„Alles in Ordnung? Geht es dir gut?“, fragte Dylan sie.
Paige blickte von dem Lachs auf, an dem sie mit ihrer Gabel herumstocherte, und zwang sich zu einem Lächeln. „Ja, klar, alles gut. Das Essen ist köstlich.“ Sie aß einen Bissen und erkundigte sich, wie ihm sein Hummer schmeckte.
„Hervorragend“, antwortete er, wischte sich den Mund ab, trank einen Schluck von seiner Cola und fragte sie: „Habt ihr diese Woche irgendein Tier aus dem Tierheim vermitteln können?“
„Nur eine einzige Katze“, sagte sie bedrückt. Sie dachte an all die verlassenen Tiere in den Zwingern und an den riesigen Garten hinter Dylans Haus. Sie sollte ihn dazu überreden, einen Hund aufzunehmen. Die braune Labradorhündin würde gut zu ihm passen, und er hatte auch genügend Platz für sie, doch irgendwie hatte sie nicht die Energie, das Thema anzusprechen.
„Bist du ganz sicher, dass alles okay ist?“, fragte er noch einmal und betrachtete sie eingehend. „Du kommst mir so … still vor heute Abend.“
„Das liegt bestimmt an dem Mittel gegen Seekrankheit. Auf Folly Shoals Essen zu gehen war wirklich eine gute Idee von dir. Ich bin gerne hier, weil es mir immer vorkommt, als lägen Welten zwischen Summer Harbor und der Insel.“
Doch in Gedanken war sie die ganze Zeit auf dem Festland geblieben, und auch während des Fußweges vom Hafen zu dem Lokal mit dem leckeren Essen hatte sie Riley einfach nicht aus dem Kopf bekommen.
So viel Mühe er sich auch gab, jedem ein lächelndes Gesicht zu zeigen, es war nicht zu übersehen, dass es ihm nicht gut ging, und heute Abend war er ziemlich am Ende gewesen. Sie musste gestehen, dass sie Schuldgefühle hatte, weil sie ihn allein gelassen hatte, obwohl ihm deutlich anzumerken gewesen war, dass er mit seiner Situation nicht gut zurechtkam. Und nicht genug damit, dass sie ihn allein gelassen hatte, sie hatte ihn auch noch deutlich ihre Ungeduld spüren lassen.
Wie ein verletztes Tier war er ihr vorgekommen, wachsam und auf der Hut, und als sie versucht hatte, ihm zu helfen, hatte er sie angefaucht. Sie hatte sich schon mit großer Geduld und Fürsorge um so viele Tiere gekümmert und sie nicht nur medizinisch versorgt, sondern auch getröstet und beruhigt, aber den allerbesten Freund, den sie auf der Welt hatte, hatte sie erst angeschnauzt und dann sich selbst überlassen.
Ganz tief in ihrem Innern war sie immer noch sauer auf ihn, weil er sie verlassen hatte, obwohl ihr klar war, wie dumm das war. Doch dieses Wissen bewirkte nicht, dass das Gefühl verschwand.
Ihre Schuldgefühle setzten ihr jetzt dermaßen zu, dass sie plötzlich absolut keinen Appetit mehr hatte und die Gabel hinlegte.
Da stützte sich Dylan mit den Ellbogen auf die Tischplatte, verschränkte die Hände unter dem Kinn und sagte: „Was ist los, Paige?“
Sie rang sich ein Lächeln ab und antwortete: „Tut mir leid. Ich war mit meinen Gedanken woanders.“
„Ist es etwas, worüber du reden möchtest?“
Sie schaute ihm in seine braunen Augen, die wirklich ein bisschen verträumt aussahen – und nachdenklich. Er war ein guter Zuhörer, und sie hatte auch schon all ihre Sorgen wegen des Tierheims bei ihm abgeladen. Geduldig hatte er zugehört, als sie ihm von Spendenaktionen und Finanzierungslücken erzählt hatte. Wieso sollte sie da nicht auch über ihren besten Freund mit ihm reden? Riley war schließlich ein großer und wichtiger Teil ihres Lebens, besonders jetzt, da er wieder in Summer Harbor war.
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und sagte: „Ach, es ist wegen Riley. Ich mache mir Sorgen um ihn. Er spielt den munteren, gut gelaunten Kumpel und tut so, als wäre alles in bester Ordnung, aber das nehme ich ihm nicht ab.“
Dylan stieß ein ungläubiges Schnauben aus und fragte: „Das war also gut gelaunt und munter?“ Dabei hatte seine Stimme einen sarkastischen Unterton, wie sie ihn zuvor noch nicht bei ihm gehört hatte.
