Selbst der ehemalige geschäftsführende Arzt der DSO, Professor Lauchert, gibt schriftlich zu: »Es ist in der Tat nicht zu belegen, dass eine für hirntot erklärte Person tatsächlich über keinerlei Wahrnehmungsvermögen, insbesondere Schmerzempfindlichkeit, verfügt.«27
Der »Erklärung zum Hirntod« der Bundesärztekammer waren Anfragen und Klagen von der Pastorin Ines Odaischi in ihrer Eigenschaft als potenzielle Organspenderin vorausgegangen, u. a. vor dem Verwaltungsgericht in Berlin und wie vorhin erwähnt vor dem Bundesverfassungsgericht, das die Bundesregierung zwingen sollte, das Transplantationsgesetz dahingehend zu ändern, dass eine Narkose für Organspender zwingend geboten ist. Das Problem für die BÄK war, mit einer befürwortenden Erklärung zur Narkose hätte man zugeben müssen, es handele sich bei den hirntoten Menschen um noch Lebende. Also nimmt man eher in Kauf, dass die Menschen während der OP eventuell Schmerzen erleiden. Man stelle sich vor, ein Mensch, der sich nicht mehr zu wehren vermag, wird ohne Narkose zum Zweck einer Multiorganentnahme vom Hals bis zum Schambein aufgeschnitten.
Eine Leiche spendet nicht
Was in der Erklärung der BÄK folgt, ist sprachlich entlarvend: Hier heißt es: »Die Tätigkeit eines Anästhesisten bei der Organentnahme – Maßnahmen wie zum Beispiel die künstliche Beatmung, die Kontrolle der Herztätigkeit und des Kreislaufs sowie die notwendige Ruhigstellung der Muskulatur – dient ausschließlich der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der zu entnehmenden Organe.« Ist das die angemessene Versorgung bzw. Behandlung einer Leiche? Dennoch ist »Leichenspende« der Terminus technicus in Abgrenzung zur Lebendspende.
Bei aufmerksamem Studium der offiziellen Informations-Broschüren der BZgA für ein allgemeines Publikum ist zu Fragen des Schmerzempfindens bei Hirntoten Gegensätzliches zu erfahren. In der Broschüre »Wie ein zweites Leben« der BZgA (S. 26) ist zu lesen: »… Trotz künstlicher Beatmung und aufrechterhaltender Herztätigkeit kann dann gegebenenfalls ihre Hirntätigkeit für immer erloschen sein. Der Organismus ist dann zu einer Selbststeuerung nicht mehr in der Lage. Jede Möglichkeit der bewussten Wahrnehmung, d. h. auch der Schmerzempfindung, des Denkens, der Steuerung der Atmung, der Stoffwechselregulation usw. ist unwiderruflich verloren.« Auch die Lazarus-Zeichen, Bewegung der Arme oder Gehbewegungen würden nicht auf Schmerzempfindungen hinweisen (S. 36). Daraus folgt, wo kein Schmerzempfinden, da sind Schmerzmittel überflüssig.
Eine weitere Broschüre an Professionelle, »Organspende – eine persönliche und berufliche Herausforderung«, erweckt den Eindruck, dass es dennoch obligatorisch sei Schmerzmittel vor der Organentnahme zu verabreichen, wenn dort die Frage gestellt wird (S. 21): »Warum erhalten Hirntote bei der Organentnahme häufig Schmerzmittel und Medikamente zur Muskelrelaxation, obwohl sie angeblich keine Schmerzen mehr empfinden können?« Die Antwort: »… um rückenmarksvermittelte Bewegungen zu verhindern.« D. h. meines Erachtens, der Chirurg könnte irritiert und in seiner Arbeit gestört werden.
HAT DER »HIRNTOTE« PATIENT VOR DER OP EIN RECHT AUF NARKOSE?
»Mit Muskelrelaxantien werden zwar die lästigen Abwehrbewegungen unterdrückt, nicht aber die Adrenalinausschüttung mit Blutanstieg und Tachykardie. Der Hirntote reagiert also exakt wie ein normaler Patient mit unzureichender Narkose, nur kann er den Narkosearzt später nicht zur Rechenschaft ziehen, denn er überlebt den Eingriff planmäßig nicht.«
Dr. Hans-Joachim Ritz, Leserbrief im Deutschen Ärzteblatt vom 12. 09. 1997
Es ist zweifelsfrei dokumentiert28, dass Patienten, die als hirnstammtot diagnostiziert worden sind (Brain Stem Death), auf das Trauma des chirurgischen Eingriffs wie bei jeder anderen Operation mit erhöhtem Blutdruck, mit Herzrasen und Bewegungen reagieren, paralysiert werden und mit einer Art Anästhesie zur Sicherheit ruhiggestellt werden können. Ob dies geschieht, bleibt ungeregelt und damit dem Zufall überlassen. Weder die »Spender« noch ihre Angehörigen müssen darüber informiert werden, noch wird auf dem Organspende-Ausweis oder im Organspende-Register in Ländern mit einer gesetzlich geregelten Widerspruchslösung Anästhesie angeboten oder garantiert. Familienmitgliedern, die mit der Transplantationsmedizin konfrontiert sind, wird die Wahrheit über diese fragwürdige Vorgehensweise bei einer Organentnahme vorenthalten, obwohl sie einen Anspruch darauf hätten. Das entspricht dem Tatbestand der vorsätzlichen Täuschung. Die ethischen Probleme liegen nicht so sehr darin, dass menschliche Organe für die Transplantation genutzt werden, als vielmehr in der Weise, wie lebenswichtige Organe gewonnen werden.
