Hoover springt vom Bett, baut sich direkt hinter der Zimmertür auf und lässt Geräusche erklingen, von denen ich bis dahin nicht wusste, dass er sie irgendwo in der Tiefe seiner Kehle erzeugen kann. Und dass er es will. Irgendwie bin ich gerührt, rolle mich aus dem Bett, schlurfe die zweieinhalb Schritte bis zu ihm, lobe und streichele ihn. Sofort wedelt er wie wild, will mich abschlabbern, um gleich darauf den Kopf schief zu halten, konzentriert zu horchen und noch mal zu knurren.
Später in der Nacht scheint jemand mit Hund ein- oder auszuchecken. Und das Exemplar wefft zwei-, dreimal im Flur. Wieder ist Hoover sofort hellwach und antwortet, halb in einem Tonfall, der nach »Hier ist Verstärkung, sag Bescheid, wenn Du Hilfe brauchst« klingt. Und zur anderen Hälfte schwingt mit: »Meine Tür. Mein Zimmer. Mein Herrchen. Meine Entensammlung. Weitergehen ist sicherer.« Ich muss schmunzeln. Und endlich ist nichts mehr. Wir schlafen für den Rest der Nacht tief und fest. Ich erhole mich von den Strapazen der Fahrt und all der Konzentration hinterm Steuer, Hoover erholt sich vom Kräfte zehrenden Schlafen auf der Rückbank während des langen Fahrttages. Bis von irgendwoher ein Hahn kräht, ich die Gardine aufziehe, draußen ein paar Pinien und Zypressen im Vordergrund und die Ausläufer der Pyrenäen im Hintergrund sehe. Ich öffne das Fenster, rieche den Süden. Und Hoover springt an der Fensterbank hoch, schaut ebenfalls und bläst die Nasenflügel richtig auf. Was er einatmet: Frühlingsluft, während zuhause gerade Schnee fällt.
Einer muss den Hund nehmen
Kaum dass wir angekommen sind und eine Nacht geschlafen haben, geht es schon wieder weiter. Ich greife nach Tüten, Taschen, Rucksack, habe zuvor Futternapf und Wasserschale wieder verstaut, um unser Hab und Gut wieder hinunter zum Auto zu schleppen. Hoover schaut mir direkt ins Gesicht, und seine Pupillen scheinen sich zu zwei großen Fragezeichen zu verformen. Was kann bloß unser Ziel sein? Haben wir überhaupt eines? Wofür all die Winterschlafstunden auf der Rückbank, die Bifis, die Kauknochen und die vielen Kurz-Stopps an den Kassenautomaten der Maut-Autobahn? Er ist irritiert. Und er ist aufgeregt, wedelt, dreht sich im Kreis, fürchtet, schon wieder vergessen werden zu können – zumal ich gar keine Hand mehr frei habe, um auch noch die knallrote Leine zu greifen, die er bei all seinen Drehungen hinter sich her rotieren lässt.
Ich sage »Aber einer muss den Hund nehmen« und leite so unseren neuesten gemeinsamen Spaß ein. Hoover ist sofort voll konzentriert, schaut mich wieder fragend an, ob nun auch der nächste Satz folgt, der zu diesem Spielchen gehört. Und da ist er auch schon: »Nimmst Du den Hund?«, frage ich und sofort fasst er mit den Zähnen in die Schlaufe der Leine und führt sich selber. Sind Zuschauer dabei, ernten wir damit immer einen kleinen Lacherfolg. Noch kurzweiliger ist es geworden, seit Hoover die Nummer erweitert hat und die Leine unaufgefordert noch mal kurz fallen lässt, um sie in erstaunlicher Geschwindigkeit in drei exakt gleich lange Elemente zusammenzulegen, die er dann wiederum mit dem Maul greift. Nichts hängt jetzt mehr durch, nichts schleift über den abgewetzten Teppichboden. Er hat sich selber an der kurzen Leine. Manchmal nimmt er auf dasselbe Kommando hin die Leinen anderer Hunde ins Maul und zerrt die Artgenossen sehr resolut durch Feld und Flur. Es scheint, als ob es sich sehr förderlich auf sein Selbstbewusstsein auswirkt, ihm derlei Verantwortung zu übertragen. Und sei es für einen Moment.
Jetzt brauche ich nur noch einmal kurz zu horchen, ob auf dem Hotelflur gerade freie Bahn ist, sage »Aber schön hier bleiben« und öffne die Zimmertür. So diszipliniert wie niemals, wenn ich die Leine halte, trabt er nun neben mir her, sichtbar stolz, dass er sich um diesen großen schwarzen Hund kümmern darf, um diesen Flat Coated aus dem Norden auf großer Fahrt. Um sich selbst.
