Christa Wagner - Ein unerwartetes Geständnis

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Eine Liebe zwischen Schwarz und Weiß weit vor der aktuellen Rassismus-Debatte:
In den sechziger Jahren lernt die 18-jährige Bärbel einen farbigen US-Soldaten kennen und lieben. Die Umstände zwingen sie, eine schwierige Entscheidung zu treffen.
Vierzig Jahre später fährt Tochter Simone zum Krankenbett ihrer Mutter. Bärbel liegt im Sterben. Sie findet aber noch die Kraft, ihrer Tochter von ihrer großen Liebe zu erzählen. Simone ahnt nicht, dass diese unerwartete Offenbarung ihr eigenes Leben aus den Angeln heben wird.

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Ein unerwartetes Geständnis

Christa Wagner

Roman

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www.net-verlag.de

Erste Auflage 2021

© net-Verlag, 09125 Chemnitz

© Coverbild: pixabay

Covergestaltung, Lektorat und Layout: net-Verlag

printed in the EU

ISBN 978-3-95720-299-4

eISBN 978-3-95720-300-7

Für Lena, Hannes und Jonas

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Über die Autorin

1

Wie sehr die kommenden beiden Tage ihr Leben für immer verändern sollten, konnte Simone nicht ahnen, als sie im Mai 2007 mit ihrem Auto unterwegs in ihr Heimatdorf war. Regen prasselte gegen die Windschutzscheibe, die Wischer flitzten hin und her. Simone hatte Mühe, die Augen offen zu halten. Regengrau und Müdigkeit drückten zusätzlich ihre Stimmung, die mit der Aussicht auf die kommenden Tage eigentlich schon ausreichend getrübt war: heute und morgen die kranke Mutter betreuen. Allein.

Aber es gab kein Ausweichen, sie war die einzige Wahl. Der Vater und ihr Bruder samt Familie, die normalerweise für die Pflege zuständig waren, weil sie alle zusammen auf dem Hof lebten, fuhren zur Beerdigung eines Onkels nach Hamburg. Über 600 Kilometer waren einfach zu viel für einen Tag, klar verstand sie das. Simone seufzte.

Die Vorstellung, für zwei Tage mit der kranken Mutter allein und für alles verantwortlich zu sein, verursachte Bauchgrimmen und schweißfeuchte Hände, die am Lenkrad klebten. Obwohl die Diakonie früh und abends die schwere Arbeit erledigte – Gott sei Dank – und für sie nur noch Handgriffe blieben, hatte sie Angst davor, mit ihrer Mutter, die nicht allein sein sollte, allein zu sein.

Tränen traten Simone in die Augen. Rasch wischte sie sie mit dem Jackenärmel weg; sie musste klar sehen, sich auf die Straße konzentrieren. Wenigstens ließ der Regen etwas nach.

Die letzten Monate hatte Mutter abwechselnd im Krankenhaus und zu Hause verbracht. Jetzt war sie austherapiert. Was für ein Wort! Warum sagten sie nicht einfach, was es war? Endstation. Warten auf den Tod.

Das Nachbardorf tauchte auf, die Pappelallee, die den Berg hinauf in Simones Dorf führte. Sie hatte all die Jahre, in denen sie in der Stadt lebte, nie das Gefühl gehabt, nach Hause zu kommen, wenn sie ins Dorf zurückfuhr. Es bedeutete ihr nicht mehr viel, war ihr fremd geworden. Sie hatte sich auch wenig um den Erhalt von Kontakten bemüht. Wozu auch? Die Freunde von einst lebten ein völlig anderes Leben.

Simone bremste am Ortsschild auf 50 km/h, bog von der Hauptstraße ab; geradeaus vor ihr lag direkt der Hof. Jetzt, nach der Wetterfront, spiegelten sich die ersten Strahlen der Morgensonne im Regennass.

Sie parkte vor der Scheune, nahm ihren Trolley und den Cellokasten aus dem Kofferraum, öffnete die immer unversperrte Haustür und trat in die Diele, wo sie beides erst einmal abstellte. Sie wusste, sie würden alle in der Küche sein.

Nach raschem Klopfen öffnete Simone die Tür. Da saßen sie auf der Eckbank um den großen Küchentisch: ihr Vater Reinhard, ihr Bruder Walter, die Schwägerin Irene und sogar der sechsjährige Marco, ihr Neffe – alle schwarz gekleidet, startklar für die bevorstehende Fahrt zur Beerdigung.

»Na endlich!« Irene sprang auf.

