Bei einer besonders faszinierenden Tiergruppe, jener der Spinnen, gehört der Besitz zweier Penisse nicht nur zur Sexual-, sondern weit mehr noch zur Überlebensstrategie des Männchens. Denn das Männchen ist bei den meisten Arten wesentlich kleiner als das Weibchen. Der krasse Unterschied in der Körpergröße wäre nicht weiter tragisch, wenn die Weibchen nicht die fatale Neigung verspürten, nach vollzogenem Geschlechtsakt den Partner aufzufressen. Das kommt daher, dass bei ihnen der Beutetrieb nicht immer scharf vom Begattungstrieb getrennt ist. Koitierend zu sterben, womöglich im Moment des Orgasmus, ist freilich nicht die schlechteste aller denkbaren Todesarten. Zudem ist sie im Dienst der Arterhaltung gar nicht so abwegig, wie sie aufs Erste erscheinen mag. Wegen der raschen und großen Produktion von Eiern haben Spinnenweibchen einen sehr hohen Eiweißbedarf, den sie auf diese praktische und billige Weise decken. Das Männchen hat mit der Abgabe des Samens ohnehin seine biologische Pflicht, sich fortzupflanzen, erfüllt. Hier bestätigt sich auf eindringliche Weise ein grundlegendes Gesetz der Natur: Ihr Interesse gilt vorrangig der Art und nicht dem Individuum.
Das Penispaar der Spinnenmännchen ist evolutionsgeschichtlich nichts weiter als das zum Begattungsorgan umfunktionierte vorderste Beinpaar (Pedipalpen). Vor der Begattung befüllt das Männchen diese beiden ›Bein-Penisse‹ mit Sperma, das aus dem vorderen Teil der Bauchseite austritt. Zu diesem Zweck spinnt das Männchen ein kleines ›Sperma-Netz‹; auf dieses setzt es einen Tropfen Samenflüssigkeit ab und packt das Befruchtungspaket mit beiden ›Begattungsbeinen‹. Damit ist das Männchen begattungsbereit. Diese Vorbereitung auf den Koitus kann mehrere Stunden in Anspruch nehmen – ein langes, autoerotisches Vorspiel des Männchens, wenn man so will. Wenn das Männchen sich schließlich einem Weibchen nähert, das Samen-Geschenkpaket vor sich hertragend, richtet es sich immer wieder hoch auf, erigiert gewissermaßen mit seinem ganzen Körper, und winkt der Auserwählten mit seinem geladenen ›Doppelpenis‹ zu. Das geht so lange, bis sich beide Tiere Kopf an Kopf gegenüberstehen. Falls das kleine Männchen Glück hat, und das vergleichsweise riesige Weibchen durch das winkende ›Penispaar‹ in Paarungsstimmung gekommen ist, kann es wagen, das Weibchen mit dem Mut des Begehrens anzuspringen, rasch seine beiden mit Samen beladenen Taster an der Geschlechtsöffnung des Weibchens zu positionieren und das Samenpaket eiligst in diese hineinzustopfen. Das ordinäre, vor allem im süddeutschen Raum gebräuchliche Wort ›stopfen‹ für koitieren bringt zumindest beim Spinnensex die Sache auf den Punkt.
Sie hat ihn zum Fressen gern
Bei einigen Spinnenarten benutzt das Männchen nur einen der beiden ›Tasterpenisse‹, der an speziellen Fortsätzen der weiblichen Geschlechtsöffnung einrastet. Meistens ist damit das Schicksal des Männchens besiegelt. Im Moment des Einrastens rastet das Weibchen buchstäblich aus; es schlägt, einem Tötungsreflex gehorchend, seine mächtigen Klauen in den Hinterleib des kopulierenden Männchens, falls dieses nicht flink genug ist, sich von seinem feststeckenden Penis loszureißen, diesen im Körper des Weibchens zurücklassend, um mit seinem anderen, heil gebliebenen Penis das Weite zu suchen. Falls ihm das gelingt, erbringt das Männchen den Beweis, dass es zumindest bei weiblichem Sexualkannibalismus nicht das Schlechteste ist, zwei Penisse zu haben. Falls das Männchen nicht entkommt und den tödlichen Biss erhält, ist damit die Samenübertragung nicht unterbunden. Der Penis des Toten führt sein Werk selbständig zu Ende. Ist dies geschehen, wird das Männchen, inklusive Penis, vom begatteten Weibchen verspeist. Erst verzehrt er sich nach ihr, dann wird er von ihr verzehrt. In sich stimmiger kann ein Liebesakt, zumindest aus weiblicher Perspektive, kaum sein.
