Aufenthalte in Norwegen und Irland nährten darüber hinaus mein ständiges Fernweh. Was man auch jemals zusammen unternahm, möglichst einfaches, einsames Leben wurde angestrebt. Rucksack, Zelt und Lagerfeuer als stetige Begleiter. Und so schmolzen wir über Jahre zu festen Freunden zusammen. Verstanden uns nahezu blindlings. Viele schwierige Situationen wurden durch jahrelanges Zusammenspiel wortlos gemeistert. Kurz, konnten uns stets aufeinander verlassen. Wahrscheinlich ist der Quell des ungebändigten Abenteuerblutes noch viel früher zu suchen. Schon Kindesbeine trugen uns über manch ausgedehnte Wanderung. Zelten, Holzsammeln, Feuermachen, Angeln lernte man sozusagen vor dem 1 x 1. Das ständige Atmen der Schönheit freier Natur prägte Denken und Sinne.
Nun, jeder weitere Vorbereitungsschritt spornte zusätzlich an, den Plan in die Tat umzusetzen. Allerdings, da gab es nicht ausschließlich von Begeisterung getragene Abwicklungen zu tätigen; nämlich Auflösung von Wohnung, Arbeit, diversen Verträgen und ähnlichem.
So verstrichen Monat um Monat. Der Winter nahte dem Ende. Das Wichtigste war über die Bühne. Ein Flugtermin musste gewählt werden. Dann hieß es langsam, - Abschied nehmen, der bei weitem schwierigste Schritt. Abschied nehmen von Angehörigen und Freunden. „Wen wird man wiedersehen?“ … und niemand wusste von dem geheimen Plan, vielleicht für mehrere Jahre fortzubleiben!
Gleich wie, man muss hinaus, die Fremde ruft, das Abenteuer lockt wie ein Magnet.
Wir wollten freie Menschen sein, gleich dem Vogel in den Lüften; „Eins sein mit der Natur ..… und Eins werden mit sich selbst.“
Wenn Kinderträume nicht erlöschen, wird mancher Traum zur Wirklichkeit!
Das Tagebuch half mir sehr,
Einsamkeit und Qualen zu überstehen
– und stets neue Hoffnung zu schöpfen.
20. Januar 1989
Bei einem Bierchen sitzen wir in Thomas’ Wohnung und diskutieren uns die Köpfe heiß über den Abreisetermin. Ostern steht zur Debatte.
Er war zuerst dagegen, meinte, es sei (noch) zu früh; ließ sich jedoch von mir überzeugen: „Je früher, desto besser.“
Der Entschluss steht fest: Abflug, Ende März bzw. erste Aprilwoche. Letzte Vorbereitungen, „Count Down!“
Irgendwie hat man Schiss vor der eigenen Courage.
Je mehr abschließende Vorbereitungen abgewickelt werden, desto stärker kommt ein gemischtes Gefühl von Glück, Freiheit und sogar ein Hauch von Bammel auf.
Der Flug ist gebucht.
Spezielle Kleidung beschafft. Es gibt Probleme mit den Waffen. Werden dabei wahrscheinlich auf einen Cousin von Thomas in Kanada angewiesen sein.
7. April
Hatten seit der letzten Eintragung eine Unmenge von Dingen zu erledigen. Die Ausrüstung musste noch vervollständigt werden. Fanden nachts kaum Schlaf.
Dann war es endlich so weit. Endlich!
Nach einer gesamten Reisezeit von 23 Stunden (Frankfurt – New York – Toronto – Thunder Bay), wurden wir von besagtem Cousin am Flughafen abgeholt. In Toronto (Maschinenwechsel), schlugen wir uns vor Freude auf die Schulter, weil wir dort, mehr als erwartet, eine Aufenthaltsgenehmigung von sechs Monaten erhielten.
Unsere gute Laune ist jedoch mittlerweile wieder etwas gedämpft. Kein Wunder. Rund um die Uhr unterwegs. Noch schlimmer, der Rucksack von Thomas kam nicht in Thunder Bay an.
Verschafften uns vorerst einen allgemeinen Überblick. Es liegt noch Schnee und ist ziemlich kalt. In den hohen Norden können wir also frühestens in zwei bis drei Wochen aufbrechen.
12. April
Man zeigte uns in den letzten Tagen Sehenswürdigkeiten rund um Thunder Bay. Spazierten auf dem vereisten Lake Superior, zweitgrößter See der Welt. Tags darauf ein Ausflug zu den Kakabeeka-Falls, die noch halb zugefroren sind. Das Wasser brach durch die Eisschollen und spritzte turmhoch wie Wasserspiele. Ein toller Anblick!
