1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Ach du liebe Zeit, da rauscht sie auch schon im Golfcart mit einer Flasche Crémant Rosé, Küchlein und Eis heran. Die Dienerschaft, offensichtlich eine Auszubildende, folgt ihr zu Fuß. Madame Ménage-Small ist lustig, erzählt gerne und strömt eine Grandezza aus, die perfekt in die Szenerie passt. Aus der „Oisellerie“ erklingen die Rufe weißer Pfauen wie Musik der Renaissance. Die fröhliche Schlossherrin, die in ihrer herzlichen, distinguierten Art und nach ihrem Äußeren zu urteilen stark an die Operndiva Montserrat Caballé erinnert, schenkt das rosafarbene Edelgetränk so schwungvoll ein wie wir unseren kleinen Burschen, der vor den Mauern der Anlage im Schatten großer Bäume steht, zu tanken pflegen: randvoll. Tausendfach steigen Bläschen in den beiden schmalen Kelchen und bilden einen federleichten Schaum, den wir mit größtem Wohlgefallen betrachten. Durch Kronen und Blätterdächer blicken wir auf die von der Sonne verwöhnte Fassade des Prunkbaus, deren hochherrschaftliches Bild den Crémant wie Champagner schmecken lässt.
„Ein schöner Ort“, bescheinigen wir der Schlossbesitzerin.
„Vor allem einer, der mich genauso gefunden hat wie ich ihn“, sagt Madame Ménage-Small. Es gebe keine Zufälle im Leben, alles habe seine Bestimmung. Sie, verheiratet mit einem US-Amerikaner, ist Besitzerin eines Schlosses, das für einen anderen US-Amerikaner eine bedeutende Rolle spielte: Harry Truman verbrachte mehrere Monate auf dieser Burg. Das war im Jahr 1918, als er sich an der Artillerieschule in Montigny-sur-Aube eingefunden hatte. Das habe die heutige Château-Besitzerin aber erst später erfahren. Wenn man bedenkt, dass Truman 1945 der 33. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wurde und maßgeblichen Anteil am Marshallplan hatte, der den Wiederaufbau Europas möglich machte, ist dieser Boden nichts weniger als ein Stück europäisch-amerikanischer Zeitgeschichte, auf den Madame stolz sein kann bei allem, was sie hier geschaffen hat. Sie fällt dabei nicht in Ehrfurcht auf die Knie, sie wirkt nicht melancholisch, sondern zufrieden, und sie hat Pläne, die viel weiter in die Historie greifen, um hervorzuholen, was im Laufe der Zeit verloren gegangen war. Denn was sie und ihr Ehemann Len Robert Small hier Anfang des Jahrtausends vorfanden, musste aufwendig restauriert werden. Zehn Jahre haben diese Arbeiten gedauert, zehn Jahre voller Träume, Hoffnungen, Pläne und sicher auch Enttäuschungen. Dabei schaffte es die resolute Frau in relativ kurzer Zeit, öffentliche Institutionen und private Gönner davon zu überzeugen, dieses Projekt maßgeblich zu unterstützen, um in der Geschichte der Region Côte d’Or ein Ausrufungszeichen zu setzen, das unverrückbar bis in die Zukunft ausstrahlt. Es war ein riesiger Aufwand; allein die Restaurierung des heute wieder Wasser führenden Burggrabens war eine Herkulesaufgabe. Rund 18.000 Kubikmeter Boden wurden ausgebaggert, Schilf und Erde entfernt. Die fünf Meter hohen Mauern mussten auf einer Länge von zweihundert Metern saniert und abgedichtet werden. Heute ziehen wieder Schwäne und Enten ihre Bahnen. Die Renaissance-Kapelle bescherte im Jahr 2009 allein sieben Handwerkern einen ganzen Sommer lang Arbeit, nur um der Fassade Schönheit (es gibt schlimmere Arbeitsplätze …) wieder herzustellen. Dorische Säulen, dreieckige Giebel, geriffelte Zwillingsstützen, Kartuschen, Rosetten, Goldschmiedearbeiten – hier hat ein Diamant sein Leuchten zurückerhalten! Architekten und Historiker gehen davor auf die Knie, wir tun es eher vor der Vielfalt des Obst- und Gemüsegartens, der, weit größer als ein Fußballfeld und etwas abseits des englisch anmutenden Landschaftsparks, über dreihundertfünfzig Sorten verschiedenster Früchte beherbergt, davon rund zweihundert Obst-Varietäten. Das sind überparadiesische Verhältnisse, denn im Garten Eden gab’s nur eine Apfelsorte (wahrscheinlich auch noch Granat) und keine Birnen, hier eine unermessliche Fülle, zum Teil frei stehend, andererseits zusätzlich am Spalier gezogen. Unter Einbeziehung erfahrener Landschaftsgärtner wurden jahrhundertealte Züchtungen gepflanzt. Bei aller wiederauferstandenen Pracht der Gebäude scheint dieses Projekt Madame Ménage-Small besonders viel Freude zu bereiten und Kraft zu geben. Dass das Fruchtsorbet zu Kuchen und Crémant ein Produkt der eigenen Ernte ist, daran besteht kein Zweifel: Natürlich ist es das! „Und wir werden noch weitere Sorten pflanzen“, sagt Frau Haushalt-Klein. Allein das ist ein Grund, auf der nächsten Reise zurückzukehren an diesen fantastischen Ort.
