„Hey“, sagte Beau jetzt. „Du machst das alles so großartig und läufst schon wie ein Profi an diesen Dingern.“
Ja, klar. Er war ein echter Profi. Noch vor einem Monat hatte er zehn Kilometer in voller Kampfmontur rennen können, und jetzt musste er wieder laufen lernen wie ein Kleinkind.
Er zwang sich zu einem Lächeln. „Ja, echt schnell, nicht?“
„Wart’s ab, eh du dich versiehst, gehst du wieder auf Hummerfang“, sagte Beau.
Daraufhin sah Riley ihn nur an, stieß ein trockenes, freudloses Lachen aus und sagte: „Ja, klar.“
„Wieso denn nicht?“, fragte Zac. „Beinamputierte können doch heutzutage alles Mögliche machen. Sieh dir doch nur mal all die Läufer bei den Paralympics an.“
Riley schaute ihn daraufhin finster an. Im Moment war es ja schon illusorisch, aus eigener Kraft und ohne Hilfsmittel auch nur einmal durch den Raum zu gehen, und seine Zukunft kam ihm ungefähr so strahlend vor wie ein schwarzes Loch.
Na, so viel dann also zu „all dem Guten“, das du mit mir vorhast, was, Gott? „Gedanken des Friedens und nicht des Leids“? „Hoffnung und Zukunft“?
Ja klar.
„Wieso denn nicht?“, fragte Beau. „Es gibt doch keinen Grund, wieso du nicht wieder Fischen gehen solltest.“
Auf welchem Planeten lebte sein Bruder eigentlich? „Ja, und bei meinem Glück verliere ich dann auch noch eine Hand in der Takelage. Vielen Dank auch. Den Rest meiner Gliedmaßen würde ich eigentlich ganz gerne behalten. Ich habe nämlich keine mehr übrig.“
In dem Moment kamen die Mädels aus dem Billardraum zurück an den Tisch und quetschten sich auf die gegenüberliegende Bank, sodass die Anspannung am Tisch etwas nachließ.
„Wo ist denn Micah?“, fragte Zac jetzt, denn Eden hatte sonst eigentlich fast immer ihren siebenjährigen Sohn dabei.
„Mein Vater hat ihn mit zum Angeln genommen. Das heißt, dass sie eine Viertelstunde die Angel ins Wasser halten und dann aufgeben und Eis essen gehen.“
„Ganz schön schlau, die Jungs“, bemerkte Lucy. „Es gibt doch nichts Besseres als eine Kugel Eis. Außer zwei Kugeln.“
Zac stupste seine Frau an und sagte dann mit zärtlichem Blick: „Ich erinnere mich an eine gewisse Person, die mir eine Kugel Eis in hohem Bogen auf den Schoß befördert hat. Wenn ich mich recht erinnere, führte dieser Zwischenfall zu einem ziemlich süßen und langen ersten Kuss.“
Sie lächelte ihn an, und ihr Blick wurde ganz weich. „Eine Frau muss eben tun, was eine Frau tun muss.“
Riley massierte sich währenddessen abwesend den Beinstumpf. Zacs und Lucys gemeinsame Geschichte war lang und kompliziert. Sie waren verlobt gewesen, bis Lucy ihn eine Woche vor der Hochzeit einfach hatte sitzen lassen und spurlos verschwunden war. Dann war sie Monate später wieder aufgetaucht, hatte aber ihr Gedächtnis verloren, sodass sie sich nicht einmal mehr daran erinnern konnte, dass sie Zac verlassen hatte. Sie war immer noch in ihn verliebt gewesen und davon überzeugt, dass sie demnächst heiraten würden. All den Aufruhr hatte Riley gar nicht miterlebt, weil er zu der Zeit bereits im Einsatz in Afghanistan gewesen war. Doch irgendwie schienen die beiden die ganze Geschichte gut bewältigt zu haben, und die frischgebackenen Eheleute sahen sich immer noch in die Augen, als wären sie allein auf der Welt.
Beau rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her und sagte schließlich: „So, jetzt ist aber gut – sonst nehmt euch doch ein Zimmer.“
Daraufhin lächelte Zac ihn provozierend an, tat, als ob er wirklich aufstehen wollte, und sagte: „Wenn du darauf bestehst …“
Aber Lucy gab ihrem Mann einen Stoß in die Rippen und sagte lachend: „Jetzt hör schon auf damit.“
Beau schaute Eden finster an und fragte: „Wie viele Tage sind es eigentlich noch bis zu unserer Hochzeit?“
„Halte durch, mein Schatz“, antwortete Eden. „Nur noch zwei Monate.“
Beau schloss die Augen. „ Monate. Was war noch mal der Grund, weshalb wir so lange warten?“
„Dass sie noch genügend Zeit hat, um zu merken, was für einen Riesenfehler sie macht“, antwortete Zac.