Bei der Wespenspinne ist die Sache mit dem Sex ähnlich vertrackt, doch hat hier das Männchen eine reelle Chance, den Geschlechtsakt zu überleben. Das Weibchen ist nämlich nicht darauf fixiert, sich nur mit einem einzigen Männchen zu paaren. Es ist polygam, oder präziser ausgedrückt: polyandrisch. Das heißt, es will sich möglichst mit mehreren Männchen paaren und erst später entscheiden, welches Samenpaket es für die Befruchtung der Eier verwendet. Die Biologen sprechen in so einem Fall von ›kryptischer Weibchenwahl‹. Allerdings setzt die weibliche Spinnen-Anatomie der Polygamie Grenzen: Die Weibchen haben ›nur‹ zwei Geschlechtsöffnungen und können sich deshalb nur von zwei verschiedenen Partnern pro Paarungszeit begatten lassen. Anders als die Weibchen, sind die Männchen jedoch auf Monogamie geprägt, wenngleich auch sie im Besitz zweier Begattungsorgane sind. »In ihrem Interesse liegt es«, so meint die Verhaltensforscherin Jutta Schneider, »ein jungfräuliches Weibchen zu finden, mit ihm zu kopulieren und es dann zu monopolisieren.« Zu diesem Zweck verstopft das Männchen nach der Begattung die Geschlechtsöffnung des Weibchens mit der Spitze seines ›Taster-Penis‹– eine seltene Form der sexuellen Selbstverstümmelung. Jutta Schneider spricht von »Ein-Schuss-Genitalien«. Der Verlust der Penisspitze als Genitalpfropf lohnt sich für das Männchen insofern, als es dadurch sicherstellt, dass nach ihm kein Nebenbuhler in die von ihm besamte Geschlechtsöffnung des Weibchens eindringt und ebenfalls seinen Samen dort ablegt. Schließlich hat das Männchen ja noch einen zweiten Penis und kann damit ein weiteres Weibchen begatten und verpfropfen – vorausgesetzt, er kommt bei der ersten Kopulation mit dem Leben davon. Die flinksten Männchen haben so die Chance, zweimal im Leben zum ›Schuss‹ zu kommen, was ja ganz im Sinne der Evolution ist.
Auch bei den Walzenspinnen verläuft die Kopulation auf bemerkenswerte Weise: Das Männchen, das bei dieser Ordnung der Spinnentiere ausnahmsweise nur wenig kleiner ist als das Weibchen, fällt seine Geschlechtspartnerin regelrecht an und umklammert sie, wobei das Weibchen wie hypnotisiert in Bewegungslosigkeit verharrt. Danach wird es vom Männchen an einen sicheren Ort geschleppt und dort auf den Rücken gedreht. Mit Hilfe seiner Mundwerkzeuge weitet das Männchen die Geschlechtsöffnung des ›ohnmächtigen‹ Weibchens, setzt einen Samentropfen auf ihm ab und stopft ihn mit den Mundwerkzeugen hinein. Danach verschließt es die Ränder der weiblichen Geschlechtsöffnung, indem es diese zusammenkneift, und macht sich flink aus dem Staub, bevor das Weibchen aus seiner Sexualstarre erwacht. Auch beim Menschen gibt es Männchen, die am liebsten mit schlafenden oder sich schlafend stellenden Frauen koitieren – eine narzisstische Vorliebe, die dem Fetischismus zuzuordnen ist, genauer: dem Antifetischismus der Kinephobie (= Bewegungsangst).
Milben, die ebenfalls zu den Spinnentieren zählen, sind fast noch erfindungsreicher in ihrem Sexualverhalten als die Echten Spinnen. Bei einigen Wassermilben wird das Weibchen bei der Begattung vom Männchen nicht nur umklammert, sondern mit einer klebrigen Masse regelrecht festgekittet. Auch die Milbenmännchen haben sich darauf spezialisiert, ihren Samen mit den Mundwerkzeugen in die Geschlechtsöffnung des Weibchens zu stopfen. Bei manchen Arten legen sie allerdings keinen Wert mehr auf Körperkontakt beim Sex. Sie setzen ihre Samenpakete in der Nähe eines Weibchens ab und machen sich aus dem Staub. Die Weibchen stopfen sich diese Samen-Wurfpost, sobald sie sie entdecken, selber in ihre Geschlechtsöffnung – eine Art von masturbatorischer Kopulation. Freilich können die Männchen nie sicher sein, ob ihre abgelegten Samenpakete auch ans Ziel kommen oder womöglich nur in der Sonne vertrocknen.
Bei den Zecken – auch sie zählen zu den Spinnentieren – kriecht das penislose Männchen unter das an einem Warmblütler festgebissene Weibchen und steckt seinen Rüssel in die weibliche Geschlechtsöffnung, um diese zu weiten. Danach dreht das Männchen sich um, setzt ein Samenpaket ab und schiebt dieses mit Rüssel und Tastern in die geweitete Geschlechtsöffnung des Weibchens.
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