Was für einen Schreck muss er bekommen haben. Und wie erleichtert er nun wirkt. Und was für einen Sicherheitsabstand der eigentlich so wasserbegeisterte Hoover nun vom Pool und der Balustrade hält! Fehlt nur noch, er signalisiert mir, dass er den Urlaub von nun an doof finde und jetzt nachhause fahren wolle. Ich beschließe, ihm die Gefahrlosigkeit jener Brüstung zu demonstrieren, und setze mich im Schneidersitz mit dem Rücken zum Geländer und damit zum Abgrund oberhalb der tiefsten Stelle hin. Er schaut geschockt – aus sicherem Abstand. Und überlegt wohl, wie er mich retten könnte, wenn er denn müsste. Ich stehe wieder auf, schlendere zweimal auf der Brüstung um den Pool und jogge ein drittes Mal denselben Weg entlang. Das reicht, um es ihn völlig unaufgefordert doch noch mal ausprobieren zu lassen.
Hoover schleicht sich an, traut sich nun wieder auf die Platten der Poolumrandung, setzt einen Schritt vor den anderen, erst ganz vorsichtig, dann in normalem Tempo. Und bald immer schneller. Seine Rute, die anfangs ängstlich herunterhing, ist nun wieder auf Normalposition. Der Knoten scheint geplatzt, sein Experiment geglückt: Man kommt hier tatsächlich aus eigener Kraft und ohne zusätzliche Sicherung entlang, ohne dass etwas geschieht!
Und er wäre nicht Hoover, würde er nicht gleich wieder vor Begeisterung überschäumen. Und vor Temperament. Deshalb nimmt er die Runde jetzt im Galopp, danach sofort die zweite. Und dann das: Er rutscht in Schräglage in der Kurve aus vollem Lauf aus und platscht mit viel Krach und reichlich Spritzern in den Pool. Ich muss lachen, und gleichzeitig bin ich erschreckt. Denn die Brüstung ist von der Wasserseite aus für einen schwimmenden Hund zu hoch, als dass er sich dort aus eigener Kraft wieder mit den Vorderpfoten heraushebeln könnte. Jetzt laufe ich zu der Stelle, von der aus drei gemauerte Treppenstufen ins Becken hineinführen, knie mich dort hin, rufe ihn. Er kommt mit einer Schleppe aus reichlich Spritzwasser angeschwommen, steigt über die Stufen als einzig möglichen Ausgang wieder aus dem Wasser, um sich gleich darauf unmittelbar neben mir so gewaltig zu schütteln, als könnte er das eigene Fell mehrfach und ganz schnell hinter einander um den eigenen Leib rotieren lassen.
Die Sache hat Wirkung. Er ist fast aus dem Stand wieder trocken. Und ich bin klatschnass. Macht nichts. Bei 22 Grad an einem Frühsommertag im Januar ist das nicht schlimm. Hoover unterdessen findet das alles nun sichtbar lustig, hat die Oberfläche der langen schwarzen Schnauze in Falten gelegt, als würde er grinsen.
Er wird die ganze Reise über nie mehr geordnet in den Pool steigen. Hineinfallen wird er auch nicht. Aber drumherum laufen noch sehr oft, mit größter Selbstverständlichkeit, ohne jede Sorge. Und er wird da sitzen und schauen, wo ich an diesem ersten Aufenthaltstag für einen kurzen Moment im Schneidersitz saß. Als ob genau diese Stelle energetisch ganz besonders aufgeladen sein muss. Und manchmal werde ich das Polster der Gartenliege hinter mir her auf die Brüstung zerren, weil dort am Nachmittag noch länger Sonnenlicht ist als auf der eigentlichen Terrasse, und das Polster alsbald mit einem schwarzen Flat Coated Retriever teilen, dem dieser Platz ebenfalls richtig gut gefällt.
Die erste Nacht in der Fremde
Hoover glaubt offenbar, im Urlaub seien Regeln durch proaktives Tun neu verhandelbar. Als ich am ersten Abend einigermaßen müde in T-Shirt und Boxershorts aus dem Bad ins Ferienhaus-Schlafzimmer schlurfe, sehe ich im matten Schein der Nachttischlampe dies: Da liegt ein großer schwarzer Retriever quer im Bett und vereinnahmt etwas mehr als die untere Hälfte. Ganz kurz hebt er den Kopf ein paar Zentimeter, schaut flüchtig auf und sein schläfriger Blick scheint so etwas wie »Ach, Du bist’s bloß. Komm endlich. Ich schlaf schon« zu sagen. Gleichzeitig kommt mir dieser Augenausdruck, die ganze Inszenierung irgendwie einstudiert vor. Als wüsste er genau, dass da gerade etwas aus dem Ruder läuft und es dennoch nur ein wenig Schauspielkunst und guter Choreografie bedarf, um damit durchzukommen. Schließlich sind irgendwie ja Ferien.
