1 ...8 9 10 12 13 14 ...20 Um genau neun Uhr steht der Bauer am nächsten Morgen hupend vor der Haustür. Schnell greifen wir noch einen Extrapulli, unsere Arbeitshandschuhe und stürmen raus. Voller Vorfreude auf die Arbeit mit den Tieren setzen wir uns zu ihm in den Wagen. Vielversprechend drehen wir eine Runde über die Farm und kontrollieren, ob über Nacht Lämmer zur Welt gekommen sind – sind sie aber nicht. Heute Morgen ist der Bauer sogar mal freundlich und kündigt an, uns in den kommenden Tagen auch ein wenig zu den Tieren erzählen zu wollen. Erst mal werden wir aber wieder an unserem Häuschen abgesetzt und er holt uns eine „Schubkarre“: Ein alter Ford, der seit einigen Jahren in der Scheune steht, keine Spiegel, kein Licht, keinen WOF (TÜV) hat und auch nicht mehr zugelassen ist. Die nächsten viereinhalb Stunden dürfen wir kleine Stöcke und Äste um sein Haus herum aufsammeln, auf das Scheunen-Fahrzeug werfen und zu einem großen Haufen – einem späteren Scheiterhaufen – bringen. Anfangs ist es noch lustig, mit der alten Klapperkiste zu fahren, spätestens nach der dritten Fahrt geht uns der ständig ausgehende Motor aber genauso auf den Geist wie der Job an sich. Etwa einmal die Stunde kommt der Bauer in seinem Geländewagen vorbeigebraust und guckt kritisch. Nach etwa viereinhalb Stunden kommt er dann mit der Motorsäge, sägt einen nur angebrochenen Ast klein und geht wieder. „Den könnt ihr noch wegbringen, und dann dürft ihr für heute Schluss machen“, sagt er und schreitet in seinen Boxershorts der Sonne entgegen. Was für ein Bauer. Ein Wort des Lobes oder Dankes scheint ihm fremd. Und als ich uns am Abend – es wird gegen sechs dunkel – etwas Licht in unserem Häuschen machen will und den Generator nicht an bekomme, ernte ich von ihm Spott. „Ihr Deutschen wisst noch nicht mal, wie man einen Generator anmacht?“ Nein! Ich als Stadtkind weiß es tatsächlich nicht – hätte es in diesem Moment aber gerne erklärt bekommen, was dann später der Engländer Alex übernehmen muss. Enttäuscht gehen wir abends in unser kaltes Bett und frieren. Vielleicht wird es ja morgen besser?
Leckere Milch
Wird es nicht. Immerhin müssen wir an Arbeitstag zwei nicht mehr kleine Stöcke aufheben, sondern große Äste bewegen. Und sogar Lob gibt es bei der Arbeit – aber nur vom alten Farmer. Der Vater unseres Gastgebers hilft bei der Arbeit mit der Motorsäge. Zum Mittagessen gehen wir ins stromlose Elternhaus. Vater und Mutter unseres Farmers sind ein herzliches, altes Ehepaar, das sich für uns interessiert und mit uns redet. Die ehemalige Bäuerin soll laut den Internetkommentaren sehr gut kochen können. Dank dem Stromausfall gibt es zu beiden Mittagessen aber nur Schnitten und kein ausgefallenes, neuseeländisches Traditionsgericht – verflucht sei dieser Sturm. Dafür dürfen wir dann drei kleine Lämmchen mit der Flasche füttern. Die gebrechlichen Lebewesen sind wirklich sehr süß und stellen unsere erste „richtige“ Farm-Erfahrung dar. Weil ihre Mütter sie verlassen haben, müssen sie nun zweimal täglich die kleine Baby-Milchflasche bekommen. Die Aufsätze sind extra für Lämmer, könnten aber auch für Menschenbabys sein. Eins kann gar nicht genug kriegen. Immer wieder kommt das Wollknäuel herbeigestolpert und will seine beiden „Kameraden“ (oder Feinde?!) von der Flasche wegdrängen. Bei denen wiederum fällt es schwer, überhaupt Milch einzuflößen. Doch mit einer Hand am weichen Fell und der anderen am kleinen Mäulchen werden wir unsere weiße Flüssigkeit irgendwie los.
