Schnell sagte ich zu ihrer Beruhigung: „Ich werde heute mal bei der Wohnungsgenossenschaft nachfragen, ob was Passendes für uns frei wird.” Mit einem Ruck setzte sich Britta kerzengerade hin. Auch im Sitzen war sie noch mindestens einen Kopf größer als ich. Ihre Augen glühten. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Man konnte noch so einfühlsam sein, immer sagte man das Falsche.
„Ich will keine Wohnung von Genossen, sondern Eigentum!”, zischte Britta böse.
„Eigentum!”, wiederholte ich entgeistert. Jetzt drehte sie wirklich durch. Schade, eigentlich war Britta immer ganz patent gewesen. Aber nun war nichts mehr mit ihr anzufangen. Ich sollte sie so schnell wie möglich ins Internet einstellen und mit Schmolkowski virtuell Kontakt aufnehmen. Der würde sicher bald Nachschub brauchen.
In Wirklichkeit würde Britta allerdings eher mich verschachern als umgekehrt. Deshalb schluckte ich meine Gegenargumente zähneknirschend herunter. Britta betonte noch einmal ihre Forderung: „Ich will ein Haus oder mindestens eine Eigentumswohnung – und Menschen als Nachbarn, keine Genossen!”
Ein paar Tage später traten wir unseren Urlaub an. Wie jedes Jahr, seit wir verheiratet waren, fuhren wir mit dem Fahrrad und ausgerüstet mit einem Igluzelt irgendwohin. Britta liebte diese Art von „Urlaub” und ich wagte nicht, ihr zu widersprechen. Diesmal trieb es Britta in die Eifel. Britta radelte trotz schweren Gepäcks immer vorneweg. Ich blieb weit abgeschlagen zurück. Es nützte auch wenig, dass ich zwischendurch heimlich an meinem „Red Bull” nippte. Brittas Laune wuchs zusehends und das war ja auch die Hauptsache. Die letzten Tage freute ich mich nur noch auf mein kleines, kuscheliges Büro im Finanzamt. Und als wir zu Hause angekommen waren, war die Idee mit der Eigentumswohnung schon wieder vergessen.
Erst Ingo weckte wieder die Erinnerung daran. Ingo, der genau wie ich jeden Samstagmorgen sein Auto in der Selbstwaschanlage wusch, der musste es nämlich wissen. Ingo verkaufte so dieses und jenes, vor allen Dingen Konservendosen. Nicht die kleinen Dosen, die bei Aldi neben dem Klopapier aufgestapelt sind. Nein, Ingo machte die ganz großen Geschäfte. Das erzählte er mir so nebenbei, während er seinen dunkelblauen Mercedes hingebungsvoll mit einer edlen Milch massierte. Das Mittelchen war teurer als die Lotion, die ich Britta zum letzten Hochzeitstag geschenkt hatte. Im Gegensatz zu mir wusch Ingo sein Auto nicht deshalb bei der Selbstwaschanlage, weil er die paar Euro für die Automatikwaschanlage sparen wollte. Nein, er wusch selbst, weil er so drei volle Stunden Gelegenheit hatte, seinen Liebling zu streicheln.
Welche Art Geschäfte er genau machte, hat er mir nie genau erzählt. Aber ich glaube, er wusste Bescheid. Er flog zweimal im Jahr in die Karibik. Nicht nur Last-Minute-Flüge! „Schweineteuer, diese Inselaffen!”, stöhnte er jedes Mal, wenn er braungebrannt zurückkehrte. Darüber hinaus hatte Ingo alles, was man hat, wenn man es hat. Natürlich auch eine Eigentumswohnung. Was heißt eine Eigentumswohnung! Er hatte drei: eine zum Wohnen und wegen der steuerlichen Abschreibung, die zweite für die Momente, in denen er einfach mal raus und abhängen musste und die dritte für den Familien-Winterurlaub zwischen den Jahren in St. Moritz. „Des Wichtigschde im Leben is: schaffe und genieße!”, sagte er immer und outete sich damit als bekennender Schwabe. Wenn ich ihn dann staunend und mit bewundernden Blicken ansah, war das Balsam für seine von der Steuer geschröpfte Seele.
Während ich Ingo von der aktuellen Mieterhöhung vorjammerte und mich bitter darüber beklagte, dass die Genossenschaft nicht bereit war, den zerbrochenen Klodeckel zu bezahlen, klopfte er mir väterlich auf die Schulter und sagte: „Mensch, Hartmut, rechne doch mal!” Und dann rechneten wir.
