Blutige Bürgerkriege gab es nach Kriegsende in Polen (hier siegten die Kommunisten), in der Ukraine und in den baltischen Staaten, als nationalistischen Gruppierungen wie auch Kollaborateure, die den deutschen Eroberern auch als Mordgehilfen zur Seite gestanden hatten, einen Partisanenkrieg gegen die Rote Armee führten, bis sie vernichtet worden waren.
Zum zweiten deshalb, weil Frankreich bis 1962 zwei blutige Kolonialkriege führte: Bis 1954 in Indochina, bis zum Fall der letzten französischen Festung von Dien Bien Phu, und bis 1962 in Algerien, als Frankreich seine letzte große Kolonie in die Unabhängigkeit entlassen musste. Ein Krieg, der die französische Nation spaltete. Gegner dieses Krieges, nicht zuletzt Wissenschaftler und Künstler, wurden verfolgt, hunderte von Büchern, Filmen und publizistischen Arbeiten fielen der Zensur zu Opfer. Es waren zwei Kriege, die, formal gesehen, nicht in Europa ausgetragen wurden, aber trotzdem – alles andere wäre zynisch – die Legende von der 60jährigen Friedensperiode widerlegen.
Auch der Nordirlandkonflikt, der 1969 wieder aufflammte und erst 1998 beendet werden konnte, führte zu einem permanenten Kriegszustand. Von den so hoch gepriesenen 60 Jahren bleiben letztlich ganze sieben Jahre ohne militärische Konflikte. (Eigentlich nur sechs, weil 1968 die Armeen der Warschauer Vertragsstaaten in die ČSSR einmarschierten. Aber wenn man es formal betrachtet, geschah das außerhalb der EU.)
Zum dritten deshalb, weil die Mitgliedsstaaten der EU keine eigenen Verdienste an dieser Friedensperiode hatten. Dass Europa nach 1945 keinen neuen Krieg auf seinem Territorium erleben musste, lag ausschließlich daran, dass die beiden Großmächte USA und UdSSR im Zeichen des „Kalten Krieges“ und der „Nuklearen Abschreckung“ eine direkte Konfrontation nicht riskierten; dafür gab es einige der so genannten „Stellvertreter-Kriege“, wie in Vietnam.
Dass Europa vom großen Krieg mit einem nuklearen Inferno verschont blieb – schließlich wären die Armeen aller NATO-Staaten und der „Warschauer Vertrags“-Staaten in diesen gezogen – verdankt der Kontinent auch zwei Offizieren, die viel riskierten, aber letztlich – glücklicher Zufall – als die richtigen Militärs in entscheidenden Momenten am richtigen Platz waren.
Zwei „Tauben“ unter den „Falken“
Dass es sich um zwei Offiziere der sowjetischen Armee handelt, mag einerseits dem Zufall geschuldet sein, kann aber andererseits in weitem Sinne damit in Verbindung gebracht werden, dass die USA um vieles häufiger direkte und indirekte Interventionskriege führte als die Sowjetunion.
Es gab also – auch solche Widersprüche gibt es – zwei Militärs, die den Friedensnobelpreis mehr verdient hätten, als mancher andere Preisträger.
Der eine, Wassili Archipow, war während der Kubakrise leitender Offizier auf einem mit Nuklearwaffen ausgerüsteten U-Boot, das vor Kuba im Einsatz war, als es von einem US-Kriegsschiff zum Auftauchen gezwungen wurde. Für diesen Fall galt der Befehl, die Atomraketen Richtung USA abzufeuern. Archipow gelang es, den Politoffizier Maslennikow auf seine Seite zu ziehen, während der Kommandant des U-Bootes glaubte, es sei schon Krieg, und feuern lassen wollte. Das wäre aber nur bei einem einstimmigen Beschluss möglich gewesen. Das U-Boot tauchte also auf, und die US-Marine verzichtete auf das