»Er ist der Besitzer«, sagte Al. »Er hat die Karre gerade seinem Schwager abgekauft und sie hergefahren, um sie uns zu zeigen.«
»Und Miss Beswick … inspiziert das Auto?«
»Urban glaubt, er kann es selbst restaurieren. Reg überzeugt ihn davon, dass er uns das besser machen lässt.«
»Aha.« Sie restauriert also Autos. Faszinierend. Und so ein glücklicher, vielleicht sogar göttlicher Zufall, dass er ausgerechnet neben Al ein freies Plätzchen gefunden hatte.
Miss Beswick rutschte unter dem Auto hervor. Einer der umstehenden Männer sprang vorwärts, um ihr aufzuhelfen. Trockenes Gras und Laub hafteten in ihrem wirren Haar, das vorher irgendwann einmal sorgfältig geglättet worden war, während ein breites Rinnsal Motoröl über ihr Gesicht und ihren Hals lief.
»Rafe«, brummte Al leise, »lauf und hol Reg ein Handtuch.«
»Was hast du denn mit meinem alten Veteranen gemacht, Reg?« Urban sank auf die Knie und warf einen Blick unter das Auto.
»Ich habe die Ölablassschraube angefasst, und dann ist die zerbröselt.« Miss Beswick wischte sich mit dem Saum ihres Tops das Öl aus dem Gesicht. »Hast du einfach so neues Öl auf das alte gefüllt, das noch drin war?«
Der Mann sprang auf die Füße. »Der Peilstab zeigte einen niedrigen Ölstand an, also habe ich einen Liter nachgefüllt.«
»Der Peilstab? Urban!« Miss Beswick lachte. Ihr breites Lächeln unterbrach weiß leuchtend die Ölschmiere, die sich über ihre Wangen und um ihren Mund herum verteilt hatte. » Du bist der Peilstab hier. Der Ölstand war niedrig, weil das Öl alt und klebrig ist. Du hast Glück gehabt, dass dir auf dem Weg hierher der Motor nicht hopsgegangen ist.«
Sie ging um das Auto herum und musterte beiläufig die Gruppe. Schließlich fiel ihr Blick auf Tanner.
Ihre Augen trafen sich, und einen Moment lang dachte er, sie würde ihn ansprechen. »Wer sind Sie?« Oder: »Kann ich Ihnen helfen?« War er schon so weit, dass er ihr antworten könnte? Würde die Wahrheit heraussprudeln, gleich hier und jetzt, wie das Öl auf dem Boden? Wie das Öl in ihrem Gesicht?
Tanner atmete ein. Atmete aus. Wartete. Innerlich gewappnet, die Nerven am Anschlag. Ein seltsames, flatterndes Gefühl kitzelte seinen Brustkasten. Eine Vorahnung. War er wirklich kurz davor, die Erbin von Hessenbergs Thron zu treffen?
Der Wind flüsterte zwischen ihnen und verstärkte den Geruch nach Erde, die unter der Sonne knochenhart geworden war. Miss Beswick lächelte, und ihre Augen funkelten. Sie hatten dasselbe brillante Blau wie das, in dem Renoir Prinzessin Alice‘ Augen gemalt hatte.
Miss Beswick war schön. Viel schöner, als Tanner es sich vorgestellt hatte, und das Flattern in seiner Brust bestätigte, was seine Augen sahen.
Als sie weiterging, atmete er aus. Ein Glück. Er musste sich erst einmal sammeln und sie in einer etwas zivilisierteren Umgebung antreffen. Vielleicht, wenn sie keine Schmiere im Gesicht hatte. Ohne das Rauschen seines eigenen Blutes, das jetzt gerade in seinen Ohren pulsierte. Trotzdem blieb das flatternde Brennen in seiner Mitte. Tanner presste die Finger gegen das Brustbein. Er war sonst nicht so ein Nervenbündel. Normalerweise litt er auch nicht unter Sodbrennen oder dergleichen. Irgendwie musste sein Körper durch die Reise und die Zeitverschiebung aus dem Gleichgewicht geraten sein.
Oder vielleicht, unter Umständen, möglicherweise, könnte es auch sein, dass er sie ganz einfach umwerfend und großartig fand. Selbst mit einer Schicht Motoröl.
»Urban«, sie klopfte dem Anwalt auf die Schulter, »sag mal. Wenn du einen Rembrandt kaufen würdest, würdest du ihn einem Kindergartenkind mit Wachsmalkreiden anvertrauen?« Der Mann, den sie Rafe genannt hatten, tauchte mit einem Handtuch auf, das er Miss Beswick zuwarf.
