Der Präsident blickte kopfschüttelnd zu Boden. „Das klingt ein wenig nach Mafiamethoden. Wir bieten ihnen Sicherheit und verlangen dafür Schutzgelder.“
„Nicht ganz, Mister President, nicht ganz. Wir verlangen Schutzgelder, bieten aber nicht wirklich Sicherheit. Es scheint nur so, als würden wir das tun.“
Als sich ihre Augen trafen, lag etwas im Raum, das sie sich beide nicht erklären konnten. Die amerikanische Verfassung garantierte jedem ein Recht auf Glück. Was sein Berater gerade erläutert hatte, entsprach sicherlich der Wahrheit. Aber es war eine Wahrheit, die nicht glücklich machte .
IV
Hans saß steif auf seinem Stuhl und schaute sich zaghaft im Vortragssaal um. Er glich einer verschüchterten grauen Maus, die nicht anecken oder auffallen wollte. Nach den Erlebnissen am Morgen wäre er lieber zu Hause geblieben, aber er hatte sich nun mal für dieses Symposium angemeldet – und was er sich einmal vorgenommen hatte, das zog er auch gewissenhaft durch. Das war eine seiner wirklich guten Eigenschaften, die auch seine Kunden zu schätzen wussten. Er war verlässlich und konnte klar strukturiert arbeiten – zumindest dann, wenn er nicht mit Schmutz jeglicher Art hantieren sollte. Die Besichtigung am Vormittag war abscheulich gewesen. Die Bilder dieser Kloake, wie er es empfunden hatte, schwelten noch immer in seiner Erinnerung. Wie konnte ein Haus nur so verdreckt sein? Einige Male musste er stehen bleiben und vor Übelkeit würgen. Zwar schob er es sofort auf eine Magenverstimmung, bedingt durch eine schlechte Mahlzeit am Abend zuvor, in den Augen der Frau aber sah er, dass sie ihm nicht glaubte. Als ihm dann auch noch unabsichtlich ein verräterisches „Igitt“ über die Lippen rutschte, geschah das Unvermeidliche. Auf ihre Frage, ob er etwas an ihrem Haus auszusetzen habe, blieb ihm nichts anderes übrig, als die Wahrheit zu sagen. Und das tat er. Ohne Wenn und Aber. Nichts ließ er aus, nicht ihre klebrigen Finger, den schmutzigen Boden, die verrauchten Gardinen, die die Räume unsinnig verdunkelten, und auch nicht das Badezimmer, in dem er eine Unzahl kleinster Lebewesen vermutete, die sich in verdreckten, nicht gelüfteten Räumlichkeiten wunderbar entwickeln konnten.
Ihre unmissverständliche Aufforderung, sofort das Haus zu verlassen, überraschte ihn nicht. Der scharfe Ton ihrer Stimme spie förmlich die Empörung heraus. Diese Dame – wenn man sie überhaupt als solche bezeichnen konnte – würde ihn niemals weiterempfehlen.
Unten auf der Straße traute er sich dann endlich wieder, tief durchzuatmen. Zwar hatte er einen potenziellen Auftraggeber verärgert, dafür aber seine Lunge vor Schimmelpilzen verschont. Die dumpfe Wehmut, wieder einen Auftrag wegen seiner Unfähigkeit zu lügen verloren zu haben, konnte er nicht gänzlich unterdrücken. Noch einmal schaute er sich verstohlen zu dem Haus um, in dem er die Hölle gesehen hatte. Seine Augen verweilten für einige Sekunden an dem Fenster, von dem aus die Dame ihm einen giftigen Blick nachwarf. Oh, wie konnten die Wesen der Nacht und des Unrats doch böse schauen! Mit einem Seufzer hatte er sich umgedreht und war gegangen.
Jetzt saß er da und grübelte, warum ihn sein Schicksal gerade in die Welt der Immobilien geführt hatte, wo es dort doch so viele schmutzige Dinge zu sehen gab. Er würde es nie verstehen.