Dabei gilt grundsätzlich die Regel, wonach der Hund durchaus mit ins Bett darf, weil er so schön kuschelig ist, einen sehr ruhigen Schlaf hat, deshalb über Stunden kaum jemals die Position ändert. Und weil wir ein Rudel sind. Seit der Zwischenübernachtung in Frankreich haben sich die Regeln offiziell nicht geändert. Alles, was dort war, war eine Ausnahme: Er darf niemals alleine ins einzige Bett, niemals vor mir. Es bleibt mein Bett. Und er darf auf Signal am Fußende zusteigen, wenn ich drin bin und es mir gemütlich gemacht habe.
Ich bin sicher: Er weiß es noch immer ganz genau. Er probiert es einfach aus. Und mir bleibt nichts anderes, als darauf zu pochen, hier der Hausherr zu sein. Also: aufstehen, raus da, runter muss er. Los jetzt. Runter! Er schaut. Er zögert. Er grunzt. Er verlagert sich, rutscht ein Stück. Ich warte, sage nur noch mit strengstmöglichem Tonfall: »Jetzt!« und zeige erst auf den hochflorigen gelb-roten Läufer neben dem Bett und dann auf das mitgereiste Hundekissen in der Ecke. Er stöhnt noch mal so etwas wie in genervtes »Oh, Mann!«, rückt erst noch ein Stück zur Seite, wartet ab. Und steigt schließlich aus.
Ich kuschele mich in mein Bett und unter meine Bettdecke. Er steht derweil daneben, schaut genau und macht keine Anstalten, eigenmächtig wieder zuzusteigen – bis ich »Is’ gut, jetzt komm« sage und er sich wohlig-warm neben mein rechtes Bein wirft. Ab und zu müssen wir die Hierarchie neu ausfechten. Es klappt recht gut. Und ich bin froh, dass er wieder da ist, denn Winternächte in einem spanischen Ferienhaus ohne richtige Heizung können nicht nur sehr kühl sein, sie sind es auch. Und kaum etwas hilft besser gegen kalte Nächte als ein gut durchbluteter Retriever in unmittelbarer Nähe.
Dreimal wache ich diese erste Nacht davon auf, dass mein Hund kurz »Wuff« im Bett sagt, als wollte er mich möglichst diskret darüber informieren, dass irgendetwas anders als üblich ist. Beim ersten Mal höre ich draußen immer wieder ein Käuzchen rufen und sage zu Hoover »Alles gut, ganz fein«, was ihn stets sogar aus höchstem Alarm in die Normalität zurückholt. Wenn ich Neues so eingeordnet habe, gehört es für ihn fortan zum Alltag. So war es als Welpe bei seinem ersten Gewitter, später beim ersten Spielmannszug, der zuhause am Haus vorbeizog. So war es im Etappenhotel bei den Korridorgeräuschen. Beim zweiten Fall in dieser Nacht sind es dicke, schwere Regentropfen eines kurzen Schauers, die ihn alarmieren, als sie vernehmlich und dann doch in irgendwie meditativem Rhythmus auf die Dachziegel über uns trommeln.
Ein weiteres Mal wache ich auf, weil mein Hund hellwach im Bett sitzt und so tieftönig und bedrohlich knurrt, dass die Matratze in derselben Frequenz mitzuschwingen scheint. Diesmal gehe zum Fenster und schaue nach dem Rechten. Der Bewegungsmelder muss ausgelöst haben, denn die Veranda gleich neben dem Schlafzimmerfenster ist in Flutlicht getaucht – und mitten auf den Fliesen sitzt eine weiß-braune klatschnasse Katze, die ähnlich irritiert schaut wie wir. Ich schalte den Strahler aus, sage »Alles gut« zu Hoover und wir gehen wieder schlafen, bis irgendwann so gegen Viertel nach acht der neuen Morgen »Hallo« sagt und die ebenfalls wiedererweckte Sonne durchs Schlafzimmerfenster aufs Fußende strahlt. Der Regen der Nacht hat sich offenbar längst davon gemacht.
Es klappert, klickert, klötert. Es rumpelt, poltert, rumort. Was es zum Glück noch nicht tut: klirren, krachen, bersten. Eindeutig ist irgendetwas im kleinen Ferienhaus-Badezimmer los. Irgendetwas, was nicht von alleine diese Geräusche macht. Und wo ist eigentlich mein Hund?
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