„Ich weiß“, grinste Chris und streichelte mir über den Arm. „Das passt irgendwie nicht und braucht Strom, aber das hier wird doch unser permanentes Zuhause. Funkgerät und Rauchzeichen sind nichts für immer.“
„Dann müssten wir den Generator ja noch mehr laufen lassen“, schmollte ich. Wie sehr hatten wir uns darüber gestritten, einen Stromgenerator anzuschaffen! Ohne Strom könnten wir nicht bauen, hatte Chris behauptet. Wie sonst sollten wir eine Kreissäge und einen Bohrer beim Blockhausbauen benutzen?
Geht auch alles mit der Kettensäge oder per Hand, hatte ich entgegnet. Die Menschheit hat es schließlich ohne Stromgeneratoren geschafft, den gesamten Planeten zu besiedeln. Auch in meinem Bergtal außerhalb von Atlin war es stromlos, still und friedlich gewesen, bis noch zwei Haushalte dazukamen und das elende Gebrumme ihrer Stromgeneratoren das Tal erfüllte. Ich verstand nicht, wie man so abgelegen wohnen wollte, sich aber nicht vom Stromkonsum abnabeln konnte.
Ich hatte dort ohne Elektrizitätsversorgung gebaut und mich auch zuvor in Atlin so arrangiert, dass ich zu Hause für nichts Strom brauchte. Öllampen gaben mir Licht, ich heizte mit Holz, Wasser holte ich mir in Eimern vom Bach, kochte auf Propanflammen und hatte ein Plumpsklo. Den größten Teil des Jahres hielten sich Lebensmittel draußen und sogar auch drinnen in einer kühlen Ecke des Hauses frisch. Im Sommer ging ich einfach öfter einkaufen und benutzte im Ort das Telefon, Internet und den Waschsalon. Einen Verzicht oder Entbehrungen spürte ich dabei nicht, nur ein großes Gefühl der Freiheit.
Ich hatte es für selbstverständlich gehalten, dass das Leben mit Chris in der Wildnis ebenso einfach sein würde, auf die elementarsten Dinge beschränkt. Falsch gedacht.
Blizzard, Silas, Koyah und Nicole
„Du bist da wirklich extrem“, meinte Chris. „Und du kannst hier draußen mit mir zusammen nun mal nicht haargenau so leben wie allein in Atlin.“ Ich stopfte mir noch eine Himbeere in den Mund. Nicht schon wieder streiten! Unser Baualltag war schon stressig genug.
„Du hast in Atlin ja deinen Strombedarf im Ort gedeckt“, fuhr Chris unbeirrt fort. „Ganz darauf verzichtet hattest du doch nicht. Und hier können wir nicht mehr zum Telefonieren kurz mal ins Dorf fahren.“
„Das weiß ich ja.“
„Mit einer Solarzelle bräuchten wir den Generator zumindest im Sommer bestimmt nicht oft laufen lassen. Die Funktelefone sollen ja abgeschafft werden, und billiger und vielseitiger als ein Satellitentelefon ist Internet auf jeden Fall“, sagte Chris. „Wenn wir Internet hätten, wären nicht nur die Reservierungen kein Problem, sondern die Leute könnten auch über PayPal bezahlen. Durch Skype hätten wir sogar eine Telefonverbindung.“
Der Herbst naht
„Hm.“
„Und über E-Mail könnten wir leicht Kontakt zu unseren Freunden und Familien halten.“
„Ach, ich weiß nicht … “ Seufzend befingerte ich die Schwielen an meinen Händen. Sah so das moderne Wildnisleben aus? Mit Satellitenschüssel und Generator im Wald? „Aber erst muss das Haus überhaupt mal fertig werden.“
Wettkampf gegen den Winter
Herbstspaziergang
Wettkampf gegen den Winter
Tagish Lake, Anfang September 2005.
Jetzt sah unsere Cabin nicht mehr wie ein Holzkasten mit Moosbewuchs aus, sondern fast wie ein richtiges Blockhaus: Das untere Stockwerk war fertig. Fünf Rahmen warteten darauf, dass wir die gebraucht gekauften Fenster einsetzten, und die Öffnung für die Tür gähnte in der Wand. Aber erst hieß es, das Loft und Dach fertigzustellen.
