Blutiger Terror: Ein deutscher Wachmann hetzt seine beiden Hunde auf einen jüdischen Zwangsarbeiter.
Erster Kommandant auf dem Baugelände ist der SS-Unterscharführer Horst Pilarzik, ein, wie Mietek Pemper ihn später charakterisieren sollte, „ziemlich primitiver Mensch“ mit Magenproblemen, der gerne trinkt und in alkoholisiertem Zustand völlig unberechenbar ist: Am 28. Oktober, dem Tag der letzten „Aussiedlungsaktion“ im Ghetto, erschießt er seine „ersten“ Juden.
Inzwischen bereitet man Schritt für Schritt die „Liquidierung“ des Ghettos vor. Am 14. Dezember ergeht ein Schreiben von Julian Scherner an die Rüstungsinspektion sowie an alle Heeresdienststellen und Privatfirmen mit „wehrwirtschaftlichen Aufträgen“, die jüdische Arbeitskräfte beschäftigen. Diese, so Scherner ohne Umschweife, müssten in Zukunft im „geschlossenen Judenarbeitslager“ Płaszów untergebracht werden. Bis zur Fertigstellung des Lagers verblieben „die Juden in einem besonders umzäunten und gesicherten Teil des bisherigen Krakauer Ghettos (Arbeitsghetto)“. Von hier seien die Arbeiter wie bisher von den Arbeitgebern zur Arbeit abzuholen, zur und von der Arbeitsstätte zu begleiten und wieder „abzuliefern.“ Jeder Arbeitgeber erhalte vom Kommandeur der Sicherheitspolizei „blaue Judenausweise“, die er mit den Personalangaben des betreffenden Juden und dessen Arbeitsverwendung zu versehen habe. Kennbuchstaben und Ordnungszahl dieses blauen Ausweises müssten mit dem Kennbuchstaben und der Zahl auf dem Abzeichen übereinstimmen, dass die jüdischen Arbeitskräfte von nun an auf der linken Brustseite angenäht tragen müssten.
Die Teilung in ein „Arbeitsghetto“ oder Ghetto A für ca. 4.000 arbeitsfähige Personen und in ein Ghetto B für etwa 3.000 arbeitsunfähige Menschen, Kinder und alte Leute, hat man bereits am 6. Dezember 1942 vollzogen. Die „Grenze“ zwischen den beiden Teilen verläuft vom zentralen Zgody-Platz durch die Targowastraße zur Józefińskastraße, wobei auch hier das zynische Nützlichkeitskalkül der Nazis offensichtlich wird: Die arbeitsunfähigen Juden müssen auf 2,6 Hektar Platz finden, für die arbeitsfähigen stehen immerhin 7,1 Hektar zur Verfügung.
Auf jüdischen Gräbern entsteht an der Jerozolimskastraße eine Barackenwelt für lebende Leichen.
Das „Land, in dem der Tod haust“: 5 Distrikte wurden zum „Generalgouvernement“ zusammengeschlossen.
