Im Hafen, so sagt der 1. Mate, sollte die Kammer stets verschlossen sein. Er zeigt uns die Brücke. Sie ist riesig und mit Technik vollgestopft. Danach ist der Maschinenraum interessant. Mann, Maschinenraum? Dieser geht über acht Stockwerke und ist von seiner Größe kaum zu beschreiben. Der 1. Mate will mit uns eine lange steile Treppe hinuntergehen. Inge und Maria streiken. Volker und ich folgen ihm. Er saust in einem Tempo herunter, dass wir kaum nachkommen. Er ist eben über 35 Jahre jünger als wir!
Wir gehen dann noch allein durch alle Decks. Angefangen vom „upper deck“ (Das sog. „Oberdeck“.), auf welchem wir das Schiff zuerst betreten haben, über die Decks von A bis G. Dann kommt noch das Navigationsdeck, das „Wheelhouse“ oder auch „Brücke“ oder „Kommandobrücke“, wie auch immer man diese Einrichtung nennen will. Meine Kammer befindet sich auf dem F-Deck. Wenn ich zum Essen gehe, dann muss ich vier Decks runter zum B-Deck. Es gibt auf den einzelnen Decks viel zu sehen. Das Schiff verfügt über zwei Fitnessräume und einen Innenswimmingpool. Er ist klein, aber fein! Außerdem gibt es eine Waschküche mit der Möglichkeit zum Bügeln, eine Sauna sowie einen Raum für Tischtennis und für Tischfußball.
Die Zeit des Abschieds ist gekommen. Wir gehen die Gangway hinunter, machen einige Fotos und dann, nun ja: „Gute Reise!“. Mit leichtem Bauchweh verabschiede ich mich von Schwager und Schwägerin. Der Abschied von Inge dauert etwas länger. Als sie sich mit dem Shuttle von mir entfernen, bekomme ich leicht schwitzige Augen. Sollte ich wirklich sieben Wochen für mich allein sein? Es ist nun zu spät und die Würfel sind gefallen. Ich muss nun an Bord und meine Zeit so genießen, wie Inge es von mir möchte. Soll ich mich jetzt schon auf das Wiedersehen freuen? Knallhart gesagt: Jetzt geht es nach Belgien, Frankreich, Brasilien, Argentinien, Uruguay, Brasilien, Marokko, Holland, England, auf der Elbe am „Willkommen-Höft“ vorbei und dann bin ich wieder bei meiner Inge, den Söhnen, den Enkelkindern und in meiner alten Umgebung.
Morgen früh legt das Schiff ab. Ja, mir ist flau im Magen und ich habe leichte Schuldgefühle, die mir meine Inge die letzten Tage ausreden wollte. Sie hat aber Recht: „Ingo, es ist ein Jahrzehnte währender Traum. Wenn nicht jetzt, wann dann? Mensch Ingo, in sieben Wochen bist du ja wieder da!“
Zwischen 17.30 und 18.30 Uhr ist „Dinner Time“. Mit dem Kapitän sitze ich allein in der Offiziersmesse. Nach einem kurzen Gespräch muss er an Deck. Die letzten Tage habe ich mich nur von Fischbrötchen ernährt, obwohl Schwägerin Maria stets etwas Leckeres in der Pfanne hatte. Es ist aber nun einmal so: Wenn ich in Hamburg bin, dann schaue ich mir die Innenstadt und den Hafen an. Dann trödele ich an den Landungsbrücken vorbei und schlappe noch einmal über „de RRReeperbahn“, die immer mehr zu einem Ort des Abgewöhnens wird. Dann geht es noch ein Mal über die Mönckebergstraße und zur Innen- und Außenalster. Zwischendurch werden einige Heringsfischbrötchen oder eine dicke Bockwurst, der sog. „Hamburger Lümmel“ konsumiert.
Bei meinen Hamburg-Touren bin ich in der Regel zwischen sechs und acht Stunden unterwegs. Es war auch schon mal länger, aber niemand kommt auf die Idee, deswegen eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Maria und Volker können es wohl nicht immer nachvollziehen, dass man so lange freiwillig durch die Botanik schleicht. Aber auch sie kennen es inzwischen von mir nicht anders. Immerhin waren wir bereits drei Mal gemeinsam im Urlaub. Volker ist inzwischen infiziert. Auch er schlappt mit mir inzwischen zwei oder gar drei Stunden auf Mallorca durch die Gegend. Wenn ich erst wieder zurück in Hamburg bin, werde ich tief durchatmen und dann fliegen wir anschließend für 14 Tage auf diese „Putzfraueninsel“. Volker übernimmt inzwischen die Planung für diese Reise und sucht die Ziele aus, zu denen wir dann hinmarschieren werden.