Sammeln täglich Informationen, wie am besten ans Ziel zu kommen wäre. Alles zu teuer. Zudem versucht jeder, mit dem wir über unser Vorhaben sprechen, uns dieses auszureden. Gründe dafür seien wiederholte Waldbrände um den Sklaven-See und die entsetzliche Schnakenplage in den N.W.T. .Bis jetzt sind wir aber standhaft und werden dies wohl auch bleiben.
17. April
Immer noch zu kalt zum Aufbruch.Obwohl die letzten Schneereste schmelzen, sinkt die Temperatur nachts auf ca. -10 Grad. Haben die Zeit genutzt, den günstigsten Weg zu finden: Mit einem Coca-Cola-Truck von Thunder Bay nach Winnipeg, per Anhalter nach Edmonton, von dort mit dem Zug nach Enterprice, südlich am Großen Sklaven See. Yellowknife liegt am nördlichen Seeufer. Müssen also das riesige Gewässer halb umgehen. Dort sollen irgendwie Waffen besorgt werden. Dann verschwinden wir für Monate in den Wäldern der kanadischen Wildnis.
Waren am Wochenende nach Duluth in die grenznahe USA gefahren, Angelausrüstung zu kaufen. Viel billiger als in Kanada.
Heute Kontakt mit Deutschland aufgenommen. Mama teilte mir mit, dass zwei Tage nach unserem Abflug Oma verstarb. Mir blieben die Worte im Halse stecken und legte auf.
24. April
Die etwa drei Wochen Aufenthalt in Thunder Bay waren zwar nicht langweilig, doch das Abenteuerfieber wird allmählich unerträglich. Sehnen den Tag des Aufbruchs herbei.
Mittlerweile etwas wärmer geworden, jedoch laut Kanadiern, im Vergleich zu den letzten Jahren, immer noch zu kalt.
Mit etwas Glück können wir kommenden Freitag mit einem Truck nach Winnipeg fahren.
Bis jetzt freuen wir uns noch auf „Wildlife“ pur.
3. Mai
Schon vier Wochen in Kanada und sitzen immer noch hier fest. Es gab mit dem Truckfahrer, der uns vor einer Woche nach Winnipeg bringen sollte, ein Kontaktproblem. So mussten wir weiter ausharren. Haben Karten gespielt und gefischt. Auch sonst irgendwie die Zeit ungeduldig um die Ohren geschlagen. Aber nun reicht´s!
Nochmal deutlich wärmer. Ideales Wetter. Morgen früh wollen wir endgültig aufbrechen, auch ohne Truck, vielleicht die gesamte Strecke per Anhalter. Viertausend Kilometer! Keine Kleinigkeit!
7. Mai
„Denn erstens kommt es anders - und zweitens als man gar nicht denkt.“
Am 3.5. abends teilte uns Werner mit, dass es noch selbige Nacht losgehen soll. Also, klappt doch!
Ein Coca-Cola-Truck nahm uns mit bis Dryden (Ontario), das freilich nur 400 km von Thunder Bay entfernt liegt. Doch wir hatten Glück. An einem Rastplatz nahm uns der nächste Fernfahrer auf, über Winnipeg bis Edmonton.
Auf der Reise versuchte uns der Fahrer (Sheldon) davon zu überzeugen, dass seine Heimat, „B.C.“ (British Columbia), die schönste Provinz von ganz Kanada sei. Davon mussten wir uns natürlich selbst überzeugen und fuhren mit ihm an Edmonton vorbei, durch die Rocky Mountains an die Westküste Kanadas, bis Vancouver am Pazifischen Ozean. Auf dieser 3.400 km langen Strecke, in lediglich drei Tagen, sahen wir mit großem Interesse die Provinzen Ontario, Manitoba, Saskatchewan und Alberta.
Und er hatte recht. So wie die Landschaft in Britisch Kolumbien, hatten wir uns eigentlich ganz Kanada vorgestellt. Vom Highway aus sieht man jede Menge Flüsse und Seen. Kaum eine Meile, ohne ein Tier zu entdecken: freche Kojoten, majestätische Adler, stattliche Elche. Häufig zeigten sich stolze Wapitis (Hirschart); einmal sogar imposante Bisons. Na, ist das nicht ein gelungener Auftakt?
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