„Oh, du Sohn einer versoffenen Hure. Dir gebe ich es jetzt!“ Der junge Mann machte seine Drohung wahr, indem er die Ruftaste drückte.
Hans hoffte, dass der Angerufene nicht ans Telefon gehen würde, da er sich das dann folgende Gespräch vorstellen konnte. Sein Wunsch ging jedoch nicht in Erfüllung.
„Tommy, was ist mit dir los? Ich liebe dich doch. Bitte verlass mich nicht!“ Sein Sitznachbar war nun wie verwandelt, scheinbar versuchte er zu retten, was zu retten war.
Hans wollte die Augen von dem Geschehen abwenden, doch es gelang ihm nicht. Wie ein vor der Schlange erstarrtes Karnickel musste er dem Schauspiel zusehen.
„Wie bitte? Ich habe nicht meinen Mann gestanden?“
Nun drehten sich die Leute bereits nach ihnen um. Hans hob abwehrend die Hände, er hatte damit nichts zu tun.
„Weißt du was? Steck deinen verfaulten Schwanz in den Bleistiftspitzer. Nimm den Alten, denn für mich bist du Geschichte!“
Hans lief nun endgültig rot an. Schlimmer konnte es an diesem Tag wirklich nicht mehr kommen. Doch in diesem Punkt sollte er sich gewaltig irren.
V
„Aber, aber, Frau Christ.“ Karl stöhnte, als sich Susanne langsam auf die Knie senkte und geschickt seine Hose öffnete. Sie wusste genau, wie sie sich Kunden fügsam machen konnte. Mit einem verführerisch naiven Augenaufschlag blickte sie kurz zu ihm auf, direkt in seine lüsternen Augen. Ja, so waren die Männer.
Karl war verheiratet, besaß viele Immobilien und hatte stets neue Projekte am Laufen, sodass immer wieder eines seiner Objekte verkauft werden musste. An ihm hatte sie schon einiges verdient, aber das hatte auch seinen Preis: Sex. So manches Mal hatte sie sich gefragt, ob das nicht schon Prostitution war, was sie hier betrieb. Sie bekam etwas und gab dafür ihren Körper. Nicht jedem, aber zumindest denjenigen, die ihr gefielen. Ja, es hatte etwas Anrüchiges, aber sie ließ sich auch gut dafür bezahlen. Und wenn schon eine Nutte, dann wenigstens eine Edelnutte.
Ein zufriedenes Lächeln huschte über ihre Lippen, als sie mit der Arbeit begann. Anders als sonst gab Karl diesmal kaum ein Stöhnen von sich, nur ab und zu ein leises Hauchen, doch sie hatte jetzt Wichtigeres tun, als darüber nachzudenken. Sie benötigte nur noch Karls Unterschrift unter den Maklervertrag, dann konnte sie sich endlich auf den Weg zu dieser blöden Maklerveranstaltung machen.
Die Vorträge hielt sie nicht für wichtig, umso mehr jedoch das Netzwerken, für das solche Treffen die perfekte Gelegenheit waren. Das war letztendlich ihre Arbeit: Immobilienakquise und professionelle Vermarktung. Und genau dafür benötigte sie neue Kontakte und Informationen, die sie auf solchen Veranstaltungen fand. Mit Charme und weiblicher Überzeugungskraft erreichte sie, was viele ihrer männlichen Kollegen nicht hinbekamen.
„Oh“, hauchte es nun zu ihr herab. Als sie aufschaute, war Karls Kopf nach hinten weggekippt. Er schien es in vollen Zügen zu genießen. Ein kleines Zucken und – nichts. Vergeblich wartete sie auf seine Erektion, anscheinend war er noch nicht am Ziel seiner Wünsche angekommen. Leider. Für gewöhnlich kam Karl schneller, heute aber machte er es ihr nicht so leicht. Verdammt, für diese blöde Wohnung musste sie sich wirklich anstrengen.
Ein flüchtiger Seitenblick auf die Uhr mahnte sie zur Eile. Zumindest zur Nachmittagsveranstaltung wollte sie angekommen sein. Sie hatte noch gut drei Stunden Autobahnfahrt vor sich und benötigte ein wenig Zeit, um sich auf die Veranstaltung vorzubereiten. Duschen, Düfte, ein eng anliegendes Kostüm, Farbe im Gesicht und so weiter.
Oh Karl, komm endlich, flehte sie stumm. Sie hatte fürwahr nicht den ganzen Tag Zeit für diese Spielchen und beschloss, nun all ihre Geschicke einzubringen. Sie kannte so manchen Dreh, um zu beschleunigen, was die Männer so sehr liebten. Der Typus Mann war eine sehr einfach konzipierte Kreatur, wobei sie absolut nicht verstand, warum Gott so etwas erschaffen hatte. Wofür waren diese behaarten, zweibeinigen Primaten überhaupt zu gebrauchen? Zum Abkassieren, beantwortete sie ihre Frage selbst und blickte nochmals zu Karl auf, der noch immer mit zurückgekipptem Kopf steif im Stuhl hing.
