Aufgrund eigener Erfahrungen ist es für mich selbstverständlich, mit meinem Kind (3) gleichberechtigt zu leben. Allerdings habe ich den Anspruch, es noch besser zu machen als meine Eltern. – Anna, 25
Mir würde es noch besser gefallen, wenn die Gleichberechtigung konsequenter und ohne, sagen wir mal, Zwischenfälle durchgehalten würde. Und das gilt nicht nur für mich! – Ulli, 15
Die Frage autoritär oder Gleichberechtigung sollten sich die Eltern am besten ganz am Anfang des Lebens ihres Kindes beantworten. Ein Umschalten auf gleichberechtigt am 18. Geburtstag finde ich lächerlich. – Guido, 18
Wer durch das Gleichberechtigungsprinzip gewöhnt ist, selbstverantwortlich zu entscheiden, trifft seine Entscheidungen richtiger und sicherer, weil er fähig ist, Konsequenzen abzuschätzen. Bei falschen Entscheidungen ist er durch seine Selbstsicherheit eher bereit, Fehler einzugestehen und zu korrigieren. – Thimo, 20
Eltern tun sich auch selbst einen Gefallen, wenn sie die Kinder anständig behandeln. Ich meine: freundlich, höflich, eben gleichberechtigt. Sonst werden die Kinder unselbständig oder aggressiv, machen immer Ärger und so, Dummheiten eben. – Mathias, 23
Wer behauptet, Kinder aus gleichberechtigten Familien seien irgendwie vernachlässigt und deswegen bedauernswert, den kann ich nur selbst bedauern, weil er nämlich null Ahnung hat. – Florian, 18
In gleichberechtigten Beziehungen ist der Alltag miteinander auch manchmal anstrengend; aber Auseinandersetzungen schaukeln sich nicht so hoch wie in anderen Familien, denn wenn die Eltern sich nicht als Herrscher aufspielen, dann müssen die Kinder auch nicht gegen sie kämpfen. – Paul, 18
Für mich kann ich mir keinen anderen Umgang mit allen Menschen vorstellen als den auf gleichberechtigter Basis. – Lisa, 28
Wenn die Erwachsenen Mädchen und Jungen nicht ständig beibringen würden, wie sie sein sollen, dann gäbe es nicht so viele Macho-Männer, und die Frauen würden sich später nicht so viel gefallen lassen. – Dora, 16
Die meisten Erwachsenen, auch Lehrer, tun zwar freundlich, behandeln Kinder aber »von oben herab«. Aber was soll’s, die haben’s eben nötig. Aber wenn die Euer Buch gelesen haben, wird sowieso alles ganz anders. – Lena, 16
Lieber gleich berechtigt als später
Aussichten auf Frieden
Die Menschheit tut sich schwer mit dem Frieden. Trotz erschütternder Erfahrungen und überzeugender Erkenntnisse sind Eigenschaften wie Friedfertigkeit, Toleranz und Fairneß keineswegs zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Frage liegt nahe, welche Katastrophen die Menschheit noch erleben muß, bevor sie aus ihren Fehlern lernt, bevor sie zur Vernunft kommt, bevor sie Frieden findet – hoffentlich nicht erst auf einem allgemeinen Friedhof.
Die Chancen für den Frieden stehen schlecht, wenn man die Geschichte betrachtet und gegenwärtige Entwicklungen einfach in die Zukunft weiterdenkt. Wir schreiben dieses Buch, weil wir bei unserer Beschäftigung mit den Beziehungen zwischen Eltern und Kindern Chancen für den Frieden entdeckt haben, die von den allermeisten Menschen überhaupt noch nicht wahrgenommen, geschweige denn wahrgenommen werden. Diese Chancen sowohl zu erkennen als auch zu nutzen ist besonders sinnvoll für Eltern und andere Erwachsene, die privat wie beruflich den Umgang mit Kindern pflegen, denn sie (und die Kinder) profitieren davon unmittelbar, nicht erst in der Zukunft und auch nicht erst unter der Bedingung, daß viele andere mittun.
Außerdem sind solche Personen erfahrungsgemäß besonders anfällig für allerlei öffentliche Appelle und Vorwürfe, wann immer es Anlässe oder auch Vorwände gibt, den Themen Kindheit, Jugend, Elternschaft, Erziehung, Normen, Werte, Verantwortung, Autorität und dergleichen besondere Beachtung zu schenken. So verständlich die Aufgeregtheit über manche Verhaltensweisen bestimmter junger Menschen sein mag, so fragwürdig sind doch in der Regel die allgemeinen Schlußfolgerungen und Rezepte. Der Schwarze Peter landet unweigerlich bei den Erwachsenen, die an der Familien- und Schul-«Front« angeblich versagt hätten, »der Jugend« mit zuwenig Strenge oder Liebe oder Erziehungsmut oder Flexibilität oder Konsequenz oder Verständnis oder xyz entgegengetreten seien. Entsprechend widersprüchlich, aber immer hochgestochen, klingen dann die Patentrezepte, die Abhilfe schaffen sollen, die aber tatsächlich der Lebenswirklichkeit der Menschen zwangsläufig hinterherhinken und hauptsächlich die jeweiligen Ideologien am Leben erhalten. Jedenfalls wecken sie immer erneut die gleichen Illusionen (Stichwort: »Machbarkeitswahn«), die seit Jahrhunderten über alle Moden hinweg nur zu Enttäuschungen führen konnten.
