Die Besatzung des RTW trifft auf eine agitierte Patientin, die kaum ansprechbar am Küchentisch sitzt und nach Luft ringt. Die Haut ist kühl, die Atemfrequenz beträgt 36/min. Ein Blutdruck kann aufgrund der Unruhe der Patientin nicht gemessen werden. Ein schneller, flacher Puls ist an der Arteria radialis tastbar.
Die Angehörigen sind ebenso beunruhigt wie die Patientin selbst und drängen Rettungssanitäter und -assistenten, endlich Hilfe zu leisten. Die Rettungsdienstmitarbeiter stellen die Diagnose „Hyperventilation“ und versuchen nun, die aufgeregte Situation in der Küche der Erdgeschosswohnung dadurch zu entschärfen, dass sie die Patientin unter den Achseln fassend vom Küchenstuhl hochziehen und langsam gehend in den auf dem Hof bereitstehenden Rettungswagen bringen. Hier applizieren sie eine Gesichtsmaske als Rückatemmaske und drücken diese Maske mit sanfter Kraft und unter beruhigendem Zuspruch auf das Gesicht der Patientin. Der zweite Mitarbeiter legt ein Pulsoxymeter an. Dieses gibt jedoch wegen der kühlen Peripherie der Patientin kein Signal.
Weil sich die Atemnot der Patientin nicht legt und sie zudem zyanotisch wird, alarmieren die Einsatzkräfte den Notarzt nach. Wenige Minuten später erleidet die Patientin einen Herz- und Atemstillstand, und die Rettungsdienstmitarbeiter beginnen mit der Wiederbelebung.
Der etwa zehn Minuten nach der Alarmierung eintreffende Notarzt findet eine intubierte Patientin vor, die nach Gabe von 2 x 1 mg Adrenalin einen tachykarden supraventrikulären Rhythmus aufzeigt.
Zwischenzeitlich geben die Angehörigen auf Nachfrage einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus an. Es sei jedoch in den letzten Monaten zu keiner Besonderheit gekommen.
Die Kapnometrie ergibt einen Wert von 62 mmHg bei einem Atemminutenvolumen von 8 l/ min, und der arterielle Blutdruck beträgt nunmehr 90/50 mmHg. Bei der Blutzuckermessung zeigt das Gerät den Wert „High“, liegt also jenseits der für das Gerät bestimmbaren Grenze von 600 mg/dl.
Die Patientin wird auf die Intensivstation des regional zuständigen Krankenhauses aufgenommen. Dort wird ein Blutzucker von 763 mg/dl bestimmt und innerhalb der nächsten Stunden auf Normalwerte herunterreguliert. Die Klinik der Patientin bessert sich zusehends, und bereits am Morgen des Folgetages kann sie extubiert werden. Wach und orientiert wird sie am 4. Tag nach der Aufnahme von der Intensivstation auf die normale Pflegestation verlegt.
Die Hyperglykämie beim Coma diabeticum entwickelt sich meist langsam und führt typischerweise zu Dehydratation, trockener Haut, metabolischer Azidose und Acetongeruch. Hinzu kommt häufig die sogen. Kussmaul-Atmung, durch die der Patient versucht, die metabolische Azidose zu korrigieren.
Im Gegensatz zur Hyperventilation, bei der ein niedriges CO2 durch eine Vasokonstriktion der hirnversorgenden Gefäße zu einer Bewusstseinsstörung führt, ist diese beim Coma diabeticum eher als Folge einer intrazellulären Dehydratation zu werten.
Die Mitarbeiter des Rettungsdienstes ließen sich von den Angehörigen bedrängen, sofort tätig zu werden und unterließen eine ausführliche Anamneseerhebung und klinische Untersuchung. Hier wäre durch eine einfache Messung des Blutzuckers aufgefallen, dass die Werte derart erhöht waren, dass sie das Gerät nicht mehr anzeigte. Ein strukturiertes Vorgehen zur Untersuchung von akut erkrankten Patienten ist insofern unerlässlich.
Das Rettungswagenteam hat sich von den Angehörigen zu Maßnahmen drängen lassen, ohne eine Anamneseerhebung und Untersuchung durchzuführen.
Die Patientin wurde gehend zum Rettungswagen geführt, wodurch der Zustand der Atemnot eher verschärft wurde.
Eine Hyperpnoe muss von einer Hyperventilation unterschieden werden.
Es wurde kein Blutzucker gemessen.
Die Atmung der Patientin wurde durch die Rückatemmaske behindert.
Bei allen bewusstseinsgestörten Patienten muss der Blutzucker bestimmt werden.
Grundsätzlich Erhebung der Anamnese und standardisierte Durchführung einer klinischen Untersuchung.
Junger Mann in dunklem Zimmer
Um 02:30 Uhr ruft ein Hausarzt den NAW zur Unterstützung zu einem Patienten mit einer stark blutenden Handverletzung.
