Als Mony im Herbst 1915 beginnt in die Schule zu gehen, tobt seit über einem Jahr der Erste Weltkrieg. Längst ist die Begeisterung der Augusttage 1914 verflogen; nach den blutigen Niederlagen im Herbst 1914 schöpft man jedoch wieder etwas Hoffnung: In Galizien sind die k. u. k. Truppen wieder in der Offensive; in den Dolomiten und am Isonzo stehen sie erfolgreich im Abwehrkampf gegen die Italiener. Noch mag niemand daran denken, dass dieser Krieg der letzte der ruhmreichen Armee des Kaisers sein könnte. Für Franz Amon Göth bleibt der Krieg überhaupt ein fernes Ereignis: Er hat es irgendwie geschafft, nicht zur Truppe eingezogen zu werden.
Mony besucht eine private katholische Volksschule; seine Eltern wollen ihm jene Werte vermittelt wissen, die sie zur Richtschnur ihrer Existenz erhoben haben: Gottvertrauen, Fleiß, Anständigkeit, Gesetzestreue. Ihr Sohn soll einmal in ihre Fußstapfen treten und die Firma übernehmen, die sie mit so viel Kraftanstrengung aufgebaut haben. Es ist das drückende Gefühl dieser Verpflichtung den Eltern gegenüber, das Mony von den Volksschultagen an nicht mehr los wird.
Die Schrecken des Krieges ziehen an dem durchaus aufgeweckten Volksschüler wohl nicht spurlos vorbei: Familie Göth wohnt seit Februar 1917 in einem neu erbauten Haus in der Mollardgasse 34; unweit davon befindet sich die 1873 als „k. k. Kunststickereischule“ gegründete „k. k. Zentral-Lehranstalt für Frauengewerbe“, die seit dem Ausbruch des Krieges als Lazarett dient. Beinahe täglich treffen hier von dem nur einen Kilometer entfernten Frachtenbahnhof der Südbahn die Sanitätswagen mit Verwundeten vom Isonzo ein – der Anblick verstümmelter, halbtoter Soldaten, von Männern ohne Arme oder Beine in blutigen Verbänden wird zu seinem Kriegserlebnis. Für große Illusionen über den heroischen Krieg ist da kein Platz mehr, wohl aber für das schmerzende Gefühl der Niederlage und des Untergangs, das auch die bürgerliche Welt der Göths durchtränkt. Mony ist zehn Jahre alt, als die Monarchie zusammenbricht und die Republik „Deutsch-Österreich“ ausgerufen wird. Bald wird er erkennen, dass er mit dieser um ihr Überleben kämpfenden Repablick nichts zu tun haben will; da ist die Sehnsucht nach einer größeren Heimat, die nur Deutschland heißen kann …
Noch ordnet er sich jedoch der Lebensplanung seiner katholischen Familie unter: Am 29. Mai 1919, es ist der Christi-Himmelfahrts-Tag, empfängt Mony im Stephansdom das Sakrament der Firmung – in St. Germain-en-Laye wartet die österreichische Delegation an diesem Tag vergeblich auf die angekündigte Überreichung des Friedensvertrages. Eine weitere Demütigung durch die Entente-Mächte, die man nicht vergessen wird.

GEGEN EINE WELT VOLL TEUFEL UND JUDEN
Mony war kein Musterschüler“, wird später sein Vater über ihn sagen. Eine vornehme Formulierung für den Ärger, den seine schulischen Leistungen bereiten. Dabei ist Mony, daran besteht kein Zweifel, ein intelligenter, vielseitig begabter Junge; was fehlt, ist die nötige Einstellung zum Lernen. Er will nur eines: ausbrechen aus der engen Welt dieses katholisch-bürgerlichen Haushalts. Die Eltern fühlen sich jedenfalls überfordert und wählen eine Lösung, die als letzter Ausweg für Wiener Familien dieser Zeit nicht unpopulär ist: Sie schicken ihn nach fünf Klassen Volksschule aufs Land – ins Konvikt nach Waidhofen an der Thaya. Hier, in der stillen Waldviertler Kleinstadt, abseits aller Verführungen durch das „Sündenbabel“ Wien, soll er die Oberrealschule besuchen und mit der Matura den Grundstein für ein erfolgreiches Berufsleben legen. Das Waidhofener Konvikt ist bekannt als refugium peccatorum, den Widerspruchsgeist Monys vermögen jedoch auch die strengen Erzieher des Heims nicht zu brechen; ja, vielmehr scheint hier sein Charakter weitere negative Prägungen erfahren zu haben – so könnte sein Hang zu seltsamen sadistischen Scherzen aus den Erfahrungen dieser Zeit resultieren. Die großen Hoffnungen der Eltern erfüllen sich nicht: In der 6. Klasse ist für ihn Schluss mit der „Quälerei“, es helfen keine Drohungen und keine Versprechungen mehr; die Matura bleibt ein unerfüllter Wunschtraum. Was bleibt, ist eine ebenso unspektakuläre wie vernünftige Entscheidung: Bertha und Amon Franz Göth holen ihren Sohn in die Firma, er soll Verlagsbuchhändler lernen und so zumindest für das familieneigene Geschäft gerüstet sein. Der Zeitpunkt ist günstig, denn am 1. Juli 1925 kann Amon Franz Göth seine Konzession betreffend den Buch-, Kunst- und Musikalienhandel auf den „Verlag und Vertrieb unter Ausschluss des offenen Ladengeschäftes“ ausdehnen.
