Auf der Veranda stand Beau in seinem Gottesdienstoutfit und sah ihn finster an.
„Wo warst du denn? Wir haben in der Kirche auf dich gewartet“, sagte er vorwurfsvoll.
Zac drehte sich wortlos um und ging wieder zurück ins Haus. Für so ein Gespräch war es wirklich noch zu früh. „Ich bin spät ins Bett gekommen und habe nicht viel geschlafen“, antwortete er deshalb nur und ging in Richtung seiner Wohnung im Obergeschoss, um sich dort einen Kaffee zu kochen, den er jetzt dringend brauchte. Beau kam hinterher und sagte: „Ich habe dir den ganzen Morgen SMS geschrieben.“
„Gab es denn etwas Wichtiges?“, erkundigte sich Zac.
„Willst du mich auf den Arm nehmen? Du haust gestern Abend ohne eine Erklärung einfach ab, überlässt mir dein Lokal und tauchst dann heute Morgen nicht im Gottesdienst auf, was soll ich denn da bitte schön denken?“
Zac betrat sein Wohnzimmer, ließ die Wohnungstür offen und ging wie ein Zombie direkt zur Kaffeemaschine. „Gab es denn irgendwelche Probleme?“, fragte er.
„Nee, keine – was ist los, Zac? Du siehst richtig scheiße aus.“
„Kannst du mich nicht wenigstens erst mal einen Schluck Kaffee trinken lassen? Meine Güte!“ Er füllte Wasser in die Kaffeemaschine, Kaffeepulver in den Filter und schaltete dann das Gerät ein. Dabei hörte er die ganze Zeit, wie sein Bruder im Wohnzimmer hin und her tigerte. Das war Beau im Großen-Bruder-Modus.
Zac nahm einen Becher aus dem Schrank und drehte sich zu seinem Bruder um. Der schaute aus dem Fenster, von dem aus man den ganzen Hafen überblicken konnte. „Möchtest du auch Kaffee?“, fragte er Beau.
„Nein, danke.“
Der Gedanke an die Informationen, die er gleich zusammentragen musste, und an Lucy, die unten im Gästezimmer lag und schlief, bereitete ihm Kopfschmerzen. Mittlerweile war es fast halb eins. Wenn Beau wieder weg war, würde er nach ihr schauen und dann anfangen zu googeln.
Es würde sicher nicht lange dauern, die Informationen über ihre Hochzeit zu bekommen und ihren Verlobten ausfindig zu machen. Ungeduldig schaute er zu, wie der fertige Kaffee tröpfchenweise durch den Filter lief. Komm, mach schon!
Mit etwas Glück würde er die nötigen Informationen sicher rasch bekommen, und dann wäre Lucy schon vor Ende des Tages wieder in Portland. Wenn schließlich noch ihr Gedächtnis zurückkäme, gäbe es für alle ein Happy End.
Seine Gedanken gingen jetzt zu dem Mann, den Lucy hatte heiraten wollen. Der arme Kerl. Er hatte ja keine Ahnung, in was er da hineingeraten war und was auf ihn zukam.
Aber noch während er das dachte, erschien auch das Bild von der süßen Lucy in seinem Kopf, von der Lucy, die ihn und sein Leben auf so großartige Weise auf den Kopf gestellt hatte. Sie war alles gewesen, was er sich je von einer Frau erträumt hatte
Und dann hat sie dich einfach sitzenlassen.
Glücklicherweise begann in dem Moment die Kaffeemaschine zu gurgeln – das Zeichen, dass die Droge seiner Wahl fast fertig war. Er goss sich den Becher voll, trank einen Schluck und ging dann zurück ins Wohnzimmer. Vielleicht konnte er Beau ja mit irgendeiner Ausrede dazu bewegen, wieder zu gehen.
Doch als er in der Tür zum Wohnzimmer ankam, erstarrte er, weil genau in dem Moment Lucy in der Wohnungstür auftauchte. Ihr dunkles Haar war zerzaust, das lockere T-Shirt ging ihr nur bis zur Mitte des Oberschenkels, und sie sah unglaublich sexy aus. Sie warf Zac einen zaghaften Blick zu und bemerkte erst da, dass Beau zu Besuch war.
Sie erschrak und brachte gerade noch ein „Hallo, Beau …“ heraus.
Der drehte sich um, bekam ganz große Augen und stammelte: „Nein … nein, das ist doch nicht wahr, oder?“ Dann ging sein Blick zurück zu Zac und durchbohrte ihn förmlich.
So ein Mist! Konnte man denn nicht einmal in Ruhe einen Becher Kaffee trinken?
„Du hast hier oben nichts zu suchen“, sagte Zac zu Lucy, und seine Stimme klang barscher als beabsichtigt.