Beim Eintreffen liegt ein junger Mann in einem dunklen kleinen Zimmer auf dem Bett. Der Patient ist ansprechbar, blass, kaltschweißig und offenbar unter starkem Alkoholeinfluss. Im Zimmer finden sich zahlreiche Blutspuren. Der Hausarzt berichtet, dass der Patient sich mit einer zerbrochenen Flasche versehentlich in den volaren Handgelenkbereich rechts geschnitten habe. Die Wunde wurde mit einem Druckverband versorgt. Zusätzlich erhielt der Patient einen periphervenösen Zugang, worüber eine Infusion läuft. Der Notarzt stellt einen Blutdruck von 110/80 mmHg und einen Puls von 90/min fest. Eine schnelle Untersuchung der Handbewegungen weist auf mehrere Beugesehnenverletzungen hin. Der Verband ist nicht durchgeblutet. Der stabile Patient wird mit dem NAW ohne weitere Untersuchungen in eine Klinik mit handchirurgischer Abteilung eingeliefert. Während des Transports und bei Übergabe in der Klinik ist der Patient weiterhin stabil.
In der Klinik wird der Patient auf die Operation vorbereitet und – wegen der arteriellen Gefäßverletzung – relativ schnell in den OP gebracht. Beim Abwaschen der Hand stellt der Handchirurg fest, dass der Patient auch eine Stichverletzung im rechten oberen Bauchbereich hat. In den darauf folgenden Untersuchungen stellt sich eine Dickdarmverletzung dar, die unverzüglich, noch vor der Handverletzung, operativ versorgt werden muss.
Die spätere Vervollständigung der Anamnese ergibt, dass der Patient sich nicht selbst verletzt hat, sondern bei einem Streit von einem Verwandten mit einem Messer angegriffen worden war.
Jede Versorgung eines Trauma-Patienten muss nach einem standardisierten Protokoll erfolgen. Dazu zählt neben der Evaluierung und Stabilisierung der Vitalfunktion auch die Ganzkörper-Untersuchung. Um Verletzungen nicht zu übersehen, muss dazu der Patient immer möglichst vollständig entkleidet und auch so gedreht werden, dass der gesamte Rücken eingesehen werden kann. Zusätzlich sollte ein festes Schema – am besten vom Kopf bis zum Fuß – eingehalten werden. Oftmals ist eine Verletzung so imposant, dass der Helfer sich damit vordringlich beschäftigt, ohne die vollständige Untersuchung des Patienten fortzusetzen.
Das Übersehen von Verletzungen kann durch folgende Faktoren begünstigt werden:
Der Patient hat keine weiteren Beschwerden oder will diese bewusst verbergen.
Alkohol- oder Drogeneinfluss.
Der stabile Zustand des Patienten entspricht den zunächst sichtbaren Verletzungen.
Manche Einsatzorte sind für die Durchführung einer körperlichen Untersuchung schlecht geeignet (z. B. bei Dunkelheit, Enge, Kälte).
Übernahme von durch Dritte bereits voruntersuchten und versorgten Patienten.
Keine konsequente Anwendung von standardisierten Traumaprotokollen.
Unkritische Übernahme von vermeintlich vollständig vorbehandelten Patienten.
Gründliche, vollständige und wiederholte Untersuchung aller Traumapatienten gemäß Traumaprotokoll.
Bei Übernahme von vorbehandelten Patienten muss jeder Patient erneut vollständig untersucht und aktuell beurteilt werden.
Ein 50-jähriger Bauarbeiter stürzt auf einer Baustelle von einem Gerüst etwa vier Meter tief auf den Betonboden. Dort bleibt er bewusstlos liegen und blutet leicht aus beiden Ohren. Das eintreffende Rettungsteam untersucht den Patienten. Folgende Diagnose wird erhoben: Schweres, geschlossenes Schädelhirntrauma mit Verdacht auf Schädelbasisfraktur. Der Patient wird an der Einsatzstelle versorgt. Nach dem Legen von zwei peripher-venösen Zugängen wird die Intubation vorbereitet und eine Narkose eingeleitet. Nach Intubation des Patienten und Überprüfung der richtigen Lage des Tubus durch Auskultation über dem Thorax wird der Patient mit dem mobilen Beatmungsgerät des Einsatzfahrzeuges beatmet. Hierbei kann kein Beatmungsdruck aufgebaut werden, und das Beatmungsgerät löst Alarm aus. Der Patient wird unverzüglich von der Maschine diskonnektiert und mit einem Beatmungsbeutel weiter beatmet. Darauf wird der Patientenstatus erneut reevaluiert und festgestellt, dass der Patient manuell suffizient beatmet werden kann. Da aber kein Grund ermittelt werden kann, weshalb kein Beatmungsdruck mit dem Respirator aufgebaut werden konnte, und die Aufnahmeklinik nur fünf Fahrminuten vom Notfallort entfernt ist, entschließt sich das Team unter Fortführen der Beatmung mit dem Beatmungsbeutel, die Fahrt zur Klink anzutreten. Während des Transportes erfolgt eine problemlose Beatmung mit dem Beatmungsbeutel. Im Anschluss an die Patientenübergabe wird das Beatmungsgerät Schritt für Schritt anhand der Bedienungsanleitung überprüft. Hierbei stellt sich heraus, dass sich ein Riss im Schlauch befindet. Das Fahrzeug fährt – in nicht einsatzbereitem Zustand – zur Rettungswache und tauscht den defekten durch einen neuen, funktionsfähigen Schlauch aus.
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