»Und? Hat sie?«, erkundigte sich Belu.
»Also, wenn’s mich etzert so direkt froggn.« Nüsslein kratzte sich peinlich berührt hinter dem Ohr. »I hob no gor ned nochg’schaut. Naja, jedenfalls war die Tür offen, und i hob mer no denkt, dass die Frau Kursleiterin etzert an Anschiss kräigt, weil ich der des scho x-mal gsoacht hab und dann siech i a no a Maddn mitten im Eingangsbereich. Des haast, die Kursleiterin hat ned aafgramt – die Matte«, überbetonte Nüsslein das harte t.
Belu lächelte still vor sich hin. Sie fand es ganz charmant, dass Nüsslein zwischen dem fränkischen Dialekt und Schriftdeutsch hin und her wechselte.
Er schnäuzte sich geräuschvoll in ein Stofftaschentuch. Belu stellte verwundert fest, dass es gebügelt war. Anklagend hob er seinen Zeigefinger und stocherte in der Luft herum. »Genau da, wo sie nicht hingehört, und als ich dann rein bin, habe ich einen liegen sehen. Komisch verdreht, eine rot-braune Flüssigkeit war um seinen Kopf. Ich habe ja schon viel gesehen, aber so was wirklich noch nicht.« Nüsslein schüttelte sich angeekelt. »Man findet nicht jeden Tag eine Leiche.«
»Woher wussten Sie, dass Herr Meier eine Leiche ist?« Belu fragte ganz unschuldig, indem sie eine kleine Schnute zog.
»Des sieht ma doch imma im Fenseher.«
»Was denn, Herr Nüsslein?«
»Wenn einer so verdreht do liegt, dann is er meistens tot.«
»Haben Sie ihn bewegt?«
Nüsslein wurde knallrot, druckste herum. »Also gut, ich bin hin, habe meine Finger an seinen Hals gehalten, ob sein Puls noch schlägt. Aber bewegt hab ich ihn ned!«
»Und hat er geschlagen …? Der Puls …?« Belus Stimme klang ernst. Es freute sie ein bisschen, dass sie diesen überheblichen Hausmeister aus der Ruhe brachte.
»Nö«, antwortete Nüsslein. Er schlug die Lider nach unten. »Ich habe dann abgesperrt, meinen Chef, den Herrn Direktor Dressler, informiert, und der hat die Polizei angerufen. Im Fernsehen sieht man ja immer, dass man die Leiche nicht berühren und auch sonst nichts anfassen soll. Hab ich auch nicht! Ehrlich! Nur am Hals … Ach ja, die Schüler habe ich wieder zurück in ihre Klassen geschickt, bis auf die zwei Klassensprecher, die stehen da hinten.«
Beifall heischend sah er die Kommissarin an. Belu ließ sich nun darauf ein und meinte: »Das haben Sie gut gemacht, Herr Nüsslein.«
Ein Grinsen zog sich über sein Gesicht, das aber sofort verschwand, als Belu wie beiläufig fragte: »Und Sie haben sich wirklich nicht gewundert, dass die Saaltür nicht verschlossen war?«
»Des hob i Ihna doch scho gsagt. Kursleitung, Volkshochschule, ich habe auch mal Feierabend. Ich bleib doch nicht bis in die Puppen in der Schul. Des langt mer scho, wenn die Elternabend haben. Des ganze Jahr über kümmern sie sich ned um ihre Brut und dann – natürlich immer kurz bevors Zeugnisse gibt – kumma die Eltern und quatschen den Lehrern a Fleischküchla ans Ohr. Und da bleib ich dann natürlich scho, bis der letzte Lehrer ganga is.«
»Schon gut, Herr Nüsslein.« Belu schmunzelte in sich hinein. Nüsslein war ein typischer Hausmeister. Ohne ihn ging gar nichts, der wichtigste Mann, gleich nach dem Direktor. Da hatte Kollege Klaus schon recht gehabt. Oder war der Hausmeister die Nummer eins, dachte er zumindest, und Nummer zwei war der Direktor? Die Graukittel wussten alles, was im Schulhaus so vor sich ging, während sich der Anzugträger hinter seinen Akten und diversen Papieren versteckte.
»Übrigens, wie standen Sie zu Herrn Meier? Abgesehen davon, dass er ein arrogantes Arschloch für Sie war?«
Die Sache mit dem Schlüssel und der unverschlossenen Tür stellte Belu vorerst hinten an, zumal Nüsslein diese Tatsache großzügig überhörte. Sie machte sich eine geistige Notiz. Später würde sie darauf zurückkommen.
