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Im ersten Gang geht's immer rauf
Mit dem R4 durch Frankreich
Anke Steinemann & Jens F. Meyer
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
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Redaktion und Lektorat: 360° medien
Satz und Layout: 360° medien
Bildnachweis: Alle Bilder von Anke Steinemann & Jens F. Meyer
Gedruckt und gebunden:
STANDARTU SPAUSTUVE Druckerei I Dariaus ir Girėno g. 39 I
LT – 02189 Vilnius I standart.lt
ISBN: 978-3-947944-10-1
Hergestellt in Deutschland
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Anke Steinemann & Jens F. Meyer
Im ersten Gang geht’s immer rauf
– Mit dem R4 durch Frankreich –
Voyage en Quatrelle
Am Himmel federn Wattebäusche.
Uns führt ein weites graues Band.
Von allen Seiten Rauschgeräusche.
Und alles, bloß kein Vaterland.
Ein Mittelstreifen folgt dem andern.
Durchbrochenes Geleit in Weiß.
Im Blauen Kumuli mäandern.
Zerfließend wie Vanilleeis.
Links nur Überholmanöver.
Rechts die Welt mit Dörfern, Wiesen,
Manchmal Stadtverkehrsgestöber
Inklusive Ampel-Krisen.
Goldbemehlte Grannen tänzeln
Lüstern nach den heißen Winden.
Auf den Rastplätzen scharwenzeln
Kinder unter jungen Linden.
Landschaften: Wie hübsch sie liegen!
Kirchturmspitzen in der Ferne.
Sehnsucht lässt den Wagen fliegen
Richtung Sonne, Mond und Sterne.
In fantastischen Kaskaden
Auf des Fensters Staffelei
Präsentieren Esplanaden
Sich in schönster Schwärmerei.
Flirrend schwankt die weite Sicht
In dem sommerlichen Kleid.
Senkt sich auch des Tages Licht.
Das Ziel liegt tausend Träume weit.
Wir haben Visionen. Wir haben keine Ahnung. Es ist vollbracht.
Die Idee, mit einem Renault 4 durch Frankreich zu reisen, kam uns in einem dunklen, ewig dauernden Winter. Draußen wehte ein eisiger Wind ums Haus, drinnen träumten wir von strahlendem Sonnenschein, blauem Himmel, malerischen Landschaften und hinreißenden Dörfern. Wir saßen in der Küche und führten die „Man müsste eigentlich mal …“-Unterhaltung. Dabei überkam uns der Wunsch, einfach alles hinzuschmeißen – und mit einem alten „Vierer“ durch das Land der Trikolore zu cruisen, bereit anzuhalten, um der französischen Lebensart in Form von salzbutterverwöhnten Croissants, fulminanten Mehr-Gänge-Menüs und edlen Getränken in urigen Bars und bildschönen Restaurants zu huldigen. Ja, so war das damals in der Küche bei Kerzenschein – und dieser Gedanke ließ uns danach nie wieder los.
Reisevorbereitung mit Karte, Atlas, Büchern
Die Schwärmerei hatte zwei Gründe: der erste R4 und der zweite R4. Zu Beginn der Studentenzeit hatten sie wackere Dienste geleistet. In unserer Erinnerung war das ein tolles Auto, mit dem komplette Umzüge tadellos erledigt werden konnten. Ein riesiger Kofferraum, Platz für vier Personen, diverse Tiere und eine Schwiegermutter. Günstig in der Anschaffung und im Unterhalt, verbrauchsarm und so viel praktischer als ein VW-Käfer. Der R4 – er war einfach perfekt! Wir stellten uns an jenem Abend in der Küche also genau vor, wie es sein würde, wenn wir unsere Idee in die Tat umsetzten, vergaßen dabei jedoch großzügig einige Details. Denn erstens hatten wir keine „Quatrelle“ (so nennen die Franzosen ihren R4). Zweitens wollten wir nicht in einer heruntergerittenen Schleuder umherreisen. Und drittens hatten wir grundsätzlich keine Ahnung von Autos, woran sich bis heute wenig geändert hat. Wir wussten lediglich, wie man so einen Wagen lenkt und wo das Gaspedal sitzt, aber damit waren unsere Kenntnisse weitestgehend erschöpft. Ach, und einen sicheren Stellplatz für den Oldtimer hätten wir nur gehabt, wenn unser einziges anderes Auto dafür Wind und Wetter trotzen müsse. Die Vorstellung, das über zwanzig Jahre alte Fiat Punto Cabrio auf diese Weise zu degradieren, hätte fast dazu geführt, den R4-Plan aufzugeben. Weil wir aber erst ganz am Anfang, sozusagen in der Ur-Suppe unserer Idee schwammen, wurde auch dieses Hindernis beiseite gewischt.