Sie sah ihn daraufhin mit einem vernichtenden Blick an und erklärte: „Er hat ziemlich viel durchgemacht, Dylan. Wenn er nicht aufpasst, wird er manchmal ein bisschen bissig, so wie heute Abend, und ich habe darauf nicht gut reagiert.“ Sie warf die zerknüllte Serviette auf ihren Teller und wiederholte noch einmal: „Ich habe gar nicht gut darauf reagiert.“
„Jetzt sei aber mal nicht so überkritisch mit dir selbst. Schließlich lässt du ihn bei dir wohnen und bist praktisch sein Kindermädchen.“
„Sag das bloß nicht, wenn er dabei ist. Er ist fast schon übertrieben selbstständig. Und natürlich helfe ich ihm. Schließlich ist er mein bester Freund.“
„Bist du sicher?“
Fragend sah sie ihn jetzt an. „Was soll denn dieses Misstrauen?“
Ihre Blicke verhedderten sich ineinander, und in diesem Moment sahen seine braunen Augen kein bisschen verträumt aus, sondern eher hart und zweifelnd.
Ihre Schultern verspannten sich, und ihr wurde heiß.
„Ich meine nur … bist du ganz sicher, dass er nicht mehr für dich ist?“, fragte Dylan nach.
Da setzte sie sich auf ihrem Stuhl zurück und antwortete: „Ja klar bin ich sicher.“
„Dafür, dass er angeblich nur dein Freund ist, beschäftigt er dich aber ziemlich stark.“
Nachdenklich kniff sie die Augen zusammen und sah Dylan an. War er etwa einer von diesen eifersüchtigen, besitzergreifenden Typen? War seine Frage ein Warnsignal, oder machte er sich wirklich nur Gedanken? Auf der Highschool hatte es ein paar Jungen gegeben, die ihre Freundschaft mit Riley nicht verstanden und deshalb seltsam reagiert hatten, wenn sie Zeit mit ihm verbrachte. Aber Dylan und sie waren erwachsene Menschen und deshalb über solche pubertäre Unsicherheit und die daraus resultierenden Spielchen hinaus.
Sie schob ihren Teller zurück und sah ihn direkt an. „Hör mal, Dylan, Riley und ich sind schon sehr lange befreundet. Er ist wie ein Bruder für mich. Ich würde alles für ihn tun, und das gilt auch umgekehrt. Wenn es dir unangenehm ist, dass ich einen so engen männlichen Freund habe …“
Beschwichtigend hob Dylan darauf die Hände und sagte: „Nein, nein. Tut mir leid, ich wollte wirklich nicht besitzergreifend rüberkommen. Er ist dein Freund, und du willst für ihn da sein. Ich hab’s kapiert.“
„Na, dann ist es ja gut.“
Als sie jedoch seine Miene sah, in der keinerlei Bedauern zu erkennen war, fragte sie sich, ob er es wirklich kapiert hatte.
Jedenfalls war der Zauber bei diesem Date sehr schnell erloschen, und plötzlich wollte sie nur noch nach Hause zu Riley, wollte sich bei ihm entschuldigen, dass sie die Beherrschung verloren hatte, und die Sache zwischen ihnen wieder in Ordnung bringen.
Sie schaute deshalb auf die Uhr und sagte: „Also ich will ja nicht spießig wirken, aber hättest du etwas dagegen, wenn wir die nächste Fähre zurück nehmen? Es war ein langer Tag.“
Sie wusste, dass sie ein wenig angesäuert klang, aber … genau das war sie auch. Sie hatte momentan wirklich genug Stress im Leben, auch ohne einen Mann, mit dem sie sich erst seit Kurzem traf und der schon jetzt eifersüchtig auf Riley war.
Dylan sah sie daraufhin sehr lange an, und mit jeder Sekunde wirkte seine Miene angespannter. Schließlich legte er seine Serviette auf den Teller und sagte: „Also gut, nehmen wir die nächste Fähre.“ Er hob eine Hand, als die Kellnerin vorbeikam, und sagte „Bitte zahlen.“
Was machte er hier eigentlich? Der allerletzte Ort, wo Riley sich hätte aufhalten sollen, war das dunkle Wohnzimmer, in dem er wie ein überbehütender Vater auf Paige wartete. Sogar das Licht auf der Veranda hatte er eingeschaltet, obwohl es noch gar nicht richtig dunkel war.
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