Ich laufe auf der Pier von achtern zum Bug und mache einige Fotoaufnahmen. Von verschiedenen Decks aus beobachte ich später die Verladung. Danach schaue ich nochmals ins Internet und nasche dabei eine Tüte Süßigkeiten.
Nach zehn Minuten ist mir schlecht, worauf ich einen Rotwein trinke. Um 22 Uhr falle ich müde in die Koje. Morgen früh sollen wir um 5 Uhr auslaufen.
09. April (01.Tag) HH-Burchardkai nach Antwerpen - B
Die „Santa Rosa“ legt um 6.10 Uhr am Burchardkai ab. Langsam werden wir von den Schleppern in die Fahrrinne gezogen und geschoben. 45 Minuten später passieren wir die Begrüßungs- und Verabschiedungsanlage am „Willkommen-Höft“. Die sonst übliche Verabschiedung mit: „Muss i denn zum Städtele hinaus …“ wird uns leider nicht zuteil. Schade, aber es ist noch zu früh. Ob wir nach sieben Wochen begrüßt werden? Es kommt auf die Einlaufzeit an!
Mit einer Geschwindigkeit von 9 und 13 Knoten fährt das Schiff in Richtung offene See. Der Kurs bewegt sich zwischen 285° und 290 °, also in westlicher Richtung. Es ist allerhand los auf der Elbe und der Hafenlotse macht zwischendurch Frühstück. Die „AIDAstella“ begegnet uns. Es ist ein AIDA-Kreuzfahrtschiff, das Träume wahr werden lässt. Das Schiff hat wirklich nach außen hin Balkone. Bisher überlegte ich bei Reiseausschreibungen immer, wo denn wohl Balkone sein sollen? Nach einigen Tagen lese ich in einer Bordzeitschrift der „Hamburg-Süd“, dass die „AIDAstella“ 253 m lang ist. Sie hat 71.304 BRT. Am 11. März 2013 übergab die „Meyer Werft“ den Passagierriesen offiziell an die „Kussmund Reederei“. Sie wird gern so genannt, weil auf dem Bug ein riesiger Kussmund gemalt ist.
Der Steward kommt gegen 10 Uhr, um für Ordnung und Reinigung in meiner Kammer zu sorgen und ist bei mir schnell fertig. Meinen Tagesbericht habe ich bereits geschrieben. Es ist der erste von am Ende 49 Tagen Seefahrt auf der „Santa Rosa“. Ich begebe mich zwei Decks höher auf die Brücke. Der Hafenlotse wurde inzwischen durch den Elblotsen abgelöst. Nun stelle ich dem Lotsen die dumme Frage, ob wir schon auf dem offenen Meer sind? „Nee, immer noch auf der Elbe!“ So dumm war meine Frage eigentlich gar nicht, denn
die Elbe ist hier so breit, dass man wirklich davon ausgehen könnte, diese liege bereits hinter uns und wir befänden uns auf dem offenen Meer.
Ich werde auf der Brücke kaum wahrgenommen und betrete diese zunächst noch recht ehrfürchtig. Kontakt hatte ich bisher kaum mit der Mannschaft. Ich lasse es auch langsam angehen, denn die Besatzung hat hier etwas Besseres zu tun, als sich mit dem Passagier zu befassen. Unter uns aber: Ein kurzes Kopfnicken würde mir derzeit auch genügen. Das wird sich aber sicher alles noch ergeben. Zurzeit komme ich mir aber etwas hilflos vor!
Der Koch stammt aus der mikronesischen Republik Kiribati. Zum Mittag gibt es eine Pilzcremesuppe, danach Fischfilet mit Brechbohnen und Reis oder Kartoffelchips. Der Steward ist sehr nett und im Moment auch einer der wenigen Besatzungsmitglieder, zu dem ich etwas Kontakt habe. Der Kapitän nimmt seine Mahlzeit wortlos und sehr schnell ein. Er muss wieder auf die Brücke. Nach gut fünf Stunden ist die Nordsee erreicht.
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