Am Anfang der menschlichen Entwicklung gab es noch keine Kultur. Erst als der Mensch lernte, sich selbst dazu zu zwingen, seine persönliche Welt an dem zu spiegeln, was er als gemeinsames Bild in der Außenwelt vorfand, konnte der soziale und kulturelle Aufstieg beginnen. Deshalb musste jeder lernen, sich selbst zu befehlen, den persönlichen Fokus auf das zu legen, was man das anerkannte Weltbild nennt. Sobald er nun versucht, in sich nach der Quelle zu suchen, aus der sich ihm das Wissen erschließt, stößt er in den tiefer gelegenen Schichten seines Geistes auf ein spinnennetzähnliches Bewusstseinsgewebe, das sich dem Tiefenforscher wie ein Schleier suggestiver Erinnerungen über das persönliche Empfinden legt. Darin ist die dreidimensionale Wirklichkeit vernetzt. Indem alle Fäden mit sich selbst verwoben sind, löst jede Assoziation in diesem Schleier einen (für ihn) unkontrollierten Bewusstseinsvorgang aus, und so kann der Eremit erkennen, dass unsere kollektive Sicht nur die durch die unbewussten Assoziationen in der Tiefe berührte Schwingungsfrequenz ist, die sich durch das Tor des jeweiligen Zeitgeists in der Gegenwart auslöst. Er wird sich selbst sowohl als einer individuellen Wesenheit als auch eines im allgemeinen Bewusstseinsgewebe eingespeicherten Energiebildes bewusst, das Teil seiner eigenen Erinnerung ist, und merkt, dass jede tiefe Antwort, die er aus sich selber schöpft, in Wirklichkeit dem kollektiven Schleier entschlüpft, der sich mit seinem Denken verknüpft. Alles, was er wahrnimmt, ist das kollektive Webmuster des Geistes, das durch die persönliche Sicht auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten ist. Die Außenwelt ist nichts anderes als ein Abdruck des Schleiers, dessen Wahrnehmungsinhalte von seinen Sinnen in eine Information übersetzt werden, die er mental und emotional aufnehmen kann. Und auch das Ich, mit dem er sich identifiziert, ist keinesfalls ausschließlich er selbst , wie er glaubt, sondern einfach der Teil, der an der Bewusstseinsoberfläche erscheint, um ihm ein Bild von sich selbst zu spiegeln, durch das er über sich reflektieren kann. Sobald er auf der kollektiven Frequenz auf Erkenntnisse stößt, reicht das Netz diese Informationen an seinen Ich-Teil weiter, der sie oben im Alltag nachzubilden beginnt. Anders herum gesagt: Das Ego stimmt sich auf den übermittelnden Teil im kollektiven Bewusstseinsschleier ein. Das ist viel mehr als nur mentales Verstehen. Es ist die Verschmelzung mit dem überlieferten Wissen, und das Ego des Eremiten kann durch die innere Versenkung in das geistige Band unterhalb der persönlichen Ideen vordringen. Es kann die Kraft der Prägung des menschlichen Geistes erkennen, der sich fortlaufend zu neuen Maschen sozialer und religiöser Ideen webt.
Kontroverse
Kronos als Hüter der Tradition
Wie können Sie den Eremiten bloß als eine Art Wahrnehmungsgefäß betrachten, in dem sich nicht nur das gesammelte Wissen der Menschheit verbirgt, sondern das gleichzeitig auch die Urstruktur des menschlichen Denkens darstellt, in deren Form das menschliche Wissen überhaupt erfasst werden kann? Denn: Ist nicht gerade der Einsiedler das Symbol der Weisheit im Menschen, der Höhepunkt geistiger Entwicklung durch Erfahrung, Wissen und Meditation? Wenn es einen Archetyp gibt, dem wie kein anderer der Sprung aus dem persönlichen Bewusstsein in die kollektive Erinnerung und Geschichte der Menschen aller Kulturkreise gelungen ist, dann ist es er! Spätestens an dieser Stelle muss jedem Leser klar werden, verehrter Hirnyogatrainer, dass Sie die persönliche Wahrnehmung jeder Karte wie eine veränderbare Form in den Fokus Ihrer persönlichen Ausrichtung stellen. Wenn der Magier die Frage Bin ich? kraft seines die eigene Existenz erschaffenden Erkennens eindeutig mit Ja! beantworten kann, so kann der Eremit nun klar erkennen, wer er ist und in welcher Form er existiert: Er erkennt sich selbst in jedem Wort und jeder Tat - er ist das Kennen