Erst knapp diesseits der Tür zu Lobby und Rezeption sortiere ich im Gehen das Gepäck um, hangele dann mit der frei gewordenen Hand nach seiner Leine, sage »Und jetzt nehme ich aber wieder den Hund«, bekomme die Strippe bereitwillig ausgehändigt und checke aus.
Ehe wir weiterfahren, steht nur noch ein kurzer Spaziergang unter Pinien durch den kleinen Park nebenan auf der Tagesordnung, damit aller Ballast aus Hundeblase und Hundegedärm vor der Weiterfahrt noch eben der Natur überantwortet werden kann.
Der Blechmann hinterm Rasthof
Der Hinweis »Da sind ja Leute!« oder auch die Variation »Guck mal, da kommen Leute!« gehört zu Hoovers umfänglichem passiven Wortschatz. Ist eine Tür oder eine Scheibe zwischen jenen Menschen und ihm, bellt er, durchaus wachsam und tieftönig. Trennt jene Fremden und ihn baulich nichts und klingt meine Bemerkung eher erfreut als besorgt, dann begrüßt er sie und gemeindet sie geradezu herzlich in unsere kleine Familie ein. Nicht jeder Betroffene ist darüber glücklich und meistens versuche ich zu verhindern, dass Hoover sein volles Leute-Eingemeindungsprogramm spontan entfaltet.
Es besteht daraus, begeistert und oft mit Anlauf oder mit eindrucksvollem Abtritt an den Personen hochzuspringen, um sie gleich zur Begrüßung seiner dauerhaften Zuneigung zu versichern und als Beweis dafür im Gesicht anzuschlabbern, bei wiederholtem Wiedersehen, positiven Erinnerungen oder ganz besonderer Liebe auch feinmotorisch sehr geschickt am nächst erreichbaren Ohr zu knabbern.
Vorlieben im Detail, ob eher links oder rechts, habe ich dabei bisher nicht beobachten können. Und zugeben muss ich leider, dass selbst im Freundeskreis nicht jeder glücklich oder auch nur ausreichend standfest ist, wenn einem ein 33 Kilo schwerer Retriever in einem Anflug entfesselter Herzlichkeit in die kaum jemals rechtzeitig ausgebreiteten Arme springt. Mit anderen Worten: Es geht alles sehr schnell und fällt meist sehr intensiv aus.
Entsprechend vorsichtig bin ich mit der »Leute!«-Bemerkung geworden und entsprechend hellseherisch versuche ich zu erahnen, wer womöglich gleich um irgendeine Ecke biegen könnte, und ob es nicht doch sinnvoller sein würde, Hoover deshalb kurz zu halten oder gar zusätzlich zur Leine in der linken die rechte Hand mäßigend auf seinen Rücken zu legen oder vor die Brust zu halten und langgezogen, möglichst sonor und irgendwie meditativ »Waaarte« zu sagen. Wir sind da inzwischen ganz gut eingespielt und die meisten Begegnungen laufen im Wesentlichen so ab, wie ich mir das vorstelle.
Falls doch mal etwas schief geht und jemand entsetzt schaut, nachdem Hoover unverhofft an ihm hochgesprungen ist und einen Hundskuss ins Gesicht gedrückt hat, versuche ich die Situation so einzufangen, indem ich mich an Hoover wende und sage: »Na, das ist ja ein Ding, diese Leute hast Du ja auf Anhieb superlieb, das müssen ganz besondere Leute sein!« Zugleich gewinne ich damit seine Aufmerksamkeit und ausreichend Sekunden, um ihn wieder unter Kontrolle zu bringen. Bei den Betroffenen wandelt sich der Gesichtsausdruck meist schnell von blankem Entsetzen zu gewissem Stolz, derart auserwählt zu sein und offenbar eine sehr positive Ausstrahlung auf Hunde zu haben. Jedenfalls auf diesen. Und ein Lächeln stellt sich dann auch recht bald ein. Die Alternative ist, die Leute direkt anzusprechen und die alten Hundebesitzer-Lügen »Der tut nix« und »Das hat er noch nie gemacht« ein wenig abgewandelt zum Einsatz kommen zu lassen: »Der mag Dich auf Anhieb total, hat Dich sofort lieb sogar! Das macht er nur ganz, ganz selten! Wow!« Meistens kommen wir damit durch.
Bei einem Blechdenkmal im Hotelpark aber, denke ich kurz, kann nicht viel schiefgehen. Und so früh am Montagmorgen nicht weit von der französisch-spanischen Grenze mit allerlei Pyrenäengipfeln am Horizont kann auch noch keiner im Garten unterwegs sein, der sich an Schwung und Lebensfreude eines extrovertierten jungen Hundes stört. So weit die kurze, knappe Reflexion. Und so rutscht mir der Hinweis »Guck mal, da sind ja Leute« heraus, als ich ein in irgendwelches Metall gegossenes hageres Männlein mit angedeuteter Latzhose und Helm sehe, das dort erstarrt auf einem Sockel in den Rasen eingelassen ist.
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