Als sie bei Stefan klingelt, hört sie ihn eilig durch den Flur zur Haustür laufen. Sie kann nicht sagen, woran sie seine Schritte erkennt. Normalerweise achtet sie gar nicht auf so was. Na ja, vielleicht mag sie ihn ja genug, um es mit ihm zu tun. Sie stellt sich nicht konkret vor, was sie tun wird und was er tut. Bloß nicht!
»Hey, Pia. Was machst denn du hier? Komm doch rein.« Stefan steht vor ihr.
Er sieht eigentlich gut aus, denkt sie, während sie »Hallo« sagt und hinter ihm die Wohnung betritt.
»Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?«, scherzt er.
»Weißt du denn gar nichts von heute …« Pia spricht den Satz nicht zu Ende.
»Du meinst die Party?«
Also hatte Martina doch Recht. Sie nickt.
»Kommst du mit zum Rhein?« Bittend sieht er sie an.
»Ich meine …«, stammelt Pia, »findest du das wirklich eine so gute Idee? Ich meine, wenn … wenn alle dabei zusehen?«
Statt einer Antwort legt Stefan seine Arme um sie. Pia lässt es erschrocken geschehen. »Ich will es, egal wo«, flüstert er dicht an ihrem Ohr und küsst sie zärtlich auf den Hals.
Merkwürdig fühlt sich das an. Abschreckend ist es eigentlich nicht. Nur ein bisschen plötzlich vielleicht.
»Na, was ist?« Er küsst sie noch einmal, zärtlich und behutsam.
Pia läuft ein angenehmer Schauer über den Rücken. Sie schmiegt sich an ihn, und er schließt seine Arme fester um sie.
»Bitte sag, dass du es auch willst.«
Sie zögert nur einen Augenblick. »Ja«, wispert sie, und er drückt sie an sich. Pia spürt seinen Körper, riecht sein Deo und noch etwas anderes, Parfüm vielleicht.
Hand in Hand gehen sie in sein Zimmer, wo Stefan Musik auflegt und Kerzen anzündet. Er ist wirklich wild darauf, es mit ihr zu tun. Pia beobachtet sein Treiben halb amüsiert und halb beunruhigt. Sie haben vorher nie darüber gesprochen, miteinander Sex zu haben, und Pia ist überrascht, dass Stefan das mit ihr will. Zwischen ihnen gab es nie eine erotische Spannung, obwohl sie schon Stunden zu zweit in dieser Bude verbracht haben. Offenbar geht es ihm doch um sie, nicht darum, den anderen seine Männlichkeit zu beweisen. Weil er sie jetzt will, ohne Zeugen.
»Komm.« Seine Stimme zittert und er drückt sie sanft auf die Couch, so dass sie halb sitzt und halb liegt. Sie lässt es aufmerksam geschehen. Spürt, dass sie neben ihrer Beklommenheit auch neugierig ist auf das, wovon alle Mädchen reden, was sie alle unbedingt tun wollen. Seine Berührungen sind sogar angenehm. Das hat sie nicht erwartet. Jungen haben sie nie gereizt. Sie hatte kein Bedürfnis danach, sie anzufassen oder gar zu küssen.
Stefan schiebt ihren Pullover hoch. Sie zuckt zusammen, als er ihren Bauch berührt. Als er ihre Brust anfasst, stöhnt sie leise.
»Komm«, sagt er wieder in diesem drängenden Ton und zieht Pia den Pullover über den Kopf, zerrt an ihrem T-Shirt und versucht fast verzweifelt, den Knopf an ihrer Jeans aufzubekommen.
»Ich helf dir, ja?«
Erleichtert lässt er sie machen. Schnell streift er alle Sachen ab und schlüpft unter die Bettdecke. Von dort sieht er Pia an. »Du bist schön«, murmelt er und schlägt die Bettdecke zurück.
Sie legt sich schweigend neben ihn. Ihr Kopf fühlt sich leer an. Die Stimmung von vorhin ist verflogen. Sie versucht, sich auf seine Hände zu konzentrieren, aber sie empfindet gar nichts mehr. Angezogen findet sie es viel erregender. Stefan wohl nicht. Er atmet schwer und legt sich auf sie. Sein Glied fühlt sich hart an, als er versucht, in sie einzudringen. Pia presst die Beine zusammen.
»Du musst ein Gummi benutzen.« Sie ist empört, weil ihm plötzlich alles egal zu sein scheint.
»Beim ersten Mal passiert nichts«, sagt er fast beschwörend.
»Das ist doch Quatsch. Steht ja sogar in der Bravo.« Ärgerlich schiebt sie ihn weg.