Ein letzter Ruf des weißen Pfaus erklingt, in den Kronen spielt der Wind ein Abschiedslied für uns. „Wir werden in absehbarer Zeit auch Chambres d’hôtes anbieten, dann können Sie hier übernachten“, sagt die Schlossherrin. Und das Abschiedslied der Bäume klingt ganz plötzlich schon nach einer Melodie des Wiedersehens.
Ein Zimmer mit Aussicht. Nordkoreanische Impressionen. Neulich am Rande der Vogesen.
Arc-en-Barrois ist bezaubernd, so viel steht fest. Nach einigem Hin- und Her-Mäandern zwischen diversen Nationalparks erreichten wir eine Wald- und Wiesenlandschaft, von Zeit zu Zeit unterbrochen von den Kathedralen der Landwirtschaft, riesigen Türmen, gefüllt mit Getreide, die als Silo gekennzeichnet sogar in der Landkarte verzeichnet sind, weil sie so mächtig und trutzig im Feld stehen. Ameisengleich fuhren wir also am Mont Blanc der Gerste, dem K2 des Weizens und dem Trinkbecher von Neptun vorbei – immer hoffend, dass nicht gerade jetzt ein Haarriss beschließt, sich zu vergrößern und der Inhalt der Riesenhumpen uns lawinengleich entgegenfließt. Dazwischen betrachteten uns gleichmütig diverse Kühe: schwarzbunte und rotweiße, wiederkäuend auf butterblumigen Weiden fressend, mitunter vom Herrn und Meister samt Traktor begleitet. Land, schönstes Land ringsumher. Besser kann man nicht reisen. Und wir mussten uns entscheiden: Arc-en-Barrois oder Arbot? Die Straßenkreuzung war unerbittlich. Arbot klang kurz und knapp, klang nach Bauernhöfen, klang nach kleiner Bar-Tabac und der Straße endend im Nirgendwo. Hatten wir schon oft auf dieser Tour. Wir entschieden uns deshalb für Arc-en-Barrois; dieser Ortsname vermittelt Grandezza und ließ auf adeliges Ambiente schließen, mit erleuchteten Fenstern im Barockstil und Apéritif auf eleganter Terrasse. Das Kleid für besondere Anlässe und das Oberhemd, noch ganz unten in der Tasche, würden also doch noch ausgeführt werden! Gut, Gasfuß, stellt schon mal den Cassis kalt, dort in Arc-en-Barrois, wir würden dann gleich vorfahren.
Parkplatz direkt unterm Zimmerfenster in Arc-en-Barrois
Arc, so wollen wir es hier ab sofort der Einfachheit halber nennen, ist zunächst erst einmal ein kleines Städtchen neben anderen noch kleineren Städtchen. Ganze 766 Einwohner – sollte das nicht eher ein Dorf sein? Aber nein, da haben wir die Rechnung ohne Schloss im Zentrum, Rathaus mit kompletter Geranienbelegung vor jedem Fenster, Hotel, Kirche und Apotheke im weißen Sandsteingewand gemacht! Zum Glück sieht wenigstens die Tankstelle so aus, als hätte nur schnell jemand die Zapfsäule an den Straßenrand gestellt, nachdem er sie auf einem Schrottplatz entdeckt und dann einfach hier vergessen hat. Wir füllen randvoll auf, das gute 98er-Super, und während der Tankwart gnädig das Geld entgegennimmt, stellt uns ein Zausel, dessen Peugeot ebenfalls eine Leckerei erhalten soll, die unmoralische Frage, ob ein Verkauf des fahrenden Altertümchens angedacht sei – es würde sich gut in seinem Fuhrpark machen. „Keine Chance“, bescheiden wir ihm, wie sollen wir denn standesgemäß beim Schlosse vorfahren? Gegen solche Argumente machtlos, lässt er uns aufbrechen – und wir fahren und fahren und fahren genau dreihundert Meter weiter, um schlussendlich auf dem entzückendsten Marktplatz einzuparken, den man sich nur vorstellen kann. Linker Hand ein Schloss aus weißem Stein, direkt fünfundzwanzig Schritte gegenüber die Auberge du Parc, ein großes Haus mit blauen Fensterläden. Daneben Bäckerei und mit dem Rathaus ein weiteres prachtvolles Gebäude. Alles ist so konzentriert um diesen Platz arrangiert, dass man sich nur einmal um die eigene Achse zu drehen braucht, um alles Interessante zu sehen. Im Hotel erhalten wir ein hinreißendes Eckzimmer, von deren zwei Fenstern wir einerseits aufs Rathaus blicken und andererseits auf Château, Kirche und Bäckerei. Es gibt leider keinen eigenen Hotelparkplatz, den wir wirklich gerne nutzen, anstatt unsere liebe Savane TL einfach so des Nachts öffentlich zugänglich abzustellen. Aber es geht nicht anders, wir müssen wohl oder übel eine Ausnahme machen. Immerhin: Der R4 steht direkt unter dem Fenster, und sollte sich jemand daran zu schaffen machen, könnten wir mit einem Sprung hinaus in die Nacht, barfuß und im Pyjama, direkt auf dem Übeltäter landen und ihn Jackie-Chan-gleich k. o. schlagen. Soweit die Theorie. Rein praktisch sind es trotzdem noch dreieinhalb Meter, also hoffen wir darauf, dass es nur Bewunderer aus der Ferne gibt, die interessierte Blicke auf das Auto werfen.
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