Die Umstände des Auffindens des Patienten und die beschriebene Klinik mit dem ersten Untersuchungsbefund deuten auf ein akutes Oberbauchgeschehen hin. Gebahnt war diese Verdachtsdiagnose auch durch das Alarmierungsstichwort „Akutes Abdomen“ durch die Leitstelle.
Nur durch die Anlage eines Überwachungs-EKGs aufgrund einer Tachykardie, die primär schmerzbedingt durch den Notarzt interpretiert wurde, sind Veränderungen in der ST-Strecke im Monitorbild aufgefallen. Hier erkannte der Notarzt folgerichtig die Notwendigkeit eines 12-Kanal-EKGs, da nur in diesem eine suffiziente Beurteilung der ST-Strecken in allen Ableitungen möglich ist. Die Diagnose wurde daraufhin korrigiert.
Bei einem Myokardinfarkt im Hinterwandbereich beobachtet man immer wieder eine Schmerzausstrahlung bzw. -lokalisation in den Oberbauchbereich. Deshalb muss differenzialdiagnostisch bei Beschwerden im Oberbauch auch an einen Myokardinfarkt gedacht werden. Eine vollständige Anamnese (hier: Risikofaktor Nikotin) ist dabei sehr hilfreich.
Fehlinterpretation der Beschwerdesymptomatik.
Kein primäres Schreiben eines 12-Kanal-EKGs bei der beschriebenen Symptomatik.
Beeinflussung im diagnostischen Denken durch das Alarmierungsstichwort der Leitstelle.
Bei Oberbauchbeschwerden differenzialdiagnostisch immer an den akuten Myokardinfarkt denken.
Eine gute Anamnese-Erhebung mit Erfassung von Risikofaktoren ist dabei sehr hilfreich.
Bei Oberbauchschmerzen mit entsprechender Risikokonstellation immer ein 12-Kanal-EKG schreiben.
Nicht auf das Alarmierungsstichwort der Leitstelle verlassen.
NEF und RTW werden zu einem 72-jährigen Patienten gerufen, bei dem die Diagnose eines apoplektischen Insults gestellt wurde. Die Diagnose hat ein hausärztlich tätiger Internist gestellt, der gleichzeitig Belegarzt in einem kleinen Krankenhaus ist. Bei Ankunft von Rettungsdienst und Notarzt ist der Kollege noch vor Ort und bittet, den Patienten in sein Krankenhaus zu bringen, da aufgrund der Multimorbidität (u. a. hatte der Patient bereits zweimal einen Apoplex erlitten) die Fahrt in eine Stroke-Unit vom Kollegen als nicht sinnvoll angesehen wird.
Der Patient ist vigilanzgemindert (GCS 9), der rechte Mundwinkel hängt herunter, die rechte Seite bewegt sich deutlich weniger als die linke, das Babinski-Zeichen ist negativ, die Pupillen sind isocor, mittelweit und reagieren prompt auf Licht. Der Kollege hat bereits Blut für das Labor abgenommen, eine Infusion läuft. Die übrigen Parameter ergeben Folgendes: RR 160/90 mmHg, HF 104/min bei einer Arrhythmia absoluta, SpO2 (Raumluft) 95 %.
Der Patient erhält Sauerstoff über eine Maske und wird in den RTW gebracht, mit dem er in das nahe gelegene Krankenhaus transportiert wird.
Kurz vor Ankunft erkundigt sich der Notarzt (um das Protokoll zu vervollständigen) nach dem Blutzuckerwert und erfährt, dass dieser zumindest nicht in der Zeit, in dem das Rettungsdienstpersonal vor Ort gewesen ist, erhoben wurde (der Notarzt erntet mitleidige Blicke dafür, dass er noch vor Erreichen des Krankenhauses um die Bestimmung des BZ bittet).
Der BZ liegt bei 31 mg/dl. Die Injektion von Glucose 40 % bewirkt innerhalb von vier Minuten den Rückgang sämtlicher Symptome: Der Patient ist wach und ansprechbar, eine Hemiparese besteht nicht mehr. Unter der Diagnose einer Hypoglykämie wird er ins Krankenhaus eingeliefert. Der wenige Minuten später eintreffende Kollege ist erstaunt und gleichzeitig betroffen.
Jedem Arzt ist im Prinzip bekannt, dass eine Hypoglykämie eine Reihe von Symptomen zeigen kann, die leicht anderen Notfalldiagnosen zugeordnet werden. So kann sich hinter den Symptomen eines Apoplex auch eine Hypoglykämie verbergen.
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Bei jedem bewusstseinsgetrübten Patienten ist an eine Hypoglykämie zu denken und dann eine Blutzuckerbestimmung durchzuführen.