Wie wir zeigen werden, lohnt es sich, über den Frieden neu und grundsätzlich nachzudenken. In vielen Fällen sind es nämlich bloße Mißverständnisse und andere unnötige Fehler, die guten Glaubens und guten Willens geschehen und die nur deshalb Unfrieden stiften, weil die Beteiligten nicht über friedenserhaltende Denkmuster und -Strategien verfügen.
Um gründlich genug an das Thema heranzugehen, möchten wir kurz die drei Bereiche kennzeichnen, in denen der Begriff »Frieden« vor allem Verwendung findet. Zuerst meint »Frieden« ein Verhältnis zwischen Menschen. Menschen und Menschengruppen (etwa Staaten, Volksgruppen, Religionsgemeinschaften) leben entweder friedlich zusammen, das heißt miteinander, oder sie streiten und bekämpfen sich, das heißt, sie leben (mehr oder weniger) gegeneinander. Im schlimmsten Falle »sprechen die Waffen«, zwischen ihnen herrscht »Krieg«. Allerdings wird so mancher Streit und auch Kampf ausgefochten, ohne daß die Kontrahenten deshalb zu »Feinden« werden müssen und ohne daß ihre Auseinandersetzungen den »Frieden« im üblichen Sprachgebrauch verletzen: etwa beim sportlichen »Wettstreit«, beim politischen »Wahlkampf«, beim »Streit der Meinungen« oder beim »Kampf um die Wahrheit«. Auch »Konkurrenz« zwischen Menschen kann recht energisch betrieben werden, ohne daß dabei die Gesetze des Friedens außer Kraft gesetzt werden: bei Spiel und Sport, in der Wirtschaft, sogar in der Liebe. Alle möglichen Leistungs- und sonstigen Vergleiche zwischen Menschen können zwar zu Sieg und Niederlage führen, die jeweils bestimmte Vor- und Nachteile mit sich bringen, aber wenn alle Beteiligten die gleichen Regeln anerkennen und beachten, bleibt der Frieden gewahrt. Das wichtigste dabei ist wohl, ob das Gerechtigkeitsempfinden der Beteiligten, ihr Gefühl für Fairneß, Chancengleichheit, Gleichberechtigung verletzt wird oder nicht.
Wenn Menschen sich dagegen – im Großen wie im Kleinen – gegenüber anderen Menschen ungerechte Vorteile verschaffen wollen, sich unfair verhalten, beispielsweise ein »Recht des Stärkeren« beanspruchen oder Vertrauen mißbrauchen, lügen, betrügen, listig manipulieren, dann mag äußerlich alles freundlich und friedlich wirken, aber trotzdem werden die Prinzipien des Friedens verletzt, und über kurz oder lang wird sich das rächen. Menschen, die von anderen offensichtlich unterdrückt, ausgebeutet, übervorteilt wurden, haben in der Geschichte einerseits oft sehr viel Geduld, eine aus heutiger Sicht fast unbegreifliche Gutmütigkeit bewiesen, andererseits kam es immer wieder zu heftigen Gegenreaktionen (von kollektiven Aufständen, Revolutionen, über Bürgerrechts-, auch Frauenbewegungen bis hin zu individuellen Trotzanfällen, Wutausbrüchen, Gewaltakten), die zeigen, daß die benachteiligten Menschen nicht wirklich zufrieden waren. Als Konsequenz aus unendlich vielen leidvollen und blutigen historischen Erfahrungen wird heute deshalb die Alternative zum Gegeneinander der Menschen auf abstrakter Ebene oft mit der Formulierung »Gerechtigkeit und Frieden« benannt. Ein auf Dauer sicheres und wirklich zufriedenstellendes Miteinander der Menschen setzt die Gleichberechtigung aller Menschen und Menschengruppen voraus. Dies bedeutet selbstverständlich auch Toleranz zwischen den Menschen, nicht aber Toleranz mit solchen Individuen oder Gruppen, die sich über andere erheben, sie unterdrücken, übervorteilen, ausnutzen, nicht als gleichberechtigt akzeptieren.
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