Am 21. Januar 1933, also neun Tage vor Hitlers Machtübernahme, schreibt Hannah von Bredow im Tagebuch: „I warned Planck. He disbelieved me. I give him a week and then – Planck said: ‚Sie werden doch nicht glauben, dass die Deutschen alle irre sind!‘ I replied: ‚Irre? Ahnungslos, genau wie Sie.‘ – ‚Die ich rief, die Geister‘, werden bald viele singen. Ich riet Planck abzureisen.“ Mit Hitlers Machtantritt wurde der Vertraute Schleichers persona non grata im neuen Deutschland. Er entzog sich den wachsenden Bedrohungen aber erst Mitte März 1933 durch eine ausgedehnte Ostasienreise.
Für die politische Beobachterin Hannah von Bredow bestand nach Erwin Plancks Rückkehr von seiner langen Reise im Mai 1934 kein ausgesprochenes Interesse mehr an Treffen mit ihm. Auch hatte sich Erwins eifersüchtige Frau Nelly gegen weitere Begegnungen ihres Manns mit Hannah ausgesprochen. Im Oktober vermerkt Hannah im Tagebuch noch einen äußerst aufgeregten Anruf Erwin Plancks. Zu dieser Zeit bemühte dieser sich nach wie vor intensiv um die Aufklärung des Mordes an Kurt von Schleicher und seiner Frau in der „Nacht der langen Messer“ vom 30. Juni 1934.
Damit kam Planck wieder ins Fadenkreuz der Gestapo, der er sich bald durch Aktivitäten in der Privatwirtschaft, nämlich als Geschäftsführer der Handelsfirma Otto Wolff, entzog. Unpolitisch blieb er indessen nicht, denn sein Name wird ab Ende 1939 in Verbindung mit Widerständlern genannt. Anders als Hannah ihn charakterisiert, war dem nationalkonservativen Erwin Planck durchaus nicht alles gleichgültig, „so lang er selber weiterkommt.“ Ihm ging es um Deutschlands Zukunft, und kurz nach Kriegsbeginn findet sich sein Name bis zum 10. Juli 1944 regelmäßig unter den Vertrauten des konservativen Widerständlers Ulrich von Hassell in dessen Tagebüchern.
Häufiger findet sich in von Hassells Tagebüchern auch der Name Franz von Papen. Dieser war nach dem Krieg bemüht, den Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg von seiner Widerständigkeit zu überzeugen, ebenso wie später auch die Leser seiner Memoiren „Der Wahrheit eine Gasse“. Hannah von Bredow machte indessen Ende des Jahres 1937 Erfahrungen mit einer Denunziation Papens, die alles andere als dessen Widerständigkeit belegte.3
Hannah von Bredow lernte Franz von Papen bereits Anfang der 1930-Jahre kennen und unterhielt sich bei verschiedenen Gelegenheiten mit ihm. So erfuhr ihr Briefpartner Jessen im Frühjahr 1931, also vor Papens Kanzlerzeit, von einer Abendgesellschaft bei den Bredows mit Papen als Gast, auf der Hannah ihrem Bruder Gottfried beispringen musste: „Papen grauste Gottfried so mit seiner geradezu krankhaften Frankophilie, dass es fast zu Unannehmlichkeiten kam,“ schreibt sie. Daraufhin beruhigte Hannah ihren Bruder mit der wenig schmeichelhaften Bemerkung, dass sie „Papen für einen der dümmsten Männer unter der Sonne hielte.“
Gut ein Jahr später und dank ihres Informanten Erwin Planck vermerkt Hannah von Bredow in ihrem Tagebuch am 31. Mai 1932, noch vor der öffentlichen Bekanntgabe von Papens Ernennung zum Reichskanzler: „Papen (Franz) ist Kanzler. Das klingt wie ein Witz, ist aber Wahrheit.“ Am selben Tag lässt Hannah ihren Briefpartner an der aktuellen Regierungskrise sowie an Hindenburgs Misstrauensvotum gegenüber Kanzler Brüning teilhaben und beendet den Bericht mit: „Und so kam Fränzchen dran.“
Schon einen Tag nach dem Treffen Hindenburgs mit Hitler am 13. August 1932, bei dem dieser in Papens Gegenwart eine Beteiligung und Mitarbeit an der bestehenden Regierung Papen strikt ablehnte, berichtet Hannah ihrem Vertrauten detailliert über das Gespräch. Ihren Brief vom 14. August 1932 beginnt sie mit der Feststellung: „Und nun gab er mir eine absolut unvorsichtige Schilderung der gestrigen Ereignisse.“ Mit „er“ meinte sie Erwin Planck, der am Gespräch teilgenommen hatte und ihr Hitlers Haltung begründete: Dieser beabsichtige, die Auflösung des Reichstags zu erzwingen, um in Neuwahlen die absolute Mehrheit zu erreichen.
