»Ich gebe dir einen guten Rat, Junge. Tu was man dir sagt und vergiss, dass er dein Onkel ist. Du bist doch nicht dumm, Kleiner, und du bist auch keiner von diesen aufsässigen Rebellen, die meinen, sie könnten etwas mit ihrer Halsstarrigkeit erreichen. Dieses Center haben schon Sergia verlassen, denen die Haut in Fetzen herunter hing. Und es hat ihnen nichts gebracht – auch sie haben schließlich aufgegeben.«
Luke blickte den Supervisor stumm an. Er fühlte sich elend.
Er hatte an einem einzigen Tag nicht nur seinen Vater, sondern auch noch seinen geliebten Onkel verloren.
»Füge dich in dein Schicksal, erweise ihm und den Supervisoren den gebührenden Respekt, und dein Leben wird gar nicht mal so schrecklich sein«, unterbrach Jones Lukes trübe Gedanken.
»Aber warum tut er das … Sir?«, fragte Luke vorsichtig.
»Warum?«, wiederholte Jones fast belustigt. »Das liegt doch auf der Hand. Er ist ein Master. Du bist ein Sergia.«
»Aber …«
»Kein Aber, Junge. So funktioniert dieses System nun mal.
Mr. Dumare ist der Inhaber eines riesigen Geschäftsimperiums. Barmherzigkeit ist da nicht vorgesehen.«
Er machte eine kurze Pause.
»Er hat dich geliebt, Luke. Bringe ihn nicht dazu, dass er dich hasst.«
»Aber er hasst mich«, entgegnete Luke verzweifelt.
»Nein, das glaube ich nicht. Ich denke er weiß noch nicht, was er empfinden soll.«
Jones betrachtete Luke noch einen kurzen Moment, dann drehte er sich um und ging erneut zur Tür.
»Danke, Sir«, sagte Luke leise.
Jones antwortete nicht. Er öffnete die Tür, und verließ den Raum. Bevor er sie hinter sich schloss, drehte er sich noch einmal kurz um.
»Morgen werden wir sehen, ob du die Lektion verstanden hast, Sergia«, sagte er barsch.
Dann fiel die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss und Luke war mit seinem Kummer wieder alleine.
Luke schlief in dieser Nacht sehr schlecht. Zu viele Dinge gingen ihm durch den Kopf, zu viel war in den letzten Stunden geschehen. Er dachte an seinen Vater, der nun alleine in ihrem kleinen Häuschen saß und sich sicherlich große Sorgen um ihn machte. Er dachte daran, dass er ihn vielleicht niemals wiedersehen würde und bei diesem Gedanken wurde ihm noch schwerer ums Herz.
Und nicht zuletzt dachte er daran, wie wohl sein weiteres Schicksal aussehen würde. Ihm graute bereits vor dem nächsten Tag, an dem die nächsten Demütigungen und Schläge auf ihn warteten. War das nun sein Leben? Erniedrigung und Gewalt?
Trotz der vielen Sorgen, der Zukunftsangst und des Kummers musste Luke wohl doch eingeschlafen sein, denn als er erwachte, war es in seiner Zelle bereits taghell. Luke erhob sich und stellte erleichtert fest, dass ein Großteil seiner Schmerzen abgeklungen waren. Nur die Wunden auf seinem Rücken spannten unangenehm.
Gerne hätte er sich die Zähne geputzt, denn er hatte ein unangenehmes, pelziges Gefühl im Mund. Aber es gab in seiner Zelle nicht einmal ein Waschbecken, geschweige denn irgendwelche Hygiene-Artikel.
Er setzte sich auf den Rand seiner Pritsche und wartete.
Wartete, dass irgendetwas passierte. Mehr konnte er nicht tun.
Dabei versuchte er an nichts zu denken, doch die Angst, die ihn schon die ganze Nacht begleitet hatte, ließ sich nicht so einfach abschütteln.
Luke hatte noch nicht lange so dagesessen, als seine Zellentür sich öffnete und ein Wachmann ihm ein Tablett entgegen hielt. Luke erhob sich und nahm das Tablett in Empfang.
»Na?«, sagte der Wachmann fordernd.
»Danke, Sir«, sagte Luke mit trockener Stimme.
Erst jetzt, als er sprach, merkte er, wie ausgetrocknet sein Hals war. Seit gestern Mittag hatte er nichts mehr getrunken und seine Kehle brannte vor Durst. Luke betrachtete den Inhalt des Tabletts und rümpfte angewidert die Nase. Neben dem Becher mit Wasser stand eine Schale mit einer undefinierbaren, schleimigen Masse.
