Der Koch beginnt morgens um 6 Uhr mit seiner Arbeit. Er hat dann um 9 Uhr für 20 Minuten Pause und eine zweite Pause über weitere 20 Minuten um 15 Uhr. Spätestens um 19 Uhr macht er seine Kombüse dicht. Meine Arbeitszeit sah damals etwas anders aus. Spätestens 5.30 Uhr fing mein Dienst an, um frische Brötchen zu backen. Dann half ich bei der Frühstückszubereitung. Anschließend musste ich Brot backen und zwischendurch auch noch das Mittagessen mit vorbereiten. Der Nachtisch war mein Ding. Da musste ich mir immer wieder etwas Besonderes einfallen lassen. Heute gibt es meist ein Stück Obst – basta!
Nach dem Abendessen war in tropischen Gewässern mindestens einmal in der Woche Kakerlaken-Jagd angesagt. Da hatte ich so manches Mal erst gegen 21 Uhr Feierabend. Die Mittagspause abgezogen, kam ich bequem auf tägliche 12 Stunden. Da heute nur der Koch in der Kombüse arbeitet und seine Arbeitszeit eingeschränkt ist, fehlt ihm die Zeit, um noch einen großartigen Nachtisch und sonstige Leckereien zuzubereiten.
Wir haben Windstärke 4 bis 5 und das Schiff schaukelt mehr oder weniger arg vor sich hin. Empfindliche Leute bekämen dabei bereits die „Seekrankheit“. In Anführungszeichen deshalb geschrieben, weil es ja keine wirkliche Krankheit ist. Es ist ein Problem der Gleichgewichtsorgane. Diese „Krankheit“ ebbt in der Regel nach spätestens 48 Stunden ab. Dann sollte man wieder „gesund“ sein! Soeben überholen wir einen Bulkcarrier mit japanischer Flagge. Für „Landratten“: Ein „Bulkcarrier“ ist ein Massengutfrachter oder auch Schüttgutfrachter und lädt Schüttladungen wie Kohle und Getreide. Es gibt auch sogenannte „Feeder Schiffe“. Bei einem Feeder Schiff handelt es sich um ein kleineres Containerschiff, welches in sogenannten Zubringerdiensten eingesetzt wird. Davon begegnen uns immer wieder welche.
Der Steward kommt in meine Kammer, um mein Bett zu machen. Anschließend kümmert er sich um den Nassbereich. Ansonsten hat er bei mir nicht viel zu tun, denn Ordnung halte ich selbst und eigentlich müsste auch mein Bett nicht gemacht werden. Ich ordne es täglich selbst, aber er zieht immer hier und da noch etwas am Laken, bis es wirklich glatt ist. Gern würde ich ihm sagen, dass er bei mir nichts machen muss, aber es ist sein Job.
Ich gehe auf die Brücke und treffe dort den belgischen Lotsen. Er begrüßt mich mit „Guten Morgen“. Das freut mich und wir kommen schnell ins Gespräch. Zwischendurch sagt er dem Rudergänger (Ausguck) „two six seven“. Der Rudergänger, einer von der Decksmannschaft, weiß dann, dass er den Kurs auf 267 0ändern muss. Später auf dem offenen Meer wird auf „Autopilot“ umgestellt. Zurzeit befinden wir uns aber auf „Revierfahrt“. Von Hamburg nach Antwerpen waren es 252 sm/467 km (1 Seemeile =1.853 m). Es liegen von Antwerpen nach Le Havre 186 sm bzw. 345 km vor uns. Dann geht es über den „großen Teich“ nach Sepetiba/Brasilien über 5.135 sm, also 9.515 km.
Das Lotsenboot nähert sich mit hoher Geschwindigkeit der „Santa Rosa“ und kommt längsseits an die Backbordseite. Der Lotse verabschiedet sich mit den Worten „two, three, zero“ und verlässt die Brücke, um dann über die Jakobsleiter ins Lotsenboot zu steigen. Die „Jakobsleiter“ ist eine Leiter mit Holzsprossen. Das ist eine äußerst wackelige Angelegenheit und nicht für jedermann geeignet. Man nennt sie auch „Lotsentreppe“. Der Lotse trägt dabei stets, aus Sicherheitsgründen, eine Schwimmweste.
Der Kapitän übernimmt wieder das Kommando und wiederholt die Position „two, three, zero“. Auch der Rudergänger wiederholt diese stets, damit klar ist, dass er alles richtig verstanden hat.
Die „Schelde“ führt uns für kurze Zeit in die Nordsee und dann in den Englischen Kanal. Wir passieren die Kanalenge zwischen Dover und Calais. Das Schaukeln wird etwas heftiger und es ist ein dumpfes Stampfen zu vernehmen. An Geräusche dieser Art werde ich mich wieder gewöhnen müssen.