Wenige Wochen darauf berichtet Hannah von Bredow von einer Abendgesellschaft, bei der auch Franz von Papen zugegen war: „Nach Tisch gab Sulla eine sehr interessante und sprühend lebendige Schilderung des 13.8. die aber so genau der Puck’schen Darlegung entsprach, dass ich sie nicht wiederholen will.“ Nach „Puck“, für Erwin Planck, führt Hannah einen weiteren Decknamen ein: „Sulla“ für Franz von Papen. Sie spielt damit auf den führenden Vertreter der römischen Optimaten an, der konservativen Adelspartei, der im ersten vorchristlichen Jahrhundert in Rom entgegen bestehender Gesetze die Herrschaft an sich riss. Bei der Namensgebung dachte Hannah zweifellos an Papens Entmachtung der demokratisch legitimierten preußischen Regierung wenige Wochen zuvor, den „Preußenschlag“, der das Schicksal der Weimarer Republik besiegelte.
Festzuhalten bleibt Hannah von Bredows ausgeprägtes politisches Interesse und Verständnis sowie ihr Bemühen, sich dank ihrer Bekanntschaft mit hochrangigen Politikern Schilderungen von wichtigen Ereignissen wie dem 13. August 1932 von mehreren Zeugen, möglichst von Augenzeugen, geben zu lassen.
Aus einer dritten Quelle erfuhr Hannah von Bredow den Inhalt eines weiteren Gesprächs im Reichspräsidentenpalais an dem historischen 13. August 1932. Konstantin von Neurath, Reichsaußenminister unter Papen und bis Anfang Februar 1938 auch unter Hitler, berichtete ihr am 22. August bei einem Essen über ein Gespräch, „das Sulla am 13. zwischen 6 und 7 p.m. ohne Zeugen mit Father Xmas gehabt hat“. Das Gespräch schildert sie Jessen „mit dem Vorbehalt, dritte Instanz zu sein“, in Dialogform, wobei sie Minister von Neurath in Anlehnung an den Statthalter von Marcus Antonius auf Zypern, „Demetrius“ nennt, während Reichspräsident von Hindenburg für sie respektlos „Father Xmas“ ist.
„Demetrius“, so setzt sie ihren Brief fort, habe ihr einen Text „im Wortlaut“ gezeigt und Teile daraus sogar vorgelesen. Hannahs Schreiben nach zu urteilen hatte Papen seinen Reichswehrminister Kurt von Schleicher über das Vieraugengespräch mit Hindenburg unterrichtet, dessen Inhalt dieser festhielt und Neurath zugänglich machte.
Ihren Bericht an Jessen vom 22. August 1932 beschließt Hannah mit der Mitteilung: „Tragisch sind die Verhältnisse im A.A. [Auswärtigen Amt], wo Demetrius völlig irre läuft, und wo auch Puck, Fouché etc. die größten Dummheiten machen. Demetrius will absolut nach London, alles andere ist ihm einerlei. Dabei soll der Madrider dort hin, der meinem Gefühl nicht entspricht. In Paris wird der Schaden zusehends größer, aber man ruft ihn nicht ab, weil man ‚keinen besseren‘ hat!“
Den Namen des mächtigen und intriganten Joseph Fouché, der Robespierre stürzte und Napoleon zur Macht verhalf, verlieh Hannah von Bredow Kurt von Schleicher; der „Madrider“ war ihr guter Freund Johannes Graf von Welczek. In Paris stand Botschafter Leopold von Hoesch zur Versetzung an. Demnach machte sich von Neurath knapp drei Monate nach seinem Wechsel von der Botschaft in London ins Auswärtige Amt wieder für den alten Posten stark, den dann aber von Hoesch übernahm.
Auch wenn Zweifel z.B. an der Authentizität der von Hannah von Bredow in westpreußischem Dialekt wiedergegebenen Aussagen von „Father Xmas“ berechtigt sein mögen, so zeigen die Schilderungen der Interna im Auswärtigen Amt ihr großes Interesse am politischen und diplomatischen Geschehen der Zeit. Sie belegen darüber hinaus, dass sie maßgeblichen Politikern und Diplomaten wahrscheinlich eine ernsthafte Gesprächspartnerin war und diese bewegen konnte, ihr auch diskrete Informationen anzuvertrauen.
Der Kontakt zu Konstantin von Neurath, der von ihr auch „der Schwabe“ genannt wurde, blieb bis zum Ende von dessen Ministerzeit im Februar 1938 bestehen. Bereits im Frühjahr 1935 aber, als Joachim von Ribbentrop, der ehemalige Importeur von Spirituosen, in dem nach ihm benannten Büro unter Umgehung des Auswärtigen Amts Hitler in außenpolitischen Fragen direkt zuarbeitete, schreibt Hannah an Jessen bedauernd: „Der Schwabe hat den besten Moment zum Absprung verpasst, jetzt macht der Sektlieferant alle Geschäfte direkt und behauptet, dass sein ‚cru‘ der einzig Trinkbare sei.“
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