»Wenn du schlau bist, isst du das auf«, brummte der Wachmann, dem Lukes Reaktion nicht entgangen war. »Du wärst nicht der Erste, dem wir das Zeug in den Rachen stopfen.«
Bei diesen Worten grinste er, als könne er dies gar nicht erwarten. Erneut stieg Panik in Luke auf, denn er zweifelte nicht daran, dass der Mann es ernst meinte.
»Ja, Sir«, antwortete er schnell, um dem Wachmann keinen Grund zu geben, sein Versprechen wahr zu machen.
Dann ging er zurück zu seiner Pritsche und stellte das Tablett ab. Der Wachmann schlug die Tür hinter sich zu und Luke war wieder alleine.
Gierig leerte er den Becher, dann musterte er die Schale mit ihrem undefinierbaren Inhalt. Sein Magen knurrte, trotzdem kostete es ihn einiges an Überwindung, den Zeigefinger in die Schüssel zu stecken, um etwas von der Masse zu probieren.
Der Brei fühlte sich tatsächlich noch schleimiger an, als er aussah. Luke unterdrückte ein Würgen. Langsam führte er seinen Finger zum Mund und probierte etwas davon. Angeekelt verzog er das Gesicht und spuckte den Brei sofort wieder aus. Wie konnte man so etwas nur Essen nennen.
Kurzerhand ging er mit der Schale zur Toilette und ließ den Inhalt mit einem ekelerregenden ‚ gulp ‘ ins Wasser gleiten.
Dann setzte er sich wieder auf seine Pritsche und wartete.
Dabei versuchte er, seinen knurrenden Magen zu ignorieren.
Es musste wohl später Vormittag sein, Luke wusste es nicht genau, da er keine Uhr hatte, als die beiden Wachleute von gestern seine Zelle öffneten.
»Mitkommen«, blaffte einer der Beiden ihn an.
Gehorsam erhob Luke sich und ging mit den beiden Männern nach draußen auf den kahlen Hof. Dort wartete bereits Jones, der ihn mit versteinerter Miene fixierte. Neben ihm stand sein Onkel. Luke verspürte einen schmerzhaften Stich, als er das Gesicht seines Onkels sah. Seine Augen betrachteten Luke, als wäre er ein Fremder, und Lukes letzte Hoffnung starb, dass Onkel Charly seine Meinung vielleicht geändert hatte.
Auf dem Weg zu ihnen atmete Luke tief durch. Er würde gehorsam sein. Seinen Willen hatten sie deswegen noch lange nicht gebrochen, aber ihm war klar, dass seine neuen Herren mit ihren Peitschen, Knüppeln und Elektroschocks Argumente hatten, denen man sich fügen musste. Vielleicht würde er diesen Tag dann ohne weitere Schmerzen überstehen.
Ein paar Meter bevor sie die beiden Wartenden erreicht hatten, zog einer der Wachen seinen Schlagstock aus dem Gürtel und hielt ihn ausgestreckt vor Lukes Brust, als Zeichen, stehen zu bleiben. Luke gehorchte.
Einen Moment stand er reglos da. Er wusste, was jetzt von ihm erwartet wurde. Es kostete ihn unglaubliche Überwindung, doch dann senkte er den Kopf und sank vor den beiden Männern auf die Knie. Seine Hände waren schweißnass. Er spürte den bohrenden Blick der beiden Männer und musste sich zwingen, nicht nach oben zu blicken.
Charles hob überrascht eine Augenbraue. Diese schnelle Unterwerfung hatte er nicht erwartet.
»Mr. Jones.«
»Ja, Sir?«
»Haben Sie ihm gestern Abend ohne mein Wissen noch eine zweite Lektion erteilt?«, fragte er.
»Eine Lektion, Sir? Nein, ganz sicher nicht. Sie hatten schließlich ausdrücklich angeordnet, dass Sie dabei sein wollten.«
»So ist es.«
»Luke 74«, sagte Charles nun an seinen Neffen gewandt.
Luke zuckte bei dieser Anrede zusammen, blieb aber in seiner knienden Position, den Kopf weiterhin demütig gesenkt, so wie man es ihm beigebracht hatte.
»Wie ich sehe, hast du dich dazu entschlossen gehorsam zu sein.«
»Ja, Master«, antwortete Luke.
Seine Stimme zitterte.
»Gute Arbeit, Mr. Jones«, sagte Charles nun wieder an seinen Supervisor gewandt. Luke beachtete er nicht mehr. »Sie haben ein außerordentliches Geschick mit den Sergia umzugehen«, fuhr Charles fort.
»Danke, Sir.«
»Aus diesem Grund würde ich mich freuen, wenn ich Ihre Dienste zukünftig auf meinem Anwesen in Anspruch nehmen könnte. Diese grobschlächtige Arbeit im Integrations-Center kann wahrlich auch ein weniger qualifizierter Supervisor übernehmen.«
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