Ganz sicher werde ich ihn nicht vergessen! Er soll mit. Von vornherein war das geplant. Nur ahnt er noch nicht, dass er dafür diesmal ganz schön lange still sitzen muss. Und ich auch: Schließlich wollen wir in Spanien überwintern, mit ein oder zwei Zwischenübernachtungen von Norddeutschland aus gut 2300 Kilometer bis an die Costa Blanca fahren und fast drei Monate bleiben. Hoovers Zuhause während der Fahrt gen Süden wird die Rückbank des Autos sein. Eine U-förmige Abdeckung ist bereits an den Kopfstützen sowohl der Vordersitze wie auch der Rückbank befestigt und wird dafür sorgen, dass er unterwegs nicht in den Fußraum rutschen, sich gleichwohl aber auf der Bank einigermaßen bewegen kann. Und ein Hundesicherheitsgurt mit Brustgeschirr liegt auch bereit. Sogar wie er da am besten hineinsteigt, hat er schon gelernt und hebt, wenn er das Geschütz mit den vielen dicken Schnüren sieht, bereits erst die linke und kurz darauf die rechte Pfote.
Nachdem nun aber erst mal das Spielzeug im Koffer ist, greift Stufe zwei seines Ich-muss-auf-jeden-Fall-mit-Plans: Er liegt im Weg, wo er nur kann. In der Türfüllung. Erst der des Schlafzimmers, dann des Wohnzimmers, später der Küche. Wo auch immer ich gerade bin – er sieht seine Rolle darin, eine lebende Stolperfalle zu sein. Denn, so dürfte die Hunde-Logik sein, wer angemessen häufig über seinen zweieinhalbjährigen schwarzen Flat Coated Retriever stürzt, wird zwar irgendwann womöglich ärgerlich, aber der Vierbeiner kann ihm im entscheidenden Moment unmöglich aus dem Sinn geraten.
Neben Hoover lagert derweil immer sein Lieblingsspielzeug aus der Welpenzeit, das von Stolperposition zu Stolperposition mitgeschleppt und stets aufs Neue zwischen den Pfoten drapiert wird. Mit Sicherheit soll es morgen ins Hundshandgepäck: der violette Plüsch-Tintenfisch mit vier Tentakel-Armen. Genau genommen ist es bereits das Nachfolgemodell des ursprünglichen Plüschkraken. Der war um zwei Drittel kleiner, auf dem Etikett als Welpenspielzeug ausgewiesen und bekam nach und nach alle vier Tentakeln sehr freundschaftlich abgekaut oder ausgerissen. Heimlich verschwand der verbliebene Kautschuk-Leib irgendwann in der Kiste der Reliquien aus der Hundekindheit, die vor lauter anhaftender Erinnerungen zu schade für den Mülleimer sind, und wurde durch das zwei Nummern größere Modell ersetzt. Das sieht genauso aus, roch nur ungewohnt neu, sodass es anfangs gewisse Akzeptanzprobleme gab. Es hat sogar heute noch alle vom Hersteller vorgesehenen Tentakeln. Für immer? Dafür kann keiner seine Pfote ins Feuer legen.
Warum Hoover überhaupt mitbekommt, dass es ums Verreisen geht? Beim ersten Mal, da war er drei Monate alt, ließ es ihn kalt, dass ich Koffer packte. Er wusste nicht, warum man das tut – und was das für kleine Hunde bedeuten kann. Ich ging auf Dienstreise, er für vier Tage ins Ausweichquartier zu einer älteren Dame, die Hunde liebt. Die beiden sind seitdem ein Herz und eine Seele und trotzdem begrüßte er mich zum Glück bei der Rückkehr stürmisch. Beim nächsten Mal Kofferpacken registrierte er bereits genau, dass da etwas geschah, was nicht zum normalen Tagesablauf gehörte. Anschließend ging es für ein paar Tage auf Dänemark-Urlaub – mit Hund. Das wurde ihm spätestens klar, nachdem neben all meinen Sachen auch sein Korb mit im Kofferraum verschwunden war. Er schaute höchst irritiert und war begeistert, als ich das erste Mal fragte: »Kommst Du auch mit?« Fortan hat er jede Pack-Aktion aufmerksam begleitet. Aber noch nie sind seine Ich-gehöre-dazu-Signale so deutlich gewesen wie dieses Mal.