»Ein Fatzke war das, der immer raushängen ließ, dass er der Akademiker war und ich nur der Hausmeister mit Hauptschule. Früher war er ned a so. Da hatte ich weniger mit ihm zu tun. Seit ungefähr einem Jahr oda a länga hat der regelrecht zum Spinna ogf … ich meine zum Spinnen angefangen«, korrigierte sich Nüsslein. »Dabei würde ohne mich hier gar nichts laufen!« Jetzt richtete sich Nüsslein zu seiner vollen Größe auf – Belu schätzte ihn auf gut einen Meter neunzig. Als er Belus Gesicht sah, klappte sein Unterkiefer herunter. »Sie glauben doch wohl nicht, dass ich …? Wergli ned!« Er schnaubte verächtlich.
»Halten Sie sich bitte zu unserer Verfügung. Und bitte schauen Sie nach, ob die Kursleiterin von gestern Abend den Schlüssel in den Kasten geworfen hat. Das hätte Ihre erste Tat heute Morgen sein sollen, nicht wahr?«
Mehr sagte Belu nicht. Diesen kleinen Seitenhieb konnte sie sich nicht verkneifen. So ließ sie einen verdutzten Hausmeister zurück, dem eine leichte Röte den Hals hinaufkroch.
*
Er schlug zu: einmal, zweimal. Erst mit der flachen Hand, dann mit der Faust. Sie wimmerte entsetzt. Der Schmerz nahm ihr den Atem. Ihre Augen weiteten sich, als er den Schürhaken aufhob und auf sie zuging. Sie stand da, unfähig, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen.
*
Dr. Schimmelfuß’ Assistentin, ebenfalls von oben bis unten in einen Ganzkörper-Anzug gekleidet, kam auf Belu zu. Die Füße der jungen Frau steckten auch in Kunststoff-Überschuhen mit Gummizug. Belu grinste und murmelte so etwas wie sehr dekorativ. Laut sagte sie: »Was haben Sie Schönes für mich?« Die junge Frau zeigte ihr einen Plastiksack.
»Diesen Schlüsselbund mit der langen roten Schnur haben wir im Abfalleimer vor dem Turnsaal gefunden. Sehen Sie? Drei größere und ein kleiner Schlüssel. Der kleine könnte zu einem Briefkasten passen. Ich habe sie ausprobiert. Der große mit dem roten Punkt drauf passt in das Schloss vom Turnsaal. Fingerabdrücke habe ich schon genommen. Ich lasse es Sie schnellstmöglich wissen, wenn sie zum Toten passen.«
Belu bedankte sich. »Geht’s vielleicht heute noch?«
Die Assistentin verzog die Mundwinkel. »Dr. Schimmelfuß hat mir schon gesagt, dass sie am liebsten immer alles gestern hätten.«
»Dafür dürfen Sie auch in meine Gummibärentüte greifen.« Belu hielt ihr die geöffnete Tüte hin. »Bedienen Sie sich ruhig großzügig.«
»Wie nett, dass Sie an mein Hüftgold denken!«
»Die sind kalorienarm«, zwinkerte Belu. Und zu Klaus gewandt, sagte sie: »Wunderbar, somit gibt es also doch mehr als einen Schlüssel für die Turnhalle. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Meier sich den Schlüssel hat nachmachen lassen. Der wollte vom Hausmeister unabhängig sein und nicht jedes Mal bitten müssen, wenn er die Turnhalle betreten wollte. Nun, wir werden es wissen, sobald die Fingerabdrücke verglichen sind. Was sagen die Schüler, Klaus?« Belu deutete mit dem Kopf zur Türschwelle. Sichtlich schüchtern standen die beiden Jungs dort. Sie wirkten etwas verloren, vermieden es krampfhaft, im Turnsaal herumzuschauen.
»Das sind die Klassensprecher der zehnten Klasse. Nüsslein hat sie dabehalten, wohl als Ansprechpartner. Die anderen Schüler sind in ihren Klassenräumen. Beide haben übereinstimmend gesagt, dass Meier etwas speziell war.«
»Speziell?«
»Nun ja, keiner der Schüler konnte ihn leiden. Er war einfach zu autoritär. In seinem Unterrichtsfach Religion war er gerade noch so auszuhalten. In Mathe hat er die Arbeitsgruppe geleitet und sich um die Genies gekümmert, aber ganz extrem muss es im Sportunterricht zugegangen sein. Da hat er sich wohl auch selbst nicht geschont, was seine sportlichen Aktivitäten anbelangte. Jedenfalls ist den Schülern aufgefallen, dass er doch immer mal blaue Flecken hatte.«
»Ein reizendes Kerlchen«, warf Belu dazwischen. »Ich nehme an, dass die Schüler sich vor ihm fürchteten?«
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