Benno von Bormann
Das Hospital, Wie der Klatschmohn entstand
Für Nok, Ina, Felix und Friederike
Inhaltsverzeichnis
Titel
Das Hospital 1. Kapitel Städtisches Klinikum
2. Kapitel Städtisches Klinikum
3. Kapitel Städtisches Klinikum
4. Kapitel Universitätsklinik
5. Kapitel Universitätsklinik
6. Kapitel Städtisches Klinikum
7. Kapitel Universitätsklinik
8. Kapitel Städtisches Klinikum
9. Kapitel Universitätsklinik
10. Kapitel Universitätsklinik
11. Kapitel Universitätsklinik
12. Kapitel Universitätsklinik
13. Kapitel Universitätsklinik
14. Kapitel Städtisches Klinikum
15. Kapitel Städtisches Klinikum
16. Kapitel Städtisches Klinikum
Wie der Klatschmohn entstand 1. Kapitel
Wie der Klatschmohn entstand 2. Kapitel
Wie der Klatschmohn entstand 3. Kapitel
17. Kapitel Universitätsklinik
18. Kapitel Universitätsklinik
19. Kapitel Universitätsklinik
20. Kapitel Universitätsklinik
21. Kapitel Städtisches Klinikum
Wie der Klatschmohn entstand 4. Kapitel
Wie der Klatschmohn entstand 5. Kapitel
Wie der Klatschmohn entstand 6. Kapitel
Wie der Klatschmohn entstand 7. Kapitel
22. Kapitel Universitätsklinik
23. Kapitel Universitätsklinik
24. Kapitel Universitätsklinik
25. Kapitel Universitätsklinik
26. Kapitel Universitätsklinik
27. Kapitel Städtisches Klinikum
Wie der Klatschmohn entstand 8. Kapitel
Wie der Klatschmohn entstand 9. Kapitel
Wie der Klatschmohn entstand 10. Kapitel
Das Hospital 28. Kapitel Städtisches Klinikum
Wie der Klatschmohn entstand 11. Kapitel
29. Kapitel Universitätsklinik
30. Kapitel Universitätsklinik
31. Kapitel Universitätsklinik
32. Kapitel Städtisches Klinikum
Wie der Klatschmohn entstand 12. Kapitel
Wie der Klatschmohn entstand 13. Kapitel
Wie der Klatschmohn entstand 14. Kapitel
33. Kapitel Städtisches Klinikum
34. Kapitel Städtisches Klinikum
35. Kapitel Städtisches Klinikum
Das Hospital
1. Kapitel
Städtisches Klinikum
Die junge Frau stand am Bahnsteig. Sie schien zu frieren, obwohl die Sommersonne die schmutzige Dachkonstruktion über den Gleisen durchdrang und darunter eine feuchte Hitze mit den typischen Gerüchen des Abriebs großer Maschinen erzeugte. Die Menschen rannten und schoben in Gruppen zu den Zügen oder weg davon. Die junge Frau beugte sich vornüber, als hätte sie etwas fallengelassen und würde nun danach suchen, aber ihr Blick war auf nichts Bestimmtes gerichtet.
Sie stolperte einen Schritt nach vorne, stöhnte und erbrach sich, ließ die flache Reisetasche dabei von der Schulter rutschen. Ein Zug fuhr auf das Gleis, die Bremsen quietschten ohrenbetäubend. Die Frau war auf die Knie gesunken, ihre Hände suchten Halt am Boden und stemmten sich in das Erbrochene. Reisende quollen aus den Türen der Abteile und hasteten an ihr vorbei, wohl bedacht, sich die Schuhe nicht zu beschmutzen.
„Sind Sie betrunken?“ Ein derber Mensch in Uniform stand neben ihr. Einige Neugierige scharten sich um die Szene. Die Frau gurgelte und presste. Das Gesicht war schweißüberströmt und nahm nun eine blassblaue Färbung an, während die Halsvenen unnatürlich hervortraten. Unter der Anstrengung schossen ihr Tränen aus den Augen und bildeten Rinnsale zwischen Puder und Schweiß. Sie kippte zur Seite, lag gekrümmt und regungslos auf den Steinen. Die Menge wurde größer, hielt aber weiter Abstand. Der Uniformierte beugte sich zu dem Häufchen Elend hinunter.
„Nehmen Sie sich doch zusammen“, flüsterte er beschwörend, und noch einmal: „Sie können hier doch nicht so...“, er zögerte, „so einfach liegen“, dann schließlich, hilflos: „Geht es Ihnen nicht gut?“ Erneut krampfte sich der schmale Körper zusammen, unter dem hochgerutschten Rock wurde ein weißer Slip sichtbar, dunkel verschmiert. Über den Oberschenkel lief eine farblose Flüssigkeit und bildete eine größer werdende Lache.