Den zweiten Nachmittag nutzen wir, um uns Waimate anzuschauen. Ein weitestgehend verlassenes Örtchen, in dem vor allem Landwirtschaft betrieben wird. Wir fragen in einer Arbeitsagentur nach Jobs. Momentan nichts. Der Ort bietet außer einem Denkmal für seine glorreichen Jahre, als die Baumfällerfamilien (etliche aus Deutschland) hier lebten, nicht viel. Es gibt noch nicht mal kostenloses Internet in der Bücherei. Und ein kleiner Spazierweg, der tolle Aussichten bis zur Küste verspricht, ist nach dem Sturm natürlich gesperrt. Immerhin ist neben allen nötigen Läden ein Fabrikverkauf vorhanden, wo es die weiche Kleidung aus Merino- und Possumwolle, der in Neuseeland bekannten Marke „Waimate“, günstiger gibt als üblich. Blaue Ponchos, dicke, grüne Pullis und weiche Tücher – alles fühlt sich fantastisch an. Zurück auf der Farm wollen wir unseren Wagen waschen – der hat es dringend nötig. Der alte Farmer gibt uns Schlauch und Schwamm und wir lassen wieder den grausilbernen Lack durchkommen. Als wir den Schlauch zusammenrollen, fällt uns Wasser im Wagen auf: Unten rechts an der Frontscheibe hat sich eine kleine Pfütze gebildet. In Panik testen wir noch mal mit dem Schlauch. Es ist eindeutig, wir haben eine undichte Scheibe. Bislang war uns dies noch nicht aufgefallen, da es tatsächlich, seit wir den Wagen hatten, kaum geregnet hat. Doch für Ende der Woche ist jetzt Niederschlag angesagt. Die Scheibe war erst für den neuen TÜV gewechselt worden und zwar in … Christchurch. Also was tun? In diesem Moment fährt der Farmer in seinem Geländewagen vorbei. Wir berichten ihm von unserer Entdeckung, er interessiert sich dafür allerdings nicht besonders und sagt stattdessen, dass wir am nächsten Abend mit Kochen dran wären. Jetzt ist unsere Stimmung endgültig am Boden. Ich treffe die drastische Entscheidung, dass wir nach dem Abendessen zurück nach Christchurch fahren. Unser Farmer ist nicht begeistert, aber das ist mir egal. Einen dichten Wagen zu haben ist mir in diesem Moment wichtiger. Schnell packen wir zusammen, rufen Fiona in Christchurch an und kündigen uns für die Nacht an. Nach nur zwei Tagen fahren wir die 230 Kilometer wieder nach Norden. Der Plan, eine Runde gegen den Uhrzeigersinn über die Südinsel zu fahren, hat sich damit erledigt. Zu allem Überfluss schleudert uns einer der großen Lastwagen auf dem State Highway 1 auch noch einen Stein in die neue Scheibe … Die Wwoofing-Erfahrung in Waimate war keine positive. Wir fühlten uns nicht willkommen und unwohl, und der Farmer war unfreundlich. Wir sind, obwohl wir früher viel und häufig draußen gespielt haben, doch keine robusten Farmkinder, was auch eine Erkenntnis ist. Wir hätten uns sicherlich arrangieren können, aber auch so war es eine Erfahrung. Und wir haben gelernt: Wwoofing bedeutet nicht immer aushelfen als Reisender – sondern auch arbeiten als billige Arbeitskraft.
Und wieder sind wir in Christchurch. Der Glaser dichtet die Scheibe ohne Probleme ab. Also fast. Denn am ersten Regentag ist wieder alles nass. Im zweiten Dichtungsanlauf schafft dann auch er es, die Scheibe abzudichten. Dennoch ist die Stimmung absolut am Boden – gerade ich habe keine Lust mehr. Backpackerleben, das bedeutet: Plan- und Orientierungslosigkeit bestimmen den Weg. Damit komme ich nicht klar. Aber noch schlimmer: Ich belaste durch meine schlechte Laune auch das Zusammenleben mit Maria. Hinzu kommt, dass ich Panik habe, keinen bezahlten Job zu finden. Meine pessimistische Theorie ist, dass wir unser Geld ausgeben und dann erst nach einem Job suchen, wenn wir kaum noch einen Dollar haben – und dann? Dann müssen wir eher zurückreisen. Also dränge ich darauf, schon jetzt in Christchurch Arbeit zu suchen. Denn zu tun gibt es hier genug – vor allem im Baugewerbe. Nach einigem Murren nimmt Maria dies zum Anlass, sich bei einigen im Internet ausgeschriebenen Jobs zu bewerben. Nach nur einer halben Stunde hat sie zwei Einladungen für Vorstellungsgespräche im Posteingang ihres Mail-Kontos. Und ich? Ich habe Weinberge angerufen, Landwirtschaftsjobs auf der ganzen Südinsel angeschrieben, meinen Lebenslauf bei Fastfood-Ketten und Supermärkten abgegeben. Doch nirgendwo gibt es eine postwendende Reaktion wie bei Maria. Von vielen Bewerbungen höre ich gar nichts mehr. Zwischen Maria und mir kommt es zum Streit, den wir zwar beilegen, aber es bleibt angespannt. Wir vereinbaren abzuwarten, was bei Marias Vorstellungsgesprächen herauskommt. Und ich bewerbe mich in der Zwischenzeit bei Leiharbeitsfirmen, bei denen man schnell Jobs bekommt, wie mir andere Backpacker in New Brighton auf dem Parkplatz am Strand erzählen. Nach zwei Tagen bei Fiona und Gary sind wir nämlich wieder ans Meer gewechselt – wir können diese Gastfreundschaft einfach nicht noch länger ausnutzen.
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