SS-Unterscharführer Pilarzik wird im Dezember 1942 von Scherner seines Amtes enthoben, Planung und Oberleitung der Bauarbeiten vertraut der SS-Polizeiführer Krakau nun dem SS-Hauptscharführer Franz-Joseph Müller an, der seit Juni 1942 bereits die drei bestehenden kleinen „Judenarbeitslager“ ( Julags ) in Płaszów, Prokocim und Bieżanów leitet. Müller, 1910 in Mosbach, Baden-Württemberg, geboren und von Beruf Buchbinder und Bildereinrahmer, „nur mittelmäßig intelligent“, ist seit Dezember im Stab Scherners tätig und hat an den „Aussiedlungen“ des Jahres 1942 mitgewirkt – an diese neue, komplexe Aufgabe geht er nun mit großem Ehrgeiz heran. In seinem nach dem Krieg in der Haft verfassten „Tatsachenbericht“ Brücke zur Freiheit schreibt er dazu: „Von Scherner hatte ich den Auftrag ein Barackenlager als Ersatzghetto zu bauen und zwar auf der Höhe hinter dem jüdischen Friedhof. Ich machte mir ein Baubüro auf, nahm einen jüdischen Architekten, entwarf einen Plan, in dem ich an alles dachte. Baracken mit Waschräumen für Familien, eine Schule und Kinderschule [sic] und so weiter. Der Architekt arbeitete den Plan aus und ich legte ihn dem SS- und Polizeiführer vor. Wie hatte der Mann getobt und mich alles Mögliche geheißen: Was fällt ihnen ein, Kinder-Garten, Schule, Waschräume für Familien? Glauben Sie vielleicht, wir wollen Juden großziehen? und so weiter. Er riss meinen Plan auseinander und sagte: Nur ein Barackenlager für die Juden, die wir noch brauchen, alles andere wird vernichtet! Ja, Sie tragen SS-Uniform und bemitleiden noch dieses Parasitenvolk?“
Müller erhält eine letzte Frist: In sechs Wochen muss das neue Lager fertig sein, damit das Ghetto geräumt werden kann. Scherner, der sich mit seinem Schreiben an die Rüstungsinspektion selbst unter Druck gesetzt hat, macht Müller bald neue Vorwürfe: Die Bauarbeiten gingen zu langsam voran, da er zu wenig Arbeitskräfte einsetze. Es müssten ab sofort mindestens 1.000 Juden auf der Baustelle arbeiten. Müller lässt daraufhin die OD-Männer Poldek Goldberg und Tomek Katz kommen und ordnet an, dass sie von nun an 1.000 Arbeitskräfte zu stellen hätten. Sollte die Kontrolle durch Scherner allerdings vorbei sein, könnten sie es wieder gemächlicher angehen. Ab morgen müssten sie jedoch „auf Draht“ sein.
Abtransport zur Zwangsarbeit: Ein Tritt für den letzten Juden, der auf die Ladefläche eines LKW klettert
Prompt ist am nächsten Tag um 8 Uhr 30 Zählappell; Scherners Stabsführer SS-Obersturmbannführer Haase ist zur Kontrolle auf die Baustelle gekommen. In der Brücke zur Freiheit erzählt Müller: „Ich meldete ihm 1.000 Juden bei der Arbeit. Das haben mir die OD-Leute auch schon gemeldet, aber ich glaube es nicht. Alles antreten lassen! Die Juden standen da, aber keine 1.000. Da, schrie er mich an, was, das sollen 1.000 Menschen sein? Sie sind beschissen worden, legen Sie die beiden Kerle um! Ich musste die beiden Männer erschießen. Im Ganzen hatten sie nur 290 Arbeitskräfte und das nur zum größten Teil Frauen und Kinder. Ich war verärgert. Laufe mir die Beine aus, dass alles klappte, und die beiden waren nicht in der Lage für 1 oder 2 Tage zu sorgen, dass die Herren befriedigt sind.“
Einige Tage nach der Erschießung von Goldberg und Katz kommt Scherner persönlich zur Inspektion auf die Baustelle nach Płaszów. Er bringt neue Ideen für seinen Lagerleiter mit: Zwischen den Baracken müsste Stacheldraht gezogen werden, Männer und Frauen seien streng zu trennen, vor allem aber müssten die „Polenhäuser“ am Rand des Geländes beschlagnahmt und die Bewohner „rausgeschmissen“ werden.
„Oberführer, das kann ich nicht“, lehnt Franz-Joseph Müller das Ansinnen seines Chefs ab.
Scherner beginnt zu toben: „Was, das können Sie nicht und sind SS-Mann? Ich werde Ihnen einen Mann aus Bautzen vorsetzen! Verschwinden Sie und lassen Sie sich mit ihren Juden aufhängen!“
In seinem merkwürdigen „Tatsachenbericht“ notiert Müller später: „Als ich in meinem Zimmer war, konnte ich mich nicht mehr halten. Zum ersten Mal musste ich als Soldat weinen.“

Das Wort Julian Scherners vom „Mann aus Bautzen“ war keine leere Drohung. Eines Tages, es ist der 11. Februar 1943, ist er da: Amon Leopold Göth. Woher kommt er an diesem Tag wirklich? Wohl nicht aus der Spreestadt Bautzen in der Oberlausitz, sondern aus dem Zwangsarbeitslager Budzyń in der Nähe von Lublin. Müller dürfte hier einem Hörfehler erlegen sein.
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