»Er passt sogar! Sie sind ein großzügiger Mensch, Herr Aschinger. Eigentlich kann ich so ein Geschenk nicht annehmen. Aber bei einem so guten Geschäftsfreund meines Vaters darf ich wohl nicht nein sagen …«
Elly Proske, die Leiterin des Sekretariats, hatte Sebastian bereits erzählt, dass Fritz Aschinger als freigiebig galt und fast jeden, dem er sich verpflichtet fühlte oder dem er seine Wertschätzung ausdrücken wollte, mit Geschenken überhäufte. Aber der Wert dieses kostbaren Geschenkes dürfte vor allem mit dem geschäftlichen Hintergrund zu tun haben.
Der Chauffeur hielt vor der Ecke Friedrichstraße, Dorotheenstraße. Sie stiegen aus und nahmen die Baroness in die Mitte, und sie hakte sich bei den beiden Männern ein. Der Portier riss die Tür auf, als er Aschinger sah, und sie gingen an der Kasse mit der Menschenschlange vorbei durch einen langen Flur mit Bildern der Künstler, die hier auftraten. Der Kartenabreißer erstarrte und riss mit einer Verbeugung die zweite Tür auf.
»Bezahlen brauchen Sie in diesem Laden nicht?«, fragte die Baroness.
»Nein, mir gehört der … Laden«, sagte Fritz Aschinger etwas pikiert.
Der Geschäftsführer, durch irgendwelche Signale alarmiert, tauchte auf und schlug, als wäre er über den Besuch höchst erfreut, die Hände zusammen. »Sie hier im Wintergarten, Herr Aschinger? Wie lange habe ich mir das schon gewünscht! Es ist uns eine große Ehre.«
»Sind wir gut besucht?«
»Wir sind bis auf den letzten Platz ausverkauft. Aber natürlich werde ich dafür sorgen, dass Sie den besten Platz gleich an der Bühne bekommen.«
»Aber bitte keinen Platz, wo uns gleich die ganze Mischpoke von Pressefritzen sieht. Sonst sehen wir uns morgen alle in den Berliner Tageszeitungen wieder.«
»Wir haben gleich neben der Bühne eine kleine Grotte, die schwer einzusehen ist, von der man aber einen guten Blick auf die Bühne hat. Wir nennen sie unsere Kaiserloge.«
»Sehr schön. Wie ist das Programm?«
»Exzellent! Wir haben einen Entfesslungskünstler der allerersten Kategorie und den berühmten Clown Grock, eine weltbekannte Trapeznummer, die Diseuse Claire Waldoff und eine berühmte Chansonsängerin aus Paris, die so großartig wie die Mistinguette ist. Sie werden zufrieden sein. Unser Haus ist seit Monaten ausverkauft.«
»Na schön, dann zeigen Sie uns mal die Grotte in unserem Moulin Rouge!« Aschinger lachte künstlich.
Mit vielen Bücklingen und großen Gesten führte sie der Geschäftsführer in eine Ecke, die mit glitzernden Steinen, die an Eiskristalle erinnerten, ausgeschmückt war. Zwei Ober eilten herbei und reichten die Karten. Aschinger bestellte Jahrgangschampagner und nach kurzer Verständigung mit der Baroness als Hauptgericht Hummer. Sebastian wurde nicht gefragt. Ihm war das nur recht so, er fühlte sich ohnehin wie das fünfte Rad am Wagen.
Fräulein Weinberg erzählte Aschinger von Paris und London und dass dies die einzigen Städte seien, in denen man leben könne – nicht besonders taktvoll gegenüber jemandem, der im Volksmund »Der König von Berlin« genannt wurde. Fritz Aschinger schien dies aber nichts auszumachen, er starrte sie an, als wäre sie die Inkarnation aller Frauen, als habe er endlich, nach langem Suchen, eine Frau entdeckt, die seinen hohen Ansprüchen genügen konnte – eine Königin: teuer, kapriziös, schön und aus gutem Hause. Doch ob sie für Aschinger die richtige Frau war, da hatte Sebastian doch große Zweifel. Sie sprang von einem Thema zum anderen und erzählte vom Segeln vor Kiel, von Strandwanderungen auf Sylt, vom Osterfest in Rom und von Mondscheinfahrten vor Capri. Das Leben schien für sie ein einziges Fest zu sein. Mit ihrem hohen, melodischen Tonfall erinnerte sie Sebastian an einen Singvogel, der munter flötete und sein Gefieder spreizte, um das Männchen anzulocken – und Fritz Aschinger tat ihr den Gefallen zu reagieren.
»Nun erzählen Sie doch einmal, was Sie das ganze Jahr so anstellen!
