„Ich meine nicht diese Art von Geist.“
Dann bist du in die Küche gegangen.
„Welche denn?“
Djawid ist uns gefolgt, wohl um die Entdeckung des Geistes historisch herzuleiten. Den begeisterten Hobbyhistoriker gewann mühelos für sich, wer ihm ein, zwei Fragen zum Thema stellte.
Du hast den Pfannenwender gehoben und mit der Autorität des Küchenmeisters in der Klapse verkündet: „Essen ist fertig!“
Du hast jegliche Art von Diskussion lange gemieden und die Angewohnheit, deine Gesprächspartner überzeugen zu wollen, irgendwann abgelegt wie eine ungesunde Sucht. Mit Yalda und Nima hast du dir nie lange Wortgefechte geliefert. Du warst der Meinung, eine kurze, vernünftige Erklärung müsse genügen. Djawid hat gerufen: „In diesem Haus werden keine Lektionen mehr erteilt!“
Für euch war sogar die Liebe ein Ritual, kein persönliches Erlebnis. Deshalb wart ihr an dem Abend, als ich zu euch kam, auch aus dem Konzept gebracht. Djawid hat den Kopf zur Schlafzimmertür rausgestreckt und konstatiert: „Unsere Wohnung ist wie die Schweizer Botschaft. Wer Probleme hat, sucht bei uns Zuflucht.“
Er hat in Richtung Obergeschoss gedeutet und „Leise!“ gesagt.
Ich hab laut geweint, gefleht: „Tut doch was!“ und wusste im Grunde, dass nichts zu machen war. Mehrdad hatte mich verlassen, für immer. Es war dunkel im Treppenhaus, ich hab Djawid in seinen Hausschlappen, flipp-flapp, nach draußen kommen hören, hab mich auf den Treppenabschnitt vor der Wohnung des Hauseigentümers im Stockwerk über euch gesetzt und gedacht: „Hier geht’s schlimmer zu als in der ugandischen Botschaft.“ Von irgendwoher wehte der üble Geruch nach verfaulten Gurken.
„Leiser“, hat Djawid gesagt, „ich bitte dich!“
Und ich dachte: Der Botschafter eines Landes aus der vierten Welt.
Die Wohnungstür über uns ist aufgegangen. Du hast mich am Arm gefasst und durchs Treppenhaus in eure Wohnung geleitet. „Irgendwas musst du tun!“, hab ich dich angefleht und auf deine Reaktion gewartet. Stattdessen fühlte Djawid sich berufen, mir eine Predigt zu halten. Über Klassenunterschiede, über die Unmöglichkeit des Zusammenlebens zweier Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft. Ich hab dich angeschaut, hab mich gefragt, wie du diesen Mann lieben konntest, nicht nur eine Stunde lang, nein, jede Stunde jedes Tages, beim Frühstück, beim Mittag- und beim Abendessen. Nicht nur an ein, zwei Tagen, nein, tagein, tagaus, seit sechzehn Jahren schon. Einen Mann, der selbst dann redete, wenn man ihn nicht aufmunternd ansah, und der seinen Redefluss wohl auch nicht unterbrechen würde, wenn man in Ohnmacht fiele.
Ich hab noch mehr Tränen vergossen. Diesmal nicht nur Mehrdads-, nein, auch deinetwegen.
Du hast mir derweil die Papiertaschentücher gereicht und das festklemmende erste Tuch energisch aus der Schachtel gezerrt. Sekundenlang hatte ich das unbestimmte Gefühl, keine zutiefst vernichtende Niederlage erlitten zu haben, sondern erleichtert zu sein, erlöst. Noch war nichts verloren, und es kam gar nicht so sehr darauf an, ob Mehrdad nun ging oder blieb.
Ich hab ihn vor mir gesehen, in der weiten Pyjamahose, die Djawid von der schmalen Taille rutscht, und hab sein „Psst, psst!“ gehört. Trotz meiner Tränen hab ich kurz andere Töne wahrgenommen, die mir die Kraft gaben, mich für immer von Mehrdad loszusagen. Doch so rasch wie er gekommen war, war dieser Moment der Stärke auch wieder verflogen.
Heute Abend aber ist von Vernunft und Logik keine Spur mehr. Heute Abend bist du verrückt geworden und Djawid ist so aus der Fassung geraten, dass er dich nicht „Verrücktes Huhn“ nennen konnte. In dem Ton, in dem er’s neulich abends in eurer verwinkelten Mietwohnung zu mir gesagt hat. „Verrücktes Huhn“, hat er gesagt, wenn auch nicht so, wie ein Kumpel es sagen und dabei lachen würde. Es hat sich nicht angehört wie die freundschaftliche Bemerkung, die dir signalisieren soll: Bleib wie du bist.