Ich weiß ja, so etwas macht man nicht, aber ich zeigte Ingo trotzdem meine Lohnsteuerkarte. Er war sichtlich betroffen. Bilder einer indischen Hungersnot hätten ihn wahrscheinlich nicht stärker gerührt. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn und er stammelte, nachdem er sich wieder ein wenig gefangen hatte: „Was! Das ist alles? Meine Güte, das kannst du doch keinem erzählen, dass man davon leben kann!” Als Finanzbeamter im mittleren Dienst orientierte sich mein Gehalt nun mal am Existenzminimum. Das war eine Tatsache, die Ingo neu zu sein schien. Sicher, ab und zu war mir schon der Gedanke gekommen, mich zum Beispiel als Buchhalter bei einem Steuerberater zu bewerben. Aber mein Chef, der Herr Axthammer, sagte in den Mitarbeiter-Vorgesetzten-Gesprächen mit einem fürsorglichen Augenzwinkern immer zu mir, dass ich da draußen nicht mehr zurecht käme. „Da draußen”, das war die freie Wirtschaft. Wenn Herr Axthammer von „da draußen” sprach, dann spürte ich einen eisigen Luftzug und es war so, als würde mir eine unsichtbare Hand die Kehle langsam zudrücken. So hatte ich mich bemüht, immer schön unauffällig zu bleiben und war bereits seit 16 Jahren zusammen mit meinem Kollegen Horst gefesselt an mein kleines Büro im Finanzamt neben der Besuchertoilette.
In einem Anfall von Mitleid lud mich Ingo spontan zu „seinem” schicken Italiener ein. Das Lokal war so exklusiv, dass auf der Speisekarte weder Pizza noch Makkaroni zu finden waren. So etwas Ordinäres wurde hier nur ausnahmsweise Kindern unter 14 Jahren an uneinsehbaren Tischen serviert.
Die Teller wurden gerade abgeräumt. Ingo saß regungslos da und starrte auf seinen Cognac. Seine Gehirnwindungen glühten wie ein Toaster in der Röststufe 6. Gedankenverloren murmelte er: „Da muss sich doch irgendetwas bei dir machen lassen!”
„Britta arbeitet übrigens neben ihrem Studium im Fitness-Studio. Das bringt im Monat bestimmt 400 Euro netto”, ergänzte ich um Entspannung der Lage bemüht. Seine Miene hellte sich ein wenig auf. „Na, also”, grunzte er schon etwas zufriedener. Dannverdunkelten sich seine Gesichtszüge wieder beunruhigend und meine aufkeimende Hoffnung war wieder zunichte.
Mit einer Wendung des Schicksals zum Guten hatte ich gar nicht mehr gerechnet, da begannen plötzlich seine Augen zu leuchten. Ingo erhob triumphierend sein Glas und sagte euphorisch: „Junge, wir kaufen! Wir müssen einfach kaufen!”
„Was kaufen?”, fragte ich begriffsstutzig zurück.
„Na, eine Eigentumswohnung!”, raunte Ingo mir ungeduldig zu.
„Mit den paar Kröten, die ihr verdient, kann man vielleicht existieren, aber nicht leben. Deine Miete wird dir über kurz oder lang den Garaus machen. Deshalb müssen wir jetzt kaufen. Bei den niedrigen Zinsen müssen wir jetzt einfach kaufen! Und glaub mir, solche Hasen wie deine Britta sind es nicht gewohnt, ewig in der Gosse zu leben. Wenn du sie halten willst, musst du einmal in deinem Leben wirklich aktiv werden.”
Da hatte ich endlich begriffen.
„Nur Eigentum macht frei!” Beglückt und überzeugt von dieser Erkenntnis schlief ich an diesem Abend voller Tatendrang ein.
In der Nacht hatte ich kühne Träume: Ich lebte als Landgraf in einem mittelalterlichen Schloss. Bei meinem letzten Ausritt schwängerte ich 15 Mägde und setzte so manches Dorf in Brand. Was durfte man nicht alles tun, wenn man frei war! Ich wachte gerade noch rechtzeitig auf, ehe es dem Pöbel gelang, mein adeliges Haupt aufzuspießen.
Es war Samstagmorgen. Ingo hatte mir die Augen geöffnet, ich hatte wirklich begriffen: Der Weg aus der Gosse führte nur über Eigentum. Teileigentum war das Zauberwort! Und um an Teileigentum zu gelangen brauchte ich einen Plan. Und um diesen Plan zu erstellen, zunächst einmal Ruhe zum Nachdenken. Eigentlich war heute ein ungünstiger Tag, um Pläne zu schmieden. Denn wirklich Zeit und Ruhe zum Nachdenken hatte ich nur in meinem Büro im Finanzamt. Aber bis Montag konnte und wollte ich nicht warten. Keinen Tag mehr würde ich zögern, uns aus der stinkenden Kloake mittelständischen Beamtentums zu befreien!
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