1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Mir drehte sich der Magen um. Hatten wir sie etwa alle zu kurz gesägt? Wir sahen uns an und rannten zu dem Stapel präparierter Stämme, die als Fußbodenbohlen fürs Loft gedacht waren. Wortlos ging Frank mit dem Messband von Stamm zu Stamm und sagte schließlich: „Tja, die sind alle auf genau 14 Fuß zugesägt.“
„So eine verdammte Scheiße“, brüllte Chris los. „Die können wir alle wegschmeißen! Die ganze Arbeit umsonst!“
„Und wenn wir nochmals Bäume fällen?“, fragte ich.
„Wo denn? Das muss Nadelholz sein, weil es tragende Balken sind, und darf weder zu schlank sein wegen der großen Spanne, noch zu dick, weil wir sie sonst nicht hochkriegen“, protestierte Chris. „Selbst wenn wir passende Bäume auf dem Grundstück hätten – ohne erst auszutrocknen sind die viel zu schwer für uns! Und so lange können wir nicht warten!“
„Und wenn du stattdessen Bretter sägst?“, schlug Frank vor.
„Woraus denn? Die paar langen, dicken Stämme, die wir noch haben, brauchen wir alle, um die Bretter für den Dachstuhl herzustellen.“ Beklemmendes Schweigen.
„Und wenn wir auf das Loft verzichten, einfach jetzt das Dach draufsetzen?“, fragte ich.
„Dann zieht im Winter beim Heizen die ganze warme Luft nach oben und unterm Dach sind's 30 Grad, während wir unten im Kalten sitzen“, sagte Chris. „Da muss so oder so ein Boden eingezogen werden.“
Unser Loft muss isoliert werden
„Außerdem wollt ihr das oben doch als Schlafraum für die Jugendherberge nutzen, oder?“ Frank setzte sich auf den Stapel Baumstämme. Koyah, der ein feines Gespür für Missstimmung hatte, kam angetrottet und stupste mich tröstend an.
Chris starrte auf unser Bauwerk. „Also, was machen wir? Hier rumsitzen bringt nichts! Los, Leute, wir müssen fertigwerden!“
Gelbes und oranges Herbstlaub leuchtete um uns herum wie Warnlichter. Auf den Bergen lag bereits der erste Neuschnee. Ich seufzte. „Schlimmstenfalls bleiben wir den Winter über im Walltent . Einen Ofen haben wir ja drin.“
„Ich verbringe doch keinen ganzen Winter im Zelt!“ Chris kniete sich vor die Stämme und befingerte die Enden.
„Und ich geh nicht wieder nach Atlin zurück“, schnappte ich. „Ich will nicht den Winter über in deiner Cabin im Ort sitzen! Das hier ist jetzt mein Zuhause. Meins in Atlin hab ich verkauft.“
Plötzlich sprang Chris auf und lief zu unserem Werkzeugdepot neben der Baustelle. Mit einer Faust voller 40 Zentimeter langer Nägel kam er wieder. „Hier“, rief er triumphierend. „Wir nageln die Stämme in die Wand.“
„Nageln? Aber dann hängen die nur an den Nägeln! Die müssen ja nicht nur die OSB-Platten, sondern unsere ganzen Versorgungsmittel und das Bett inklusive uns tragen!“ Ich starrte die Nägel an. „Das wird doch nie im Leben halten!“
„Könnt ihr nicht Stützbalken daruntersetzen?“, fragte Frank.
„Irgendwie so was können wir noch machen“, sagte Chris. „Ist doch egal, Hauptsache, die Dinger halten erst mal und wir können mit dem oberen Stockwerk weitermachen. Wenn das Haus gedeckt ist und der Ofen drin ist, haben wir Zeit, uns was zu überlegen. Aber jetzt nicht!“
„Also gut. Nageln wir sie fest.“
Die Nägel hielten tatsächlich. Angetrieben vom bunt leuchtenden Herbstlaub und dem Neuschnee auf den Bergen, der sich stetig in die Baumgrenze hinunterarbeitete, bauten wir das Loft in Rekordzeit. Natürlich waren die Wände nur halbhoch, aber inzwischen ging uns die Arbeit auch leichter und schneller von der Hand. In den letzten Wochen waren wir nicht nur zu Muskelpaketen geworden, sondern hatten auch die Tücken jedes einzelnen Vorgangs in- und auswendig gelernt. Sobald es kompliziert wurde, riefen Chris und ich nach Frank, der mit einer Engelsgeduld und viel Konzentration auch der schwierigsten Aufgaben Herr wurde.