Beau warf seinem Bruder einen kurzen Blick zu, während Paige zurückkam, gegenüber von Riley in die Sitzbank rutschte und die anderen beiden Frauen begrüßte.
„Stimmt es, was ich über das Tierheim gehört habe?“, fragte Lucy bestürzt.
Riley sah Paige daraufhin durchdringend an. Sie waren die ganze Woche zusammen gewesen, die meiste Zeit zu zweit, und sie hatte nicht einmal andeutungsweise etwas davon gesagt, dass es Probleme gab. „Was ist denn mit dem Tierheim?“, fragte er.
Paige lächelte angestrengt, und ihr Blick ging flackernd in der Gruppe umher.
„Ach, wir haben nur ein paar finanzielle Probleme, sonst nichts.“
„Charlotte hat gesagt, dass sie das Tierheim schließen muss“, berichtete Lucy, was sie von der Besitzerin des Frumpy Joe’s gehört hatte. „Das hätte der Vorstand gestern beschlossen.“
„Ist das wahr?“, fragte Riley jetzt nach, doch er sah Paige auch so schon an, dass es stimmte. „Wieso hast du mir denn nichts davon gesagt?“
„Ach, so dramatisch ist es doch gar nicht. Ich habe noch drei Monate Zeit bekommen, die Sache wieder ins Lot zu bringen. Das wird schon klappen.“
„Und wie willst du das machen?“, fragte Eden.
„Indem ich neue Sponsoren auftue, eine Spendenaktion veranstalte und Zuschüsse beantrage.“
Mit gerunzelter Stirn sah Riley sie an und fragte: „Und wann willst du das alles machen? Dazu hast du doch gar nicht die Zeit.“
„Abends und an den Wochenenden. Manches davon kann ich auch bei der Arbeit erledigen, wenn nicht so viel los ist. Bei den Anträgen für Zuschüsse hilft mir Lauren – in Papierkram ist sie wirklich ein Ass. Ihr werdet sehen, das wird schon alles klappen.“
Jetzt schaute Riley Paige noch einmal etwas genauer an und sah, wie angespannt ihre Augenpartie wirkte, bemerkte die Sorgenfalten auf ihrer Stirn und wie sie nervös an ihrer Serviette zupfte.
„Wenn du Hilfe brauchst, eine Spendenaktion zu organisieren, dann sag Bescheid“, bot Eden an. „Ich kann einen Spendenaufruf oder was du sonst brauchst, auf die Homepage des Tierheims setzen.“
„Auf mich kannst du auch zählen“, sagte Lucy.
„Danke, Mädels. Das ist wirklich lieb von euch.“
In dem Moment kam die Bedienung, um ihre Bestellungen aufzunehmen. Rileys Magen knurrte vor Hunger, als eine andere Kellnerin mit einer Portion Chickenwings vorbeikam.
„Wie läuft denn deine Physiotherapie?“, fragte Beau, während die Mädels ein eigenes Gespräch begannen.
„Gut. Mein Therapeut erinnert mich an meinen Offizier in der Grundausbildung.“
„Na, das klingt ja nach jeder Menge Spaß“, bemerkte Zac.
„Alles ist gut, was mich wieder auf die Beine bringt.“ Auf das Bein.
„Wenn du mal jemanden brauchst, der dich fährt, sag Bescheid“, bot Beau seinem Bruder an.
Dann sprachen sie über das Spiel der Red Sox. Riley hatte seinen Blick die ganze Zeit fest auf den Fernsehbildschirm gerichtet und tat so, als würde er es aufmerksam verfolgen.
Schon seit dem Morgen, als er auf dem Weg zur Therapie am Hafen vorbeigekommen war, fühlte er sich niedergeschlagen. Der Anblick der Hummerfischer, die ihre Boote zum Auslaufen fertig machten, die Kennzeichen auf den Bojen, deren Bedeutung er noch genau kannte – alles erinnerte ihn an die Zeit, als er einer von ihnen gewesen war. Es fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube.
Eigentlich hätte er jetzt mit den anderen Fischern draußen sein sollen, um Hummerfallen einzuholen und nachzuschauen, wie der Fang an diesem Tag war.
Er verspürte eine unendliche Sehnsucht danach, wieder aufs Meer hinauszufahren, den salzigen Wind im Gesicht zu spüren, zu arbeiten wie sein Vater und davor schon dessen Vater. Der Hummerfang lag ihm im Blut.
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