Sie unterbrach ihre vergeblichen Bemühungen. „Karl, ist etwas nicht in Ordnung? Wo bist du denn mit deinen Gedanken?“
Aber er reagierte nicht. Mit leichtem Zorn stand sie auf und wollte ihn gerade anfahren, als sie seine weit aufgerissenen Augen sah, die starr zur Decke gerichtet waren. „Karl?“, rief sie etwas lauter und musterte ihn genauer. Seine Augen hatten ihren Glanz verloren und wirkten matt und leblos. Oh nein, das konnte doch nicht wahr sein!
Vergeblich versuchte sie, seinen Puls zu fühlen. „Karl!“, schrie sie ihn noch einmal an und wich kopfschüttelnd ein paar Schritte zurück. „Du Drecksack hast dich einfach davongemacht, ohne meinen Vertrag zu unterschreiben! Oh Mann!“
Dann erst begriff sie so richtig, was passiert war: Sie hatte doch tatsächlich einem Toten zum Orgasmus verhelfen wollen. „Igitt!“, schrie sie auf, schüttelte sich und versuchte vergeblich, den schalen Geschmack in ihrem Mund auszuspucken. Sie hatte schon sehr viel erlebt, aber das war mit Sicherheit an makabrer Skurrilität nicht zu übertreffen.
Es dauerte einige Minuten, bis sie sich wieder im Griff hatte. „So ein blöder Sack“, fluchte sie und überlegte, was sie nun machen sollte. Sollte sie den Krankenwagen rufen? Aber eigentlich war das sinnlos, da es niemanden mehr zu retten gab, außer eventuell sie selbst. Besser wäre es wohl, sofort die Polizei zu benachrichtigen, wobei auch dieser Gedanke Nachteile barg. Dann würde seine Frau alles erfahren. Ein Skandal.
Unschlüssig lief sie auf und ab, blieb dazwischen aber immer wieder kurz stehen, um den frischen Leichnam zu betrachten. Irgendwie hoffte sie ganz unbewusst, dass Karl wieder die Augen öffnen würde und alles nur ein schlechter Scherz gewesen war. Aber er blieb starr und stumm.
Resigniert hielt sie inne und griff nach dem Telefonhörer. Sie hatte keine andere Wahl. Einfach abhauen konnte sie nicht, sie musste es melden. Und wegen seiner Frau, besser gesagt seiner frischgebackenen Witwe, musste sie sich keine Sorgen machen, wenn sie es geschickt anstellte. Sie würde versuchen, Karl die Hose wieder hochzuziehen, und dann der Polizei gegenüber aussagen, dass er mitten in der Besprechung ohnmächtig geworden und auf dem Stuhl zusammengesackt sei. Ja, das war eine gute Lösung.
Der Tag fing ja wirklich gut an.
VI
Die Hotelbar war dunkel und schummrig. Genau das Richtige für Frank. Einen weiteren Absturz wollte er zwar nicht erleben, aber gegen einen Drink konnte doch niemand etwas einwenden.
„Guten Abend, mein Herr, was darf ich Ihnen Gutes tun?“, fragte der Barkeeper, als Frank seinen Platz am Tresen eingenommen hatte.
„Hm, eine hübsche, willige Frau, eine Flasche Rotwein und nette Musik“, antwortete er trocken, erntete dafür aber nur ein verständnisvolles Nicken. Barkeeper mussten oft das blöde Gelaber der Gäste über sich ergehen lassen und waren dadurch einiges gewohnt.
Die kleinen gelben Lampen im Hintergrund erhellten alles gerade gut genug, um die Flaschen in den verspiegelten Regalen erkennen zu können. Da Frank wohl auf eine vom Barkeeper vermittelte Dame verzichten musste, entschied er sich für einen Bourbon auf Eis, das Getränk für einsame Männer.
„Bitte sehr, der Herr. Vielleicht haben Sie ja noch Glück heute Abend.“
Frank schüttelte den Kopf. „Das war heute nicht mein Tag und wird es auch nicht mehr werden.“ Er nahm das Glas und starrte gedankenverloren in die bräunliche Flüssigkeit, in der Eiswürfel schwammen. Bald werdet auch ihr erledigt sein, dachte er und zwinkerte ihnen zu.
Er war müde. Es war jedoch nicht die Art von Müdigkeit, die man empfand, wenn man schlafen gehen wollte. Nein, sicherlich nicht. Er wollte einfach nicht mehr. Das Leben hatte er genossen, zumindest soweit er das konnte. Ausgelassen hatte er nicht viel. Jetzt aber machte ihm kaum noch etwas Spaß.
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