Die nächsten zwei Jahre gingen ins Land; wir schauten auf einschlägigen Internetseiten und Foren nach gut erhaltenen Quatrelles. Zeitgleich kamen mehrere Bücher über diese Ikone auf den Markt, es war geradezu unheimlich, aber wir werteten es als gutes Zeichen … Letztendlich mussten wir uns dennoch überwinden, beim ersten Händler anzurufen. Im Überschwang trifft man bisweilen ja Entscheidungen, die dann nicht mehr rückgängig zu machen sind.
Die Preise für (fast) rost- und beulenfreie R4 stiegen langsam, aber stetig an. Wir waren uns darüber einig, wie viel Geld wir ausgeben wollten und was die Quatrelle bieten sollte: nicht über 8000 Euro und mit Kopfstützen! Selbstverständlich war auch die Farbgebung essenziell. Am liebsten wäre uns das stylishe Andalusisch-Orange der Siebzigerjahre gewesen, das ab Werk unter der Nummer 318 abgerufen wird. Oder Touareg-Blau (464). Gerne auch Salat-Grün (hieß wirklich so – Nummer 913!). Allesamt strahlende, schöne, auffällige Kolorationen. Aber nichts tat sich. Die Wochen und Monate gingen ins Land, wir sondierten den Markt, und eigentlich war das Thema fast unter einem Haufen von Ausreden und bedauernden Erleichterungsargumenten schon erledigt, als plötzlich doch noch Schwung in die Angelegenheit kam. Denn ganz in der Nähe, rund siebzig Kilometer entfernt, stand ein Exemplar zum Ansehen und Probefahren bereit. Jetzt oder nie! Es gab keine Ausflüchte mehr. Wir riefen den Händler an, vereinbarten einen Termin. Die Probefahrt unternahmen wir an einem Freitag, der Verkehr war dicht gedrängt, der Regen fiel sanft, die Straße schimmerte verheißungsvoll, und das Thermometer zeigte null Grad Celsius. Genau die richtigen Voraussetzungen, um ein altes Auto ohne Bremskraftverstärker und ohne Servolenkung zu testen. Der frohgemute Verkäufer fragte, ob wir uns mit der Revolverschaltung auskennen. „Selbstverständlich!“ Wir taten empört. Warum sollte sich die Erinnerung daran nach fast fünfunddreißig Jahren nicht schlagartig wieder einstellen? Ist doch wie Rad fahren.
Knarrend öffnete sich die Fahrertür. Kaum dass wir Platz genommen hatten, spürten wir die strammen Polsterfedern im butterweichen Sitz unterm Hinterteil. Egal, noch kurz den seltsamen Schaltknüppel ausprobiert, und schon rollten wir vom Hof. Krachend ging der erste Gang rein, aber immerhin: Er ging rein, und eine Oma flüchtete auf den Gehsteig. Der Lüftungsmotor bot winselnd seine bescheidenen Dienste an, die aber nicht ausreichten, um die beschlagene Scheibe freizublasen. Durch den herausgezogenen Choke laut röhrend, brausten wir die Straße entlang. Nicht schlecht – fast einhundert Kilometer pro Stunde schienen nicht das Problem zu sein. Blöd nur, wenn man in die Eisen gehen muss – so ganz ohne Bremskraftverstärker ist das ein Ereignis, das den ganzen Körpereinsatz fordert. Aber irgendwie funktionierte das alles ganz passabel; wir waren unterwegs und kamen unserem Traum ein Stück näher.
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