Mürrisch steht Stefan auf und kramt in einer Ecke herum. »Hier«, triumphiert er. »Willst du das nicht machen?«
Pia schiebt ein rosafarbenes, klebriges Kondom über sein Glied. Sie legt sich auf den Rücken und atmet ruhig ein und aus. Versucht, sich zu entspannen.
Als er in sie eindringt, fährt ein scharfer Schmerz durch ihren Körper. Sie beißt die Zähne zusammen, während er sich wild auf ihr bewegt.
»Stefan«, fleht sie, aber er hört sie nicht. Plötzlich stöhnt er laut auf und lässt sich kurz darauf auf sie fallen. Stille.
»Stefan.« Wütend schubst sie ihn von sich herunter.
Er schlägt die Augen auf. »Hey, hat es dir denn nicht gefallen?«
Pia schüttelt den Kopf.
»Gar nicht?«, fragt er.
Pia fängt leise an zu weinen. »Du hast mich überhaupt nicht beachtet«, schluchzt sie.
»Natürlich hab ich dich beachtet. Nur …« Hilflos sucht er nach Worten. »Na ja, als ich in dir drin war, da konnte ich das nicht mehr. Nicht mehr kontrollieren, weißt du. Für mich war es doch auch das erste Mal.« Entschuldigend sieht er sie an. »Wir werden es einfach noch öfter tun. Üben ist wichtig. Dann gefällt es dir bestimmt auch bald richtig gut«, versucht er sie zu trösten.
Pias Blick fällt auf die Uhr. »Scheiße, ich muss noch für die Party einkaufen.« Ohne eine Antwort abzuwarten, springt sie aus dem Bett, zieht sich hastig an, schnappt ihren Rucksack und rennt auf die Straße.
Nee, das will sie bestimmt nicht noch öfter üben, überlegt Pia, während sie einen billigen Wein aussucht. Soll sich Stefan doch ’ne andre suchen. Ob sich jedes Mädchen beim ersten Mal wie ein Gegenstand fühlt, nur weil der Junge sich nicht kontrollieren kann? Das kotzt Pia echt an. Die Frauen sollen herhalten, weil die Männer sich nicht unter Kontrolle haben und ihren Trieb befriedigen müssen.
»Ich hätte gern zehn Kondome«, wendet sie sich an die weiß gekleidete Apothekerin.
»Wie bitte?«
»Ich brauch sie für den Biologieunterricht.« Pia lächelt zuckersüß.
»Ach so, ja natürlich. Müssen es bestimmte sein?«
»Gefühlsechte«, bemerkt Pia trocken und lässt eine verstörte Apothekerin im Laden zurück.
Die kann mich mal, denkt sie. Bestimmt weiß sie, dass ich zum Internat gehöre. Meinetwegen soll sie es allen Nonnen persönlich auf die Nase binden. Dann werde ich eben gefeuert! Lieber unter einer Brücke schlafen als den Horror noch länger mitmachen.
Die Party steigt um 20 Uhr. Die Nonnen kontrollieren selten, ob auch wirklich alle im Bett liegen. Das müsste schon ein blöder Zufall sein. Die Mädchen schleichen auf Zehenspitzen und barfuß durch die abendlichen Treppenhäuser des Internats. Warum Pia überhaupt mitkommt, kann sie nicht sagen. Sie ist nicht besonders scharf darauf, Stefan wiederzusehen.
»Hast du den Wein?«, flüstert Martina.
»Ja klar«, sagt Pia.
Der Vater hat ziemlich viel getrunken. Pia kann Alkohol nicht ausstehen, sie hat noch nie welchen getrunken. Vielleicht wird sie es heute tun. Sie hat gelesen, dass man dann nicht mehr viel merkt von dem, was um einen herum geschieht. Genau die Wirkung ist ihr heute Abend recht. Sie will es nur hinter sich bringen.
»Hallo, da bist du ja.« Wie aus dem Boden gewachsen steht Stefan vor ihr.
»Hey«, sagt sie verlegen.
Er küsst sie sofort auf den Mund und seine Zunge drängt gegen ihre Zähne. Pia fühlt alle Augenpaare auf sich gerichtet, also öffnet sie den Mund, umarmt Stefan und schließt die Augen. So stehen sie Ewigkeiten da.
»Komm, Alter, deine Flamme hast du noch den ganzen Abend.«
Pia kennt den Jungen nicht, aber sie weicht einen Schritt zurück. Ist er etwa auf ihrer Schule? Dass ihr so ein Ekel gar nicht aufgefallen ist. Die drei anderen Jungs sind typische Gernegroß-Machos. Harmlos, aber unangenehm. Stefan ist mit Abstand der netteste. Martina geht anscheinend mit dem Ekel. Harro heißt er, hört sie später, als alle im noch warmen Sand sitzen und die erste Flasche Wein leeren.
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