Wie habe ich mir die Reise vorgestellt? Als Langstreckenläufer wollte ich jeden Morgen etliche Male auf dem Deck hin- und herlaufen. Pustekuchen! Das geht nicht. Der Gang ist zu schmal und es stehen überall Klappen, die der Entlüftung des Laderaumes dienen, offen. Wenn ich da mit dem Kopf gegen eine Klappe laufe, brauche ich anschließend ein neues Passbild. Die Klappen wurden von mir während der Reise einmal gezählt und ich kam, zusammen mit denen auf der Back- und der Steuerbordseite, auf 172. Sollten diese aus irgendeinem Grund mal schnell geschlossen werden, so kommt man sicherlich ins Rotieren. Denn die Klappen müssen herunter-geklappt werden und werden dann jeweils mit zwei Flügelmuttern angezogen.
Ich marschiere mehrmals am Tag von Steuerbord über das Achterschiff und über Backbord wieder zurück oder in ent-gegengesetzter Richtung über die Back. Will man sich weitere Bewegung verschaffen, so gibt es dafür noch zwei Räume, in denen man sich auf dem Laufband, mit Hanteln und an der Tischtennisplatte austoben kann. Außerdem steht auch noch der Miniswimmingpool zur Verfügung. Er ist mit Meerwasser gefüllt, das regelmäßig ausgetauscht wird. Wir haben nichts so sehr im Überfluss wie Meerwasser.
Vom Oberdeck zu meiner Kammer auf dem Deck F sind es jedes Mal 96 Stufen. Will ich auf die Brücke, dann sind es noch einmal 32 mehr. Komme ich vom Landgang, dann muss ich die Gangway über 55 hochlaufen und dann gleich 96 weitere bis zu meiner Kammer. Das Schiff hat wohl einen Fahrstuhl, aber da laufe ich immer dran vorbei. Ich habe mal nachgedacht, wie oft ich am Tag die Treppen rauf und runter laufe. Es kommen täglich etwa 600 Stufen zusammen. Eher mehr! Bei meiner 49-tägigen Reise komme ich so auf ca. 30.000 Stufen, die ich rauf und runter gewetzt bin.
Es ist jetzt 11 Uhr. Bevor ich zum Mittagessen gehe, mache ich noch meinen morgendlichen Spaziergang auf dem Oberdeck. Ich muss das Gleichgewicht halten und aufpassen, dass ich mir nicht den Schädel anschlage, sonst brauche ich, wie gesagt, doch noch ein neues Passbild. Der Wind ist ziemlich heftig und bläst mir die Falten aus dem Gesicht. Die vorn gestraffte Haut flattert dann am Hinterkopf. Da auch ich ein wenig eitel bin, habe ich eine Mütze auf. Dann sieht man die flatternden Hautfalten nicht so sehr.
Vor dem Essen unterhalte ich mich noch mit dem 2 ndEngineer und frage, ob wir schon im Kanal sind. Er hebt nur die Schultern und sagt: „Kann schon sein, in der Maschine bekomme ich davon nichts mit.“ Die Aussage war lustig! Es gibt eine Gemüsesuppe, Steak, Mischgemüse und Reis. Ich hätte auch Kartoffelchips haben können, aber ich entschied mich für Reis. Morgen habe ich dann wieder die Auswahl zwischen Reis und POT – also POTatos. Dann werde ich mich für POT entscheiden. Jetzt kenne ich ja die Abkürzung! Zum Nachtisch gibt es Eiscreme. Ich glaube, dass ich heute mal aufs Laufband muss.
Der Nebel ist dichter geworden. Man kann von den Achteraufbauten noch nicht einmal bis zur Back schauen. Meinen Laptop kann ich nur noch schlecht auf dem Schoß halten und muss wohl auf den Tisch ausweichen, denn das Ding knallt mir sonst herunter.
Uns begegnet ein „Ro-Ro“-Schiff (Roll on/Roll off). Dieser Schiffstyp wird häufig im Fährverkehr eingesetzt. Ro-Ro-Schiffe haben mindestens eine Bugoder Heckklappe, über die die Fracht ein- und ausgerollt (aus- und eingeladen), werden kann. Selten sieht man sogenannte Semi-Container. Diese Schiffe haben Container und Stückgut geladen. Zudem verfügen sie oft über eigenes Ladegeschirr. Stückgutfrachter, wie ich sie noch kenne, hatten grundsätzlich eigenes Ladegeschirr. Aber das ist heute nicht mehr Standard.
Das Schaukeln wird immer heftiger und das Schreiben macht keinen Spaß mehr. Daher mache ich einen Deckspaziergang und besuche die Brücke. Ob ich noch auf das Laufband gehe? Das Ding hat links und rechts einen Handlauf zum Festhalten. Mal sehen! Am frühen Nachmittag bessert sich das Wetter wieder und es scheint sogar zeitweise die Sonne. Auch das Meer hat sich später beruhigt und ich kann wieder ungestört schreiben.
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