„Okay, lass uns die Dinger hochschieben!“ Chris hievte das Ende eines der über vier Meter langen Stämme in die Höhe, die als Bodenbalken für den Loftfußboden dienen sollten. Wir hatten sie bereits vor Wochen geschält, damit sie gut austrocknen konnten und sich mittels Muskelkraft und Seilwinde mühelos in die Höhe befördern lassen würden.
Aus den Stämmen wird ein Haus
Ich kletterte mit Frank auf die Hauswand, um den Stamm in Empfang zu nehmen. „Kannst du den denn allein hochschieben?“, rief ich zu Chris hinunter.
„Ausprobieren. Seid ihr bereit?“ Er umklammerte den dünnen Stamm, ging in die Hocke und begann zu stemmen. „Uuuuaaaah!“
„Okay, weiter!“ Frank und ich griffen nach dem Holz und zogen.
„Wohin damit?“, keuchte ich.
„Quer über die Ecke legen!“
„Okay!“
Wir zogen und rückten, Chris stemmte, und mit einem Schwung hatten wir das Biest oben. Vorsichtig bewegten wir den Stamm, bis er quer über der Hauswandecke lag.
„Super!“ Chris' verschwitztes Gesicht tauchte unter mir auf der Leiter auf. „Ich geh schnell auf die andere Seite, und dann schieben wir ihn in Position.“
„Und das klappt, hier oben die Nut zum Verfugen anzuzeichnen und zu sägen?“ fragte ich. Kettensäge und Leiter waren mir als Kombination nicht so geheuer. Mangels Extrabretter und Zeit arbeiteten wir ohne Baugerüst.
„Klar, ist alles kein Problem.“ Chris war schon auf der gegenüberliegenden Wand und zerrte am Stamm.
Chris schraubt die Dachpaneele an
Langsam bewegten wir ihn über die Wand in die Position, in der wir ihn in die Balken verfugen wollten, die nach oben hin die Wand abschlossen. Er schien haargenau zu passen, nur ein kleines Stück noch – plötzlich schrien wir alle durcheinander. „Scheiße, pass auf!“
„Achtung, das wird knapp!“
„Der ist ja viel zu kurz!“
„Ich kann ihn nicht mehr halten!“
Der Stamm rutschte von den Wänden und knallte auf den Fußboden des unteren Stockwerks. Mit einem lauten Rumms schlug er gegen die Wand, auf der ich saß. Der ganze Bau erzitterte. Panisch klammerte ich mich fest. Der Stamm fiel ganz auf den Boden, die Wand vibrierte noch einen Moment, und dann war alles still.
„Verdammte Scheiße!“
„Seid ihr okay?“
„Wenigstens haben wir stabil gebaut.“ Nervöses Gelächter. Wenn der Stamm vorher abgerutscht wäre, als Chris noch darunter stand … Mit weichen Knien kletterte ich die Leiter hinunter und in die Cabin hinein. In der OSB-Fußbodenplatte, die der Stamm zuerst getroffen hatte, klaffte ein 20 Zentimeter langes Loch.
Chris legte mir den Arm um die Schultern. Ich schmiegte mich an ihn, konnte den Blick nicht von dem Loch in der OSB-Platte reißen. „Hat doch alles gehalten.“
„Das Ding ist zu kurz“, stellte Frank fest und griff nach dem Bandmaß. „Wie breit ist die Hütte?“
„14 Fuß“, sagten Chris und ich wie aus einem Mund. Da in Kanada alles Baumaterial in Fuß und Inches statt metrisch bemessen ist, fährt man besser damit, auch in diesen Dimensionen zu bauen.
Frank hakte das Maßband ans Stammende und zog es lang. „Exakt 14 Fuß.“ Er grinste schief. „Kein Wunder, dass das Ding runtergeknallt ist. Da ist nichts mehr mit Nut raussägen und verfugen! Dafür müsste der mindestens dreißig Zentimeter länger sein.“
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