Da, bevor Mony noch nach Wien zurückkehren muss, nimmt ihn ein Freund mit zu einer Veranstaltung der jungen Hakenkreuzler, die seit kurzem im Waldviertel ihr Unwesen treiben. Und es eröffnet sich ihm eine andere Welt, eine Welt des Hasses und des Kampfes, in der der Feind einen Namen hat: die Judenseuche. 1925 tritt der 17-jährige Mony der Ortsgruppe der „Vereinigung der nationalsozialistischen deutschen Arbeiterjugend Deutsch-Österreichs“ in Waidhofen an der Thaya bei; die wahnwitzigen, unablässig getrommelten Parolen dieser antisemitischen Fanatiker werden nun auch zu den seinen. Die Kameraden schätzen seine Körperkraft und seine sportlichen Fähigkeiten; einen „Kerl“ wie ihn können sie gut gebrauchen. Ja, und er möchte auch dabei sein, wenn man dereinst „Schulter an Schulter gegen die große Judenseuche“ kämpfen und Deutschland von ihr befreien wird, ja, auch er ist nun einer von jenen, die berufen sind, „unser Volk und den deutschen Arbeitsmenschen aus Knechtschaft zur Freiheit“ zu führen. Mony setzt mit dem Beitritt ein Zeichen; er hat erkannt, was er sein möchte: ein Kämpfer und Soldat gegen eine „Welt voll Teufel und Juden“. Und er bekennt sich zu den Grundsätzen seiner neuen Genossen: „Deutsch bis ins Mark, Sozialist bis zur glühenden Leidenschaft und Judengegner zum Heile deines Volkes, so sollst du’s halten dein Leben lang!“ – eine Losung, der Mony bis zu seinem Tod treu sein wird.
Mit der vorzeitigen Entlassung Hitlers aus der Festungshaft in Landsberg am 20. Dezember 1924 bekommen auch seine Anhänger in Österreich neuen Auftrieb. Nun, da der „Meister und Führer“ das Banner wieder ergriffen hat, reißen sein „Schaffenswille und Kampfesmut“, sein „hoher Seelenschwung“ und seine „Vaterlandsliebe“ mit fort zur Arbeit für das große Ziel, den „Sieg über Judentum und Marxismus“. Schritt für Schritt rückt sich auch Mony, der von diesem entschlossenen „Willen zur Tat“ beeindruckt ist, sein Weltbild endgültig zurecht; er akzeptiert die Rassenlehre der Völkischen als Richtschnur seines Handelns und stimmt in der Diagnose des politischen Ist-Zustandes seinen neuen Freunden bei den Hakenkreuzlern zu, wenn etwa Adolf Bauer, der Schriftleiter des „Kampfblatts“ Der jugendliche Nationalsozialist , das einige Zeit hindurch bei August Buschek in Waidhofen an der Thaya gedruckt wird, schreibt: „Wirtschaftlich versklavt, unser Blut geschändet, alles was deutsch ist von jüdischem Geifer besudelt, in Klassen gespalten und die Jugend im jüdischen Sinne irregeleitet, so rennt unser Volk dem Abgrund entgegen.“
Dennoch verlässt Göth 1927, er wird neunzehn, die Jungnazis und tritt der 5. Kompanie des „Steirischen Heimatschutz Verbandes Wien“ bei; vermutlich glaubt er hier für sein Anliegen einen stärkeren Rückhalt zu finden als bei den sektiererischen Hitleranhängern, die zu diesem Zeitpunkt kaum wirklich ernst genommen werden und nur über die Macht des Wortes verfügen – bei der Nationalratswahl Anfang 1927 erhalten sie kaum 30.000 Stimmen. Da können die Heimwehrfaschisten, deren Erkennungszeichen der Hahnenschwanz ist, schon anderes bieten: Hervorgegangen aus den steirischen Wehrverbänden des Nachkriegs, die sich der Bedrohung durch Jugoslawien entgegenstellten, haben sich die „Heimatschützer“ noch aus den Arsenalen der k. u. k. Armee mit Waffen versehen und Anton Rintelen, der steirische Landeshauptmann, sorgt geschickt dafür, dass der Nachschub nicht abreißt. Es sind bestens ausgerüstete paramilitärische Verbände, die Sonntag für Sonntag in den österreichischen Städten provokativ ihre Stärke demonstrieren; Mony lernt hier erstmals den Zauber von Uniformen und Waffen kennen, erliegt der Faszination des Männerbündischen, Soldatischen, das ihn von nun an nie mehr ganz loslassen wird.
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