Andererseits kann es leicht zu einer Fehleinschätzung und -diagnose kommen, wenn die Anamnese deutlich in eine andere Richtung zeigt und nicht alle diagnostischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden.
Sicherlich hat sich der Hausarzt zu fragen, warum er nicht an den Blutzucker gedacht hat.
Ganz sicher hat sich aber auch der Notarzt die gleiche Frage gestellt, wenn auch spät. Das Vertrauen darauf, dass ein Kollege wahrscheinlich zuvor schon alles berücksichtigt und unternommen hat, kennzeichnet einen Mangel an Professionalität. Der Notarzt hätte nach dem Blutzuckerspiegel fragen müssen! Von ihm ist zu erwarten, dass er die einfache und zudem leitliniengestützte Maßnahme nicht übersieht.
Fehler und Gefahren
Von Seiten des Hausarztes
Orientierung an bisherigen Diagnosen.
Nichtbeachtung der Regel, bei jedem bewusstseinsgetrübten Patienten den Blutzucker zu bestimmen.
Unzureichende Übergabe.
Leichtfertiges Vertrauen darauf, alles Notwendige sei erledigt.
Übernahme eines Patienten, ohne hinreichend Informationen zu erfragen.
Keine sofortige Überprüfung, ob bei einem bewusstseinsgetrübten Patienten auch der Blutzucker gemessen wurde.
Keine Zuweisung eines Patienten mit V. a. Apoplex in eine Stroke Unit.
Bei Bewusstlosigkeit immer Blutzuckerkontrolle.
Übergabedaten nach festem Schema abfragen und sofort schriftlich fixieren.
Zuweisung eines Patienten mit V. a. Apoplex in eine Stroke Unit.
Alternatives Equipment nicht verfügbar
Ein 58-jähriger Patient, bei dem seit mehreren Jahren eine arterielle Hypertonie bekannt ist, klagt in den frühen Morgenstunden über zunehmende Atemnot. Die Ehefrau alarmiert schließlich den Rettungsdienst mit dem Notarzt.
Das Team bestehend aus Notarzt, Rettungsassistent und Rettungssanitäter trifft den Patienten im 4. Stock eines Mehrfamilienhauses im Zustand eines akuten Herzversagens mit beginnendem Lungenödem an. Der Patient hat einen Blutdruck von 220/100 mmHg, eine periphervenöse Sauerstoffsättigung von 75 % bei Raumluft und beginnt, sich respiratorisch zu erschöpfen.
Der Notarzt entschließt sich bei dem leicht adipösen Patienten zur Intubation. Zur Narkoseeinleitung verwendet er Fentanyl, Etomidate und Succinylcholin. Trotz maximaler Präoxygenierung steigt die Sättigung vor der Applikation der Medikamente nicht über 89 %. Der erste Intubationsversuch misslingt bei einer laryngoskopisch nicht einstellbaren Stimmritze. Die Sauerstoffsättigung fällt rasch auf Werte von 50 %. Der Notarzt versucht eine Zwischenbeatmung mit dem Beutel, die durch den Vollbart des Patienten erschwert wird. Der Patient kann nur bis etwa 70 % SpO2 aufgesättigt werden. Weitere Intubationsversuche schlagen fehl. Die Maskenbeatmung kann nur mit einem Doppel-C-Griff unter größten Schwierigkeiten durchgeführt werden, gleichzeitig kommt es zu Erbrechen und Aspiration von Mageninhalt. Der Rettungssanitäter läuft aus dem 4. Stock zurück zum Rettungswagen, in dem Larynxmasken und ein Quick-Trach-Set verstaut sind. Nach Anlage einer Intubations-Larynxmaske Größe 5 kann der Patient problemlos ventiliert werden. Danach erfolgt hierüber die Intubation. Der weitere Verlauf ist komplikationslos.
Der unvorhergesehen schwierige Atemweg ist in der präklinischen Situation deutlich häufiger als in der innerklinischen Anästhesiologie, und somit muss der Notarzt immer damit rechnen. Zudem sind präklinische Atemwegsprobleme aufgrund der Umgebungsbedingungen auch schwerer zu beherrschen. Besondere Probleme in der Präklinik bereiten Verletzungen und Erkrankungen im Gesichts- und Halsbereich wie z. B. ausgedehnte Mittelgesichtsfrakturen, Weichteilschwellungen im Larynx- oder Pharynxbereich sowie Larynxtraumata. Hinzu kommen häufig schwierige Rahmenbedingungen (z. B. ungünstige Lichtverhältnisse, erschwerte Lagerung etc.) sowie die fehlende Nüchternheit der Patienten.
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