Die anderen nickten ihr lediglich zu.

Simone wuschelte Marco durchs Haar. »Du bist ja schon wieder gewachsen!«

Vater brummte: »Es wird Zeit, dass er im Herbst in die Schule kommt, er hat nur noch Unfug im Kopf.«

Marco grinste, Simone lachte.

Irene lief zum Kühlschrank. »Ich erkläre dir jetzt, was mit Bärbel zu tun ist. Wir müssen gleich los.« Sie nahm Fläschchen und Tabletten heraus und dozierte, was wann zu geben und wie zu handeln sei bei allen möglichen Eventualitäten.

Simone nickte alles stumm ab.

Dann endlich brachen sie auf.

»Bis morgen Abend!«, rief Simone noch. Die Autotüren wurden zugeschlagen, der Wagen startete, wurde leiser. Simone schnaufte durch, ging auf die Schlafzimmertür zu, zögerte, drückte dann aber langsam die Klinke.

Da lag die Mutter in ihrem weißen Krankenhausbett, dünn, blass. Von ihrem Leiden gezeichnet, aber mit lebhaften Augen. Kaum zu glauben, dass sie erst achtundfünfzig war.

»Meine Simone!« Mit leichtem Lächeln hob Bärbel die schmale Hand etwas an.

Simone ergriff sie, streichelte die welke Haut, lächelte zurück. Dann gab sie sich einen Ruck und fuhr mit den Fingern sanft die Gesichtskonturen ihrer Mutter nach. Sie spürte, wie sie sich beide entspannten.

»Wie geht es dir?« Simone hörte selbst, wie hohl ihre Frage klang.

Umso mehr überraschte sie die Antwort ihrer Mutter. »Gut. Verhältnismäßig gut. Bin froh, endlich zu Hause zu sein.«

Ihre Stimme klang wirklich nicht mehr ganz so schwach wie beim letzten Mal bei Simones Besuch im Krankenhaus, selbst die Augen schimmerten klarer.

»Das ist schön, Mama. Sehr schön!« Simone lächelte zuversichtlich.

»Und dir? Was macht Georg?«

»Mir geht’s wie immer, Mama. Das Wochenende war wieder stressig. Drei Aufführungen. Bin jede Nacht um eins ins Bett gefallen. Aber jetzt hab ich zwei Tage frei. Übermorgen beginnen wieder die Proben. Übrigens hab ich mein Cello dabei, um ein bisschen zu üben, und vor allem, um dir mal was vorzuspielen. Du magst das ja so.«

Bärbel nickte und lächelte in sich hinein.

Simone fuhr fort: »Und Georg? Ja, der hat viel zu korrigieren mit einer Abiklasse in Mathe. Momentan sehe ich nicht viel von ihm. Wenn ich Zeit habe, ist er in der Schule, und wenn er frei hat, muss ich spielen. Das alte Problem. Na ja. Aber Mitte August wollen wir für zwei Wochen nach Norwegen fahren. Da freu ich mich drauf.«

Die letzten beiden Sätze sprach Simone leiser, unsicherer. Ihr wurde bewusst, dass ihre Mutter dann wahrscheinlich nicht mehr lebte. Wie konnte sie nur so unsensibel sein und behaupten, sich auf eine Zeit zu freuen, in der ihre Mutter nicht mehr da sein würde.

Aber Bärbel drückte ihre Hand. »Schön, dass du dich auf die Ferientage mit Georg freust. So muss es doch sein.«

Simone antwortete nicht. Sie hatte Georg schon mehrmals mitgebracht in den drei Jahren, in denen sie zusammen waren. Er war nett zur Familie gewesen, hatte sich um Gesprächsthemen bemüht, mehr als sie selbst. Es gab durchweg positive Rückmeldungen. Die Schwägerin ließ sich sogar zur Bemerkung hinreißen, Georg sei doch etwas ganz anderes als dieser Koreaner. Simone hatte ihr hinter ihrem Rücken die Zunge rausgestreckt. Wenigstens das.

Simone schaute ihre Mutter an. Heller, kurzer, grauer Flaum hatte sich über der Kopfhaut gebildet, seit die Chemo abgesetzt war. Jetzt schaffte es die Morgensonne, durch die Wolken zu brechen, und ein einzelner Lichtstrahl beleuchtete Bärbels Bett. Der Flaum leuchtete auf dem Kissen wie ein fransiger Heiligenschein, der den Kopf umrahmte. Das Gesicht strahlte unerwartete Energie aus.

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