Er straffte die Schultern, schüttelte die unseligen Gedanken ab und versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was ihn heute noch erwarten würde. Bald würden interessante Vorträge beginnen. Die Themen des Symposiums waren mannigfaltig und in manchen Teilen auch wichtig, um im Dschungel der Gesetze überleben zu können. Der Gesetzgeber hatte sich auf die Makler eingeschossen, angefangen vom Bestellerprinzip, das den Mangel an mietbaren Wohnungen weiter verschärfte, bis hin zu den größtenteils unnötigen Auflagen für Besichtigungen. Welcher Mietinteressent konnte schon verstehen, dass er seinen Personalausweis vorzeigen sollte, nur um eine Wohnung zu besichtigen, die er vielleicht mieten würde – oder auch nicht. Doch darum ging es der Politik nicht. Weil der damaligen Großen Koalition aus CDU und SPD gemeinsame inhaltliche Perspektiven fehlten, hatte man sich ein Opfer aus den Fingern gesogen: die Makler. Sicherlich hatten sie sich vorher wochenlang darüber Gedanken gemacht, wen oder was man angreifen könnte, um die Wähler hinter sich zu vereinen, ohne auf große Gegenwehr zu stoßen. Da Immobilienmakler kaum eine nennenswerte Lobby besaßen und zudem bei den meisten Menschen nicht überaus beliebt waren, hatte man schließlich etwas gefunden, auf dem man nun herumhacken konnte. Nicht dass es wichtigere Themen gegeben hätte, aber letztendlich ging es Politikern doch nur um die Wiederwahl. Eigentlich verständlich, wenn man bedachte, dass es in der freien Wirtschaft keine Verwendung für sie gab. Also blieb den Maklern nichts anderes übrig, als sich den neuen Gegebenheiten anzupassen und sich die neuen Auflagen einzuverleiben.
Wieder seufzte Hans und richtete den Blick wehmütig zur Decke. Was hätte aus ihm alles werden können. Das Maklerdasein war nicht das, was er sich gewünscht hatte. Vielleicht sollte er sich Gedanken machen, ob es nicht doch etwas anderes gab, das er tun konnte.
Für ihn sprach sicher seine Intelligenz, er war wortgewandt, zuverlässig und lernfähig. Das waren eindeutig Pluspunkte. Neutral bewertete er seine Ehrlichkeit, die ihm zugegebenermaßen nicht nur Vorteile einheimste. Auch konnte er seine Schmutzphobie nicht immer verbergen. Trotzdem stufte er diese Eigenschaften nicht im Bereich der seelischen Niederungen ein, sondern eben neutral. Wenn er es genau überlegte, konnte er beim besten Willen keine echten Minuspunkte finden, die erwähnenswert waren – abgesehen vielleicht von seinem Alter. Nicht jeder Arbeitgeber bewertete es als positiv, dass man schon jenseits der vierzig war, wenn auch nur knapp. Die Wirtschaft suchte junge Leute, nicht unbedingt Menschen mit Erfahrung und damit auch eigenen Ideen.
Wenn er nur einen Weg fände, seine Schmutzphobie loszuwerden. Für ihn war sie einfach nur ein Bestandteil seines Wesens, für seine Umwelt jedoch musste sie seltsam anmuten. Vielleicht sollte er sie doch auf die Negativliste stellen. Obwohl Sauberkeit so wichtig war in dieser schmutzigen Welt voller Müll.
„Oh Mann, du Arsch!“, hörte er plötzlich mitten in seine Gedanken hinein seinen Sitznachbarn fluchen. Empört rümpfte Hans die Nase und musterte ihn unauffällig. Ein sehr gut gekleideter Mann Mitte dreißig, der unter dem legeren Jackett ein eng anliegendes Poloshirt mit kleinen Glitzersteinen trug. Er fuchtelte aufgeregt mit seinem Handy herum und hämmerte wild auf das wehrlose Display ein, als ginge es um sein Leben, wobei er immer wieder unanständige Flüche ausstieß. Wem auch immer diese galten, der Betroffene konnte sie jedenfalls nicht hören. Hans jedoch war der arme Idiot, der daneben saß und alles über sich ergehen lassen musste.
Schließlich wurde es Hans zu viel. „Kann ich Ihnen helfen? Haben Sie Probleme?“
„Probleme?“, fragte der Fremde mit weinerlicher Stimme. „Probleme? Und ob ich die habe. Mein Lover will mich wegen eines alten Knackers verlassen. Können Sie sich so etwas vorstellen?“
Hans schaute ihn nur geschockt an. Nein, das konnte er sich in der Tat nicht vorstellen, und ehrlich gesagt wollte er das auch gar nicht. Vergeblich versuchte er, seinen Stuhl etwas weiter wegzuschieben.
„Ja genau, so ist das. Wegen eines Millionärs“, schimpfte sein Sitznachbar weiter. „Der kann dem kleinen Dreckarsch dann einen Analplug kaufen und dran lutschen.“
Wieder verspürte Hans diesen fürchterlichen Würgereiz, der ihn bereits am Vormittag heimgesucht hatte. Sein Magen drehte sich um angesichts der Worte, die er da gerade hören musste. Was war das nur für eine Welt.
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