In der ersten Reihe der Gaffer kam Unruhe auf.
„Ekelhaft“, sagte eine bebrillte ältere Frau, wobei sie offenließ, was gemeint war. Der Uniformierte war inzwischen zu der Überzeugung gelangt, dass Hilfe nötig war. Er stand auf und blickte suchend um sich, als wolle er Zeit gewinnen.
Ein eleganter dunkelhäutiger Mann hatte als einer der letzten den Zug verlassen und bahnte sich nun zielgerichtet seinen Weg durch die Menge. Er schob den inneren, dichten Ring der Neugierigen mit Nachdruck auseinander, warf einen Blick auf die junge Frau und kniete im gleichen Moment neben ihr, ohne dabei auf seine Hose aus feinem hellen Tuch zu achten. Er griff zu ihrem Hals. Seine Finger verharrten wenige Sekunden zwischen hervorgetretenen Muskelsträngen. Mit wenigen Bewegungen zog er sein dunkelblaues Sportsakko aus, faltete es und schob es unter den Kopf der jungen Frau. Ohne sich umzudrehen, aber deutlich und mit einem fremden Akzent wies er an,
„Verständigen Sie den Notarztwagen, schnell! Den NOTARZT!“
„Aber“, der Uniformierte, eigentlich froh, dass jemand die Verantwortung übernahm, straffte sich, „ich kann doch nicht so einfach, nur weil Sie meinen“, er stotterte. Der Mann hatte begonnen, die junge Frau mit den Händen zu untersuchen, tastete sorgsam ihren Leib und legte schließlich das Ohr darauf. Nun wendete er sich kurz ab, blieb aber auf den Knien. Er sprach langsam und trotz seines ausländischen Akzents vollkommen verständlich.
„Die Frau wird auf Ihrem Bahnsteig ein Kind bekommen, vielleicht auch zwei, eine komplizierte Geburt schätze ich, und sie und das Kind können sterben, wenn sie nicht schnellstens ärztlich versorgt und in die nächstgelegene Klinik geschafft werden. Ist das klar für Sie?“ Noch bevor er zu Ende war, hatte der Uniformierte seine Beine in die Hand genommen.
Der dunkle Mann wendete sich nun wieder der jungen Frau zu. Er prüfte, dass der Kopf weich gelagert war und strich ihr über die Stirn, beruhigende Worte murmelnd. Erneut tastete er ihren Leib, verharrte mit den Händen sekundenlang, als suche er etwas. Das Ergebnis schien ihn zufriedenzustellen, denn er entspannte sich ein wenig in der unbequemen Hocke. Der Atem der Frau wurde gleichmäßiger. Sie versuchte den Oberkörper anzuheben, wurde von dem Dunklen jedoch mit einem festen, fürsorglichen Griff daran gehindert.
„Ganz ruhig“, sagte er, „es wird alles gut, es passiert Euch nichts.“ Er sagte „Euch“ – die Anwesenden in der ersten Reihe hörten es deutlich. Die Menschen waren nun näher gerückt, als hätten sie sich besonnen und wollten irgendwie helfen.
„Ich benötige Taschentücher“, sagte er und meinte die Umstehenden, obwohl er weder den Kopf hob noch die Stimme. Viele Hände streckten sich ihm entgegen. Viele Taschentücher. Alle Farben. Er nickte zufrieden und formte einen Kegel aus dem Stoff. Dann spreizte er die Oberschenkel der Frau, ohne ihre Seitenlage zu gefährden, und zerriss den Slip mit einer schnellen Bewegung. Geronnenes und frisches Blut quollen ihm entgegen. Der Mann presste die Taschentücher in ihren Schritt und wartete.
2. Kapitel Städtisches Klinikum
„Rein musser – zweiter Versuch!“ Frey grinste anzüglich unter der grünen Gesichtsmaske. Die Studentin schwitzte und hebelte den Griff des beleuchteten Metallspatels im Mund des Patienten mit beiden Händen. Der Patient hustete. Die künstliche Erschlaffung, herbeigeführt durch die intravenöse Gabe eines Relaxans, begann nachzulassen. Die Zunge quoll hervor und versperrte zusätzlich die Sicht in die Mundhöhle.
Es war ihre dritte Intubation überhaupt, und die beiden ersten waren völlig problemlos verlaufen. Allerdings waren das stets ältere Patienten ohne Zähne gewesen. Da ließ sich der Kehlkopfeingang immer gut einstellen. Jetzt war die Situation anders. Der Patient, ein muskulöser junger Mann, vorgesehen für einen Eingriff wegen eines Hodentumors, verfügte über ein makelloses Gebiss. Das Laryngoskop musste gegen die oberen Schneidezähne gestützt werden, um die Zunge herunterzudrücken und die Sicht auf die Stimmritze mit den beiden Stimmbändern freizugeben.
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