Unser Blockhaus ist noch vor dem Winter fertig geworden
Ende September, kurz bevor Frank nach Deutschland zurückfliegen musste, war das Dach fertig gedeckt und der Ofen installiert. Nicht nur das Haus war fertig, sondern wir auch: Je näher der Winter rückte, desto mehr hatte Chris uns bei der Arbeit vorangetrieben. Ich war das Wildnisleben zu dritt herzlich leid, bei dem es durch unseren selbstgemachten Stress und die Isolation des Waldes immer wieder zu Spannungen kam.
Es war eine Ausnahmesituation für uns alle gewesen. Chris hatte sich nicht nur dafür verantwortlich gefühlt, dass wir die Cabin innerhalb von drei Monaten fertigstellten. Ihm war auch wichtig, dass Frank trotz der vielen Arbeit eine Art Urlaub bei uns hatte – und Frank war in der unbekannten Wildnis mit ihren Bären und weglosen Wäldern nur ungern allein.
Innen ist noch alles ein Provisorium
Auf dem Bau arbeitete ich wesentlich lieber mit ihm als dem ständig aufbrausenden Chris zusammen, aber gerade darum fehlten mir in den drei stressvollen Monaten umso mehr entspannte Momente der Zweisamkeit mit meinem Freund. Wir waren alle erleichtert, als nicht nur das Bauen an der Cabin endlich ein Ende hatte, sondern auch unser Leben als Dreiergespann in der Wildnis. Das Kennenlernen der Einsamkeit konnte jetzt beginnen.
Herbst in der Wildnis
„Verdammt noch mal!“ Fluchend drückte ich gegen die nadeligen Äste des verfilzten Tannendickichts. Chris hatte ich schon vor Minuten aus den Augen verloren. Der Fetzen Himmel, den die Bäume freiließen, war bleigrau, und weder Berggipfel noch die Sonne zeigten sich als Richtungsweiser. Mein Herz pochte in meiner Kehle. Ich hatte keine Ahnung, wo zum Teufel ich eigentlich war und in welche Richtung es zu unserem Blockhaus ging. Unsere Erkundungsgänge im Herbstwald endeten fast immer so: in einer Sackgasse aus dichtestem Gesträuch oder mitten im Sumpf, und mit der brennenden Frage, wo genau wir uns überhaupt befanden. So viel zum Thema leicht zu durchwandernder Mischwald.
„Sweetie?!“ Angespannt lauschte ich. Die Hunde blieben stehen und horchten ebenfalls.
„Hier!“, kam es dumpf von links, irgendwo zwischen den Bäumen. „Ist es dahinten besser zu laufen?“, rief ich und spürte die momentane Angst von mir abfallen, dass ich mich nicht nur verlaufen, sondern auch noch Chris im Wald verloren hatte. „Hier ist alles komplett dicht!“
„Warte, ich komme!“
Hektisch nestelte ich in meinem Rucksack nach dem Kompass. Schritte knacksten, und dann stand Chris vor mir, die Mütze und Schultern mit Blättern und kleinen Zweigen bestreut. Er hatte sein GPS in der Hand. „Wir sind hier schon richtig“, sagte er und tippte auf den kleinen Bildschirm des Geräts. „Aber wir müssten doch schon längst den See sehen“, protestierte ich. „Nein, wir kommen bloß zu langsam voran. Jetzt haben wir für 500 Meter geschlagene zwanzig Minuten gebraucht!“
Blizzard sah mich an und ging ein paar Schritte, blieb stehen und blickte mich wieder an. „Ja, ich weiß, Blizzy, wir wollen nach Hause!“ Er ging gemessenen Schrittes weiter in seine eingeschlagene Richtung und sah sich erneut um.
„Du, ich glaub, er will uns nach Hause führen“, sagte ich zu Chris und zeigte auf meinen Hund.
Читать дальше