Es war, als ob Lucy in sich zusammenfiel. Sie verschränkte die Arme vor dem Körper und begann: „Ich kann …“
„Ich bin gleich unten“, unterbrach er sie. Wahrscheinlich hätte er ihr einen Becher Kaffee anbieten sollen, aber er wollte sie nur möglichst schnell wieder aus seiner Wohnung haben.
Ihr Blick ging zwischen Beau und Zac hin und her, und dann sagte sie: „O – okay“, und verließ den Raum.
Zac schloss die Tür hinter ihr, trank noch einen großen Schluck Kaffee und merkte gar nicht, dass er sich heftig den Mund verbrannte. Er spürte Beaus Blick auf sich, als er sich in seinen Lehnstuhl setzte und versuchte, nicht daran zu denken, dass seine Ex-Verlobte, die immer noch in ihn verliebt war, nur mit einem T-Shirt bekleidet unten in seinem Gästezimmer saß.
„Was war das denn???“, fragte ihn sein Bruder völlig entgeistert.
Zac blickte auf, vermied es aber, seinen Bruder direkt anzusehen. Trotzdem sah er aus dem Augenwinkel, wie Beau mit fassungslosem Blick ungläubig den Hals reckte.
„Es ist nicht so, wie es aussieht“, sagte Zac deshalb.
„Wie ist es denn dann?“
„Sie hatte einen Unfall, bei dem sie sich verletzt hat, und ich habe ihr geholfen. Das ist alles. Ich bringe sie noch heute wieder nach Hause …“
„Du hilfst ihr?“, fragte Beau – immer noch mit ungläubigem Staunen in der Stimme.
„… wenn alles läuft wie geplant, ist sie heute Abend wieder zu Hause.“
„Sie hat dich verlassen, Zac!“
„Sie hat eine Gehirnerschütterung und eine Amnesie. Was sollte ich denn da deiner Meinung nach tun?“
„Darum ging es bei dem Anruf also? Nach allem, was sie dir angetan hat, ruft sie einfach so aus heiterem Himmel an, und du springst sofort wieder …“
„Jetzt geht das wieder los“, sagte Zac genervt.
„… um sie zu retten?“
„Sie kann sich an nichts erinnern – oder ist dir dieses kleine Detail gerade eben entgangen?“, fragte Zac seinen Bruder ziemlich verärgert.
Beau steckte seine Hände tief in die Taschen seiner Cargohose und entgegnete: „Es wäre mir völlig egal – und wenn sie Malaria hätte. Das ist doch nicht dein Problem. Sie hat jedes Recht verwirkt, dich um Hilfe zu bitten, als sie dich so kurz vor der Hochzeit einfach sitzenließ und es dir überlassen hat, alles abzusagen – nur falls du das schon vergessen hast.“
„Ich habe gar nichts vergessen! Wenn jemand etwas vergessen hat, dann sie“, erklärte Zac. „Sie kann sich nicht einmal mehr daran erinnern, dass sie aus Summer Harbor weggegangen ist. Sie ist irgendwo auf dem Fliesenboden einer Damentoilette mit einer Beule am Kopf aufgewacht, und die letzten sieben Monate sind einfach weg.“
Beau sah ihn intensiv an, so als ob er versuchte, das alles irgendwie zusammenzubekommen.
Viel Glück – dachte Zac. Er selbst war dabei noch nicht einmal bis zum Brautkleid gekommen.
Beau ging jetzt zum Sofa und ließ sich gegenüber von Zac hineinfallen, stützte die Ellbogen auf die Knie und kniff wissend die Augen zusammen.
„Sie spielt doch irgendein Spiel mit dir, Zac“, meinte er schließlich.
„Das habe ich auch erst gedacht, glaub mir. Aber ich bin mit ihr im Krankenhaus gewesen, und sie hat wirklich eine schwere Gehirnerschütterung.“
„Woher weißt du denn sicher, dass sie den Gedächtnisverlust nicht nur vortäuscht?“, fragte Beau misstrauisch. „Ich weiß es einfach“, antwortete Zac.
„Komm schon, Zac, sei doch nicht so gutgläubig.“
Das tat jetzt richtig weh. Wütend starrte er Beau an und sagte dann: „Ich bin verdammt noch mal kein bisschen gutgläubig. Was willst du eigentlich? Den Arztbericht? Ich war doch selbst dabei, als der Arzt ihr die Amnesie bescheinigt hat.“
„Weil sie gesagt hat, dass sie sich an nichts erinnert? Komm schon, Zac. Du weißt, dass du eine Schwäche für sie hast. Nach all dem, was sie hier schon abgezogen hat, würde ich ihr so etwas auf jeden Fall zutrauen.“
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