und die Kenntnis seiner selbst. Dieses geistige Erfassen der eigenen Existenz beruht auf der sehr differenzierenden Betrachtungsweise des Alten, die das, was er tatsächlich ist, von dem trennt, was andere auf ihn projizieren. Ebenso trennt er das, was er tatsächlich ist, von dem, was er zu sein scheint, und darüber hinaus trennt er das, was ihn von anderen trennt, von dem, was ihn wiederum mit anderen verbindet. Er hat als Einziger die Täuschungen der Welt durchschaut, weil er an den Versprechungen und billigen Preisen der Menschen nicht mehr interessiert ist. In seinem Rückzug von der Außenwelt hat er ein kostbares Juwel entdeckt, das sich am ehesten mit dem Begriff der Weltenseele umschreiben lässt. Der Eremit ist das Licht der Erkenntnis, das die Dunkelheit der leeren Versprechungen erhellt und sich somit im eigenen Licht erkennt. In der lauten Welt, in der Gemeinschaften beliebigen Zielen hinterherlaufen, die sie soziale Realität nennen, haben sich Verheißungen der Herrscher und Hohepriester als Betrug erwiesen. Alles Blendwerk der Materie ist Blech geworden, und so ist die Enttäuschung der Beginn der Heimreise zur Quelle der Welt. Erst im Rückzug, der einen Einzug ins Innere darstellt, aus der Midlife-Crisis mit der zentralen Frage Wer bin ich noch? motiviert, findet er den abgetrennten Teil seiner Seele, die sich in den Frieden mit der Weltenseele einfügt. An diesem Punkt ist er in der Lage, mit sich selbst zu sein und die vollendete Identität mit dem Ganzen zu erfahren. Hier ist sein wahrer Standpunkt bzw. der Ruhepol seines Seins, denn hier ist er der Stille der Leere am nächsten und wird selbst zur Quelle der Inspiration. Vor diesem Hintergrund ist er der kreative Teil des Geistes und damit der wahren Heimat der Menschheit am nächsten: Erkenne dich selbst und du erkennst Gott!
Akronos als Advocatus Diaboli
Das, was Sie in Ihrem Plädoyer so moralisch schönreden, lieber Kollege, ist doch das Gleiche, was ich meine: Es gibt nie ein Ende für das, was wir mit Denken umreißen, und alles, was wir mit Wirklichkeit bezeichnen, ist ein Abbild dessen, wie unsere Sinne uns die Welt beschreiben. So bringt sich das Denken innerhalb unserer Vorstellungsbilder immer mehr hervor, denn das Denken vergisst sich im Denken, weil es sich ausschließlich auf sich selbst konzentriert. Es kann sich anderer Bewusstseinsformen gar nicht bewusst werden, solange es sich nur auf seine ewig sprudelnden Wahrnehmungen fixiert. Hintergründig betrachtet ist der Eremit aber nicht nur ein Symbol dafür, wie wir die Welt erfahren und wie wir das Erfahrene in unsere Bewusstseinsmuster einordnen, sondern er ist auch das Symbol des Musters selbst: nämlich alles, was wir erfassen, einordnen zu müssen und aus dem Eingeordneten gleichzeitig das zu gestalten, was wir dann für die äußere Welt halten. Er entspricht dem denkerischen Gestalten, die unbildhaften, energetischen Ströme als Symbole zu erfassen und damit den menschlichen Sinnen zugänglich zu machen. Anders ausgedrückt: Unsere Begriffswelt ist das mentale Ergebnis, das aus dem Rohmaterial schöpferischer Ursubstanz materialisiert worden ist. Damit erschaffen wir uns eine begriffliche Welt, die wir der instinktiven Welt überlagern, bis wir selbst überzeugt sind, dass die begriffliche, von uns selber geschaffene Realität der Wirklichkeit entspricht. Damit die von uns selbst geschaffene Realität aber nicht zerfließen kann, benötigt sie die Erkenntnisse. Diese ziehen immer wieder die registrierten Erfahrungen vergleichend zu Rate und stärken damit immer mehr die einmal als Realität akzeptierte Wahrnehmung. Damit halten wir unsere einmal erdachte Realität durch immer neue Erkenntnisse am Leben, weil sie ohne das ordnende, Bezug setzende Band des Denkens schnell wieder in die Bausteine beziehungsloser Ideen und Vorstellungen zerfiele. Das ist es, und nichts anderes, was sich in der Karte des Eremiten verbirgt!
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