Wilfried von Bredow
Die Bundeswehr und die deutsche Sicherheitspolitik
Orell Füssli Verlag, www.ofv.ch
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Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich, unter Verwendung eines Fotos von © Daniel Pilar/laif
ISBN 978-3-280-05728-5
eISBN 978-3-280-09101-2
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.deabrufbar.
Einleitung
Deutschland-Hologramm
Schiefes Fundament
Ruhebedürfnis und gelegentliche Panik
Weltpolitische Klimaverschlechterung
Kleiner historisch-politologischer Exkurs
Weltordnung, allgemein
Paradoxe Globalisierung
Demokratieverfall
Weltordnung, heute
Die BRICS-Welt
Amerika und Europa
Prekäre Sicherheit
Sicherheit als Schutz und Verteidigung
Realpolitik versus Idealpolitik
Friedensmissionen
Internationale Schutzverantwortung und Kampf gegen internationale Terrornetzwerke
Verlorene Hoffnungen
Kriegsformen und Kriegsführung
Die NATO und die Sicherheit Europas
Bruchlinien in der NATO
Zwei Perspektiven für die europäische Sicherheit
Das amerikanische Interesse an der NATO
Europäische Zweifel
Europäische Illusionen
Spagat
Deutschland in Europa – zaudernde Führungsmacht
Welches Europa?
Deutschland und Frankreich als Konkurrenten und Partner
Die deutsche Frage
Führungskraft
Mal zurückhaltend, mal ziemlich knallhart
Ein deutsch-französisches Europa?
Militärisch zurückhaltend, moralisch offensiv
Ernstfall Frieden
Kultur der Zurückhaltung
Risiken und Nebenfolgen
Das Verantwortungsmantra
Das Präventionsmantra
Lieber Zaungast sein, als …
Welche Bundeswehr wozu?
Defizitärer Diskurs
Strategisch denken
Strategiekommunikation
Wieder eine Neuausrichtung
Sicherheitsgefährdung durch Pandemien und Seuchen
Wie viel ist genug?
Streitkräfte im Reformstress
Der rechtliche Rahmen für Auslandseinsätze
Neue Aufgaben – weniger Personal
Transformation und vernetzter Ansatz
Scherbenhaufen
Eine Art Tritt in den Hintern
Eine Neuausrichtung nach der anderen
Problem-Lawine
In den Sand gesetzt
Lauter Hiobsbotschaften
Truppe am Limit
Fehlt es an Geld?
Beschaffungswesen
Mehr Aufgaben
Fazit
Literatur
In Deutschland ist die Bundeswehr die einzige Großbürokratie mit angeschlossenem eigenem Sicherheitsdienst. Zwar trifft man auf die Krake der Bürokratie in allen modernen Gesellschaften. In Deutschland allerdings begleitet die Bundeswehr seit ihrer Gründung ein besonders lautes Stöhnen über die Bürokratie. Nun gehört, darüber sollte man sich keine falschen Vorstellungen machen, eine funktionierende Bürokratie zu den Voraussetzungen, damit komplexe Organisationen ihre Ziele erfolgreich anvisieren und erreichen können. Aber sie muss halt funktionieren, sonst kommt es zu permanenten Reibungsverlusten und mangelhafter Effektivität.
Über die Bundeswehr dringt seit längerem vor allem Unerfreuliches an die Öffentlichkeit: Skandale, Personalnöte, Defizite bei Bewaffnung und Ausrüstung, Traditionswirrwarr. Von all dem gab es in den letzten Jahren mehr als genug. Bedenklich vor allem der Zustand der Ausrüstung mit Waffen und Geräten. Großgeräte von Marine, Luftwaffe und Heer sind nicht einsatzfähig. Ersatzteile fehlen. Neuentwicklungen werden um ein Vielfaches teurer als ursprünglich ausgemacht. Außerdem werden die Liefertermine seitens der Rüstungsindustrie zu oft nicht eingehalten. Scharfzüngige Kritiker haben sogar das demütigende Wort von der »Schrottarmee« in die Debatte geworfen. Wie passen diese betrüblichen Entwicklungen zu dem kernigen Satz aus dem letzten regierungsamtlichen Weißbuch (2016) zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr: »Die Bundeswehr ist ein wesentliches Instrument unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik«?
Ist sie das wirklich? Oder ist sie eine »Armee ohne Auftrag«, weil die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der »Zivilmacht Deutschland« auf Prioritäten geeicht ist, bei denen dieses Instrument keineswegs eine wesentliche sondern, wenn überhaupt, nur eine nachgeordnete Rolle spielt?
Selbstverständlich kann man unzähligen offiziellen Texten und Dokumenten der Bundesrepublik Deutschland entnehmen, welche Aufträge der Bundeswehr zugedacht sind. Im Weißbuch 2016 verteilen sich die Aufzählung und Erklärung dieser Aufträge und der Aufgaben der Bundeswehr gleich über drei Seiten. Die Bundeswehr kann sich geradezu vor Aufträgen und Aufgaben nicht retten! Aber dennoch drängt sich der Eindruck auf, dass in der deutschen Sicherheitspolitik Ziele und Instrumente nicht gut zusammenpassen. Genau das ist mit dem, gewiss etwas zugespitzten Titel »Armee ohne Auftrag« gemeint: Es fehlt hierzulande an dem aufgeklärten Bewusstsein vom rechten Gebrauch der Streitkräfte als Instrument der Politik. Dieser Mangel macht die Konturen der deutschen Sicherheitspolitik unscharf und ihre Inhalte unglaubwürdig. Eine Folge davon ist, dass mit der Bundeswehr zeitweise zu nachlässig umgegangen wird, was wiederum deutliche Konsequenzen für das professionelle Selbstverständnis der Soldaten hat, egal, auf welcher Hierarchiestufe.
Die Bundeswehr verschlingt einen nicht unbeträchtlichen Teil des jährlichen Bundeshaushalts. Aber was genau sie macht und vor allem warum sie was macht, darüber liegt ein Schleier der Unkenntnis. Was hatte es beispielsweise mit Deutschlands Sicherheit zu tun, wenn sie in Somalia ein Feldlager für eine indische Brigade aufbaut, die niemals dort eintraf? Wenn sie im Kongo manipulierte Präsidentschaftswahlen überwachte, bei denen es glücklicherweise zu keinen gewalttätigen Zwischenfällen gekommen ist? Oder wenn sie zwei Jahrzehnte lang am Hindukusch vergeblich versucht hat, Staat und Gesellschaft Afghanistans zu stabilisieren?
Wenn man in Deutschland über Sicherheitspolitik redet, dann redet man über die UNO und ihren Sicherheitsrat; über die NATO, die – den Amerikanern sei Dank – Deutschland beschützt; über die OSZE, die irgendwie wichtig erscheint, ohne dass man Genaueres über sie weiß; über die EU, die bedauerlicherweise sicherheitspolitisch nicht in die Puschen kommt. Sicher, manchmal redet man auch von der Bundeswehr. Aber deren alter Werbespruch »Wir produzieren Sicherheit« ist eigentlich nie auf viel Verständnis gestoßen.
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