Du hast gesagt: „Wenn er echtes Interesse an dir hat, kommt er zurück.“
Ich hab gesagt: „Er hat echtes Interesse an mir, aber er kann nicht.“
Ich und Mehrdad gingen spazieren und redeten.
Seine Mutter hatte ihm zur Verlobung ein, wie er es ausdrückte, „grundsolides Kind aus gutem Hause“ ausgesucht und erwartete ihn nun. Es war alles bereit. Er musste nur noch nach Hause gehen. Er könne, so sagte er, seiner Familie gegenüber nicht länger Widerstand leisten.
Auf diesem Wort beharrte er, und ich dachte jedes Mal an Sadegh, den entweder du oder Djawid, genau weiß ich das nicht mehr, als die Verkörperung des Widerstands bezeichnet hat.
Ich fand, wir müssten Mehrdad vor vollendete Tatsachen stellen, es irgendwie so einrichten, dass er ohne Widerstand auskommen konnte. Und wieder kam mir Sadegh in den Sinn.
Yalda schlug vor: „Wir nehmen ihn einfach fest und halten ihn solange gefangen, bis die Hochzeit platzt.“
Erst jetzt wurde Djawid auf seine Tochter aufmerksam, die unter ihrer Decke hervorgelugt hat wie eine Schildkröte unter ihrem Panzer.
„Du, schlaf jetzt bitte.“
Er ist aufgestanden und hat die Schiebetür zugezogen.
„Wenn wir zusammen erwischt werden, müssen wir zwangsläufig heiraten.“
Über dieser Option hatte ich seit längerem gebrütet. Jetzt sprach ich sie zum ersten Mal offen aus und erntete ein heftiges Schnauben und ein „Verrücktes Huhn!“ von Djawid.
Dann hat er dich angeschaut.
„Sie faselt im Fieber.“
Du hast gesagt: „Wenn alles schon so weit gediehen ist, heißt das doch, Mehrdad ist einverstanden, er will mit ihr zusammenleben.“
Djawid hat gesagt: „Liebesbeziehungen unterliegen bestimmten Gesetzen, wie alles andere auch. Deshalb erkennst du ja, dass diese nicht echt ist.“
Es war kaum Licht im Zimmer. Djawid musste auf einem Stuhl Platz nehmen. Wer Gewichtiges sagen möchte, kann nicht einfach irgendwo hocken, sondern muss aufrecht sitzen und Rückhalt haben.
„Woran denn?“, wollte ich wissen und erinnerte mich an den schummrigen Laden in einem Film, in dem ein Antiquitätenhändler, mit Messlupe vorm Auge, über alte Stücke gebeugt saß, und echte Originale von Fälschungen unterschied.
Djawid hat seine ausgestreckten Beine angezogen und sie unter seinen Stuhl manövriert.
„Am Ende. Du siehst ja, dass alles rausgekommen ist.“
Ich musste lachen. Ich hatte mich zu Djawid nach Hause begeben, um mir von ihm, dem Detektiv, berichten zu lassen, dass die Affäre aufgeflogen war.
Er hat die Arme verschränkt. „Wenn du aufmerksam bist, merkst du’s auch gleich zu Beginn.“
Ich wusste nicht, was ich merken sollte. Ich war müde, ließ den Kopf hängen. „Aber er liebt mich.“
Djawid hat sich von seinem Stuhl aus zu mir gebeugt. „Gefühl ist nicht alles. Zweckdenken spielt die größere Rolle. Wenn jemand von Liebe redet und ,von ganzem Herzen‘ sagt, glaub ihm kein Wort. Das ist die größte Lüge.“
Umso mehr fragte ich mich jetzt, wie sich euer Liebesspiel wohl gestaltete. Früher hab ich mir Djawid immer als den Typ Mann vorgestellt, der seine Frau umarmt und dabei an einen irgendwo einzuschlagenden Nagel oder an den Scheck denkt, den er am nächsten Tag einlösen muss.
Djawid ist aufgestanden, hat mich im Vorbeigehen angestubst, hat „Sei vernünftig, Mädchen!“ gesagt und ist schlafen gegangen.
Ich wünschte die Vernunft indes zum Leichenwäscher. Was bringt mir eure Pseudovernunft. Was bringt sie euch? Sie hat euch bloß geschützt. Und das auch nur äußerlich. Sie hat euch, wie das Gesetz zum Schutz der Umwelt, einen Schonraum verschafft. Ihr habt einander an den Händen gefasst und einfach beschlossen, gemeinsam unter einem Dach zu leben. Mir wird von solch vertraglich geregelter Harmonie kotzübel. Eure Beziehung ist während der letzten sechzehn Jahre zum Werbespot geworden: Stets vernünftig und zufrieden.
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