Noch so eine irritierende Änderung des Ablaufs: Um Viertel nach vier am Morgen klingelt der Handy-Wecker, vier Stunden eher als sonst. Für Hoover ist es die falsche Zeit. Für mich auch. Er blinzelt irritiert, hebt kurz das Köpfchen, sieht mich aufstehen und im Bad verschwinden – und schießt plötzlich hoch, als wären ihm in der Sekunde all die Koffer, Taschen und Tüten eingefallen, die ich am Vorabend nach und nach im Kofferraum verstaut hatte. Auch den mit Ball und Tau, dazu eine Kiste mit Futter, Leckerlis, Hundedecke, Kamm, Tiermedizin, mit Leucht-Halsband, dem Kauknochen-Vorrat und zwei Hundertschaften Kot-Tütchen aus hauchdünner Folie. Und mit noch mehr Spielzeug.
Er schiebt die Tür auf, drängt resolut mit ins Bad, versucht mich mit Blicken zu hypnotisieren, und entschließt sich wieder zur erfolgversprechenden Im-Weg-liege-Taktik. Auf sein Futter hat der normalerweise durchaus verfressene Kerl mit dem schwarzen Fell um diese Zeit und, mehr noch, unter diesen aufregenden Umständen wenig später gar keine Lust. Er schnüffelt nur kurz daran. Zum Glück findet er Zeit, zwei sehr große Abschieds-Seen in den Garten zu setzen, ehe er den Tintenfisch packt und zur Haustür läuft. Sein Blick fragt: »Wann geht es denn nun los?« Und derselbe Blick sagt: »Natürlich komme ich mit!« Natürlich, denn ohne wäre ja doof.
Er trampelt vor der Autotür unruhig von einem Bein aufs andere, als ich ihm das Korsett anlege, an dessen Halterung wenig später der Hunde-Sicherheitsgurt befestigt wird. Und endlich sind letzte Zweifel zerstreut: Er ist drin, die Tür ist zu. Und der Tintenfisch liegt direkt neben ihm. Hoover schläft sofort. Fünf Stunden lang tief und fest. In Höhe der Eifel wacht er auf, reckt und streckt sich, legt kurz vorm ersten ohnehin notwendigen Tankstellenstopp sein Köpfchen auf meine Schulter und lässt es immer schwerer und schwerer werden. In der Hoover-Sprache bedeutet das: Der nächste Rastplatz ist meiner. Ich muss mal. Kein Problem, ich auch.
Was Hoover bereits als Kleiner gelernt hat, nachdem er ein paar Mal zu übermütig war und umgehend wieder ins Auto zurückgekrempelt wurde: Das Signal, herausspringen zu dürfen, ist nicht die geöffnete Wagentür, auch nicht das befreiende Klicken des Hunde-Sicherheitsgurts, sondern erst das Kommando »Jetzt komm!«. Er hält sich dieses Mal bravourös daran, obwohl er enorm aufgeregt ist. »Deswegen also«, scheint sein Blick zu sagen. »Wegen dieses Parkplatzes mit dem Wäldchen links und dem noch kleineren rechts vom Auto! Deshalb sind wir so früh aufgestanden, so viel gefahren! Hier machen wir Urlaub!«
Er scheint nicht sonderlich wählerisch zu sein, springt erst vor Freude an mir hoch, dann ein paar Mal mit allen Vieren gleichzeitig in die Luft – um sich schließlich zu erinnern, was ihm vor einem Moment noch so wichtig war: Er macht erst mal einen See an den erstbesten fast entlaubten Haselnussstrauch und ist gleich danach kaum zu halten. So spannend findet er es hier, so viele neue Gerüche scheint er aufzusaugen, einzusammeln geradezu.
Ob ich mich auch so freuen würde, wenn ich Hund wäre? Wenn ich zweieinhalb Jahre alt wäre? Die Welt entdecken wollte? Und nicht wüsste, dass es schönere Ziele als einen rappeligen und an diesem Dezember-Sonntagmorgen fast geisterhaft leeren Autobahnrastplatz an der A1 gibt? Wenn ich nicht wüsste, dass wir noch 1800 Kilometer vor uns haben und der Sonne und dem Frühling entgegen reisen wollen? In ein Ferienhaus hoch über einem Orangenhain, von der Veranda aus mit Blick aufs drei Kilometer Luftlinie entfernte Meer, auf diesen breiten blauen Streifen da am Horizont direkt unterhalb des Himmels? In ein Häuschen mit Pool in einer Sackgasse am Rande der Wildnis, wo man weit und breit eher eine Schafherde trifft als einen Trucker mit halb offener Hose auf dem Weg zum Rastplatz-Klo? Ich beschließe, mich mit Hoover zu freuen: über ihn, übers Beinevertreten, aufs Frühstück und zwei Becher Tee aus der Thermoskanne. Und auf die Weiterfahrt, auf nach und nach wärmere Temperaturen, auf den Duft der Provence am späten Nachmittag, den Seewind im Süden des Languedoc-Rousillon am Abend. Und auf Spanien!
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