»Das ist was anderes, Reg. Von Kunst habe ich keine Ahnung.«
»Du hast auch keine Ahnung davon, wie man Autos restauriert.« Ein dünnes Lachen wogte durch die Menge.
»Ich kann es lernen. Mir Hilfe holen.«
»Von wem? Von uns? Nicht für lau.«
»Na gut, dann bezahle ich eben für die Hilfe«, spöttelte der Mann und zeigte auf den Wagen. »Das ist meine Midlife-Crisis, weil meine Frau mir nicht erlaubt, sie gegen ein jüngeres Modell einzutauschen.«
Tanners Lachen fütterte das flatternde Gefühl in seinem Bauch. Wie gut, dass er diese ganze Situation miterleben konnte und eine Chance bekam, Miss Beswick zu beobachten.
Dieser Urban war einer, der zielte, abdrückte und ins Schwarze traf. So wie Miss Beswick. Sie kam direkt zum Geschäft. Redete nicht lange um den heißen Brei herum. Das sollte er sich besser merken.
»Urban, wie alt bist du? Sechzig, einundsechzig?« Miss Beswick verschränkte die Arme, das ölverschmutzte Handtuch hielt sie lose in der Hand.
»Urban«, Al hielt sich die Hände neben den Mund, »gib’s auf. Sie ist auf Beute aus.«
»Ich habe keine Angst, Al. Das ist nicht mein erstes Rodeo.«
Al stieß Tanner den Ellbogen in die Rippen. »Urban hat am Anfang seiner Karriere gegen einen Serienmörder prozessiert. Es war eine Riesensache, eine heftige Angelegenheit, der ganz große Medienzirkus. Die Geschworenen brauchten weniger als zwei Stunden, um ihr Urteil zu fällen und den Angeklagten für schuldig zu erklären. Seitdem war er immer obenauf.«
»Kann sie ihn überzeugen?«, fragte Tanner. »Wird sie gewinnen?«
»Urban kennt das Gesetz. Er weiß null Komma nichts darüber, wie man Autos restauriert, und das ist ihm auch klar. Reggie weiß es. Und er weiß, dass sie es weiß.«
Während das Abendlicht langsam einem tieferen Nachtblau wich, ließ der Anwalt am Ende die Autoschlüssel in Reggies offene Hand fallen.
Die Umstehenden spendeten Beifall und drängten sich um Miss Beswick, um ihr zu gratulieren.
Fremde Schultern stießen Tanner an, und er wurde mit den anderen zusammen in Richtung der roten Scheune gedrängt.
Als er eine Lücke in der Menschenmenge sah, bahnte er sich einen Weg aus dem Gewühl und nahm Miss Beswicks Spur auf, die auf das offene Scheunentor zueilte, aus dem goldenes Licht fiel.
Urban ging an ihrer einen Seite, Al an der anderen.
Tanner hielt sich im Schatten eines großen Baumes und überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Gut beobachten zu können war eine seiner Qualitäten. Sie verschaffte ihm auf dem Rugbyfeld ebenso Vorteile wie im Gerichtsaal oder im Büro des Kulturministers.
Urban und Al kamen einen Augenblick später wieder heraus und gingen zu einem Transporter. Andere sammelten sich in kleinen Grüppchen und machten sich kurz darauf auf den Weg zu ihren geparkten Autos.
Tanner zwang sich, sich in Bewegung zu setzen. Jetzt oder nie, Kamerad.
In der Scheune fand er Miss Beswick, die in einem langen, schmalen Raum, einer Art Behelfsbüro, an einem Computer arbeitete. Er klopfte leise gegen den Türrahmen, und sie wandte sich um.
»Hallo«, sagte sie. »Kommen Sie rein.« Sie stand auf und reichte ihm die Hand. »Haben wir uns schon einmal getroffen? Ich habe Sie draußen bei der Corvette gesehen. Sind Sie ein Freund von Urban?«
»Nein, bin ich nicht. Und wir sind uns auch noch nie begegnet. Ich bin …« Als er ihre Hand berührte, verlor er sein Gespür für sich selbst. Der Boden unter ihm schien sich auf einmal in Knetmasse zu verwandeln, auf der er unmöglich ruhig stehen bleiben konnte. »Tanner Burkhardt.« Er riss seine Hand weg und ging einen Schritt zurück, um wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen.
»Reggie Beswick«, sagte sie. »Höre ich da einen Akzent? Britisch?«
»Hessenbergisch. Ich komme aus dem Großherzogtum Hessenberg.«
»Wow, echt jetzt? Was kann ich für Sie tun? Setzen Sie sich.« Sie wies auf den Stuhl hinter Tanner und zog für sich selbst den Schreibtischstuhl mit dem Fuß heran.
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