In Berlin ist doch sicher auch eine Menge los«, sagte sie nach ihrem Redefluss über das aufregende Leben der oberen Zehntausend.
Fritz Aschinger warf Sebastian einen hilflosen Blick zu. »Ich arbeite.«
»Sie können doch nicht jeden Tag arbeiten!«
»Nein … doch, ich habe eben so viel zu tun.«
»Machen Sie keinen Urlaub? Sagen Sie bloß, Sie waren noch nicht in Monte Carlo oder in Nizza oder Cannes!«
»Nein, das war ich nicht«, stammelte er.
»Herr Aschinger hat ja nicht nur ein Hotel, sondern viele, außerdem Konditoreien und Bäckereien sowie fast dreißig Bierquellen. Das verlangt seine ständige Anwesenheit«, kam Sebastian ihm zu Hilfe.
»So? Dafür gibt es doch Leute wie … Sie! Jawohl, habe ich nicht recht, Herr Aschinger? Dafür hat man doch seine Leute! Sie müssen doch auch mal ausspannen. Und gute Hotels gibt es auch an der Côte d’Azur. Das Negresco in Nizza ist ein Traum von einem Hotel! Der Fürstenhof ist ja ganz nett, aber gegen das Negresco fehlt doch dieser französische Esprit, wenn Sie wissen, was ich meine. Nichts für ungut! Ah, jetzt kommt der Entfesslungskünstler!«
Der Artist wurde in Ketten gelegt und obendrein in einen Käfig gesperrt, der danach mit einem Tuch verhüllt wurde. Es gab einen Tusch, und Rauchwolken stiegen auf und verdeckten den Käfig. Nun stand der Mann ohne Ketten neben dem Käfig. Sebastian langweilte die Nummer, aber die Baroness schien sich köstlich zu amüsieren. Danach kam der Clown Grock auf die Bühne, ein Höhepunkt des Abends. Auch Fritz Aschinger ließ sich von ihrer Begeisterung anstecken, und bald warfen er und die Baroness sich übermütig Papierschlangen zu. Sebastian sah immer wieder auf die Uhr und fluchte innerlich, dass die Zeit so langsam verging.
»Und was machen Sie den lieben langen Tag?«, wandte sich Sieglinde von Weinberg in einer Pause an Sebastian.
Der Hummer war serviert worden. Sebastian wusste nicht, wie man mit dem Besteck die Schale knackte, und war gerade dabei, sich von Aschinger abzugucken, wie man dem Hummer das Fleisch entlockte. »Ich … arbeite.«
»Und was machen Sie in den Ferien?«, fragte sie unzufrieden.
»Keine Ahnung, ich hatte noch nie welche.«
»Er ist gar nicht lustig, Herr Aschinger!«
»Er ist frisch aus der Provinz«, sagte Aschinger gönnerhaft, »aber er lernt schnell. Er wird, wenn er in dem bisherigen Tempo weitermacht, schon bald auch wissen, wie man sich amüsiert.«
Sebastian hätte am liebsten geantwortet: Als ob du das wüsstest, großer Chef! Aber natürlich verkniff er sich die Bemerkung.
»Er hat ganz ernste Augen«, sagte sie nachdenklich, aber so distanziert, als spräche sie von einem Pferd oder Hund. »Ich mag ernste Menschen – manchmal jedenfalls. Oh, jetzt kommt die Französin!« Sie klatschte in die Hände.
Die zierliche Frau mit einem grell geschminkten Mund sang Paris, je t’aime d’amour . Das Publikum raste vor Begeisterung.
»Ach, ich würde jetzt am liebsten gleich nach Paris fahren!«, rief sie enthusiastisch, steckte zwei Finger in den Mund und pfiff wie ein Gassenjunge.
Fritz Aschinger schien sich über ihr exaltiertes Benehmen köstlich zu amüsieren. Mittlerweile war man bei der zweiten Flasche Champagner angelangt. Als die Baroness zum Nasepudern verschwunden war, fragte Aschinger seinen Sekretär: »Was hältst du von ihr?«
»Sie ist sehr … kapriziös, so nennt man das wohl. Ich habe aber keine Ahnung von Frauen.«
»Sie ist so erfrischend! So ganz anders als die Damen hier in Berlin. Sie lebt und reißt einen mit, nicht wahr, Johnny?«
»Na ja, wenn man sich mitreißen lassen will.«
»Sie gefällt dir nicht?«, fragte er enttäuscht.
»Sie ist schön, verwöhnt und sehr … anstrengend.«
»Sie ist eben nicht so schwerblütig wie die Norddeutschen. Sie ist so anregend wie Champagner.«
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