EINE OPERATION MIT PLANMÄßIG TÖDLICHEN FOLGEN
»Das Leben des Menschen gehört Gott, und der Mensch hat kein Recht, darüber frei zu verfügen. Nichts also darf geschehen, was das Leben um eine einzige Sekunde verkürzen könnte, um dadurch das Leben eines anderen zu retten.«
Joel Berger im Auftrag des Zentralrats der Juden in Deutschland, in Ausschussdrucksache des Deutschen Bundestages 582/13, Bonn 5. 9. 1996.
Ist der Hirntod festgestellt und der Patient hat einen Organspende-Ausweis oder die Angehörigen haben einer Organ-/Gewebe-Entnahme zugestimmt, kann die Operation beginnen. Und das bedeutet im Einzelnen: Zur Organentnahme ist der beatmete »Hirntote« auf dem OP-Tisch fixiert und bekommt unter Aufrechterhaltung der Homöostase (Regelung des Kreislaufs, der Körpertemperatur, des pH-Werts, des Wasser- und Elektrolythaushalts, u. a.) Muskelrelaxantien zugeführt. Ob der Patient auch Schmerzmittel erhält, liegt im Ermessen des Anästhesisten, da es dafür keine gesetzlichen Vorschriften gibt.
Dann wird dem Patienten zum Zweck einer Multiorganentnahme die Bauchdecke vom Hals bis zur Symphyse (Schambeinfuge) aufgeschnitten. Zwei weitere Schnitte folgen vom Brustbein aus zum rechten und linken Beckenkamm.29 Mit den ersten Schnitten steigt oftmals der Blutdruck. Blutdruckanstieg, Schwitzen, Rötungen der Haut während des Eingriffs mit Elektromesser und Säge30 bei dem noch lebenden Patienten, lassen unter Umständen auf Schmerz- und Angstreaktionen schließen, wie selbst der medizinischen Literatur zu entnehmen ist.
Die spitzwinkligen Bauchdeckenlappen werden mit Klemmen seitlich fixiert. Eine große Öffnung entsteht, und im Verlauf der OP werden dann die Hautlappen so gehalten, dass ein »Gefäß« entsteht, das bis zu 15 Liter Eiswasser fasst, mit dem die Organe gekühlt werden sollen. Ein Spezialteam legt die Abdominalorgane, die große Schlagader (Aorta) und die große Hohlvene (Vena cava) frei. Dann wird das Brustbein mit einer Säge der Länge nach durchtrennt. Mit einer Sperre wird der Thorax (Brustraum) ausgedehnt. Mit dem Öffnen des Herzbeutels wird das noch schlagende Herz sichtbar.
Um die Organe für den Zeitraum zwischen Entnahme und Übertragen für den Transport zu konservieren, wird bei laufendem Beatmungsgerät und bei schlagendem Herzen mittels Kochsalzspülung (Perfusionslösung mit Ernährungs- und Konservierungszusätzen, konstante Temperatur von 4 ˚C) das Blut aus dem Kreislauf gespült. Die Perfusionslösung wird über die Aorta zu- und über ein künstliches Leck in der vena cava wieder abgeleitet. Auf diese Weise wird der Patient völlig entblutet und seine Organe zugleich unterkühlt und konserviert. Zur externen Kühlung der Organe werden Thorax und Bauchhöhle erneut mit eisgekühlter Kochsalzlösung aufgefüllt.
Diesen Vorgang überlebt der Patient nicht. Erst jetzt wird die Beatmung eingestellt. Der »Hirntote« ist nun wirklich gestorben. Bei einer Multiorganentnahme können mehrere Teams beteiligt sein. Von den jeweiligen Spezialistenteams werden nun die blutleeren und gekühlten Organsysteme, denen immer noch ein Rest Leben innewohnen muss, in der Reihenfolge Herz, Lunge, Leber, Pankreas, Nieren und Augen entnommen, verpackt und in speziellen Kühlbehältern so rasch wie möglich zu ihren Verwertungsorten transportiert. Auch Gelenkteile, Knorpel, Gehörknöchelchen, Haut und Knochen u. a. werden entnommen und weiterverwendet. Für eine offene Aufbahrung für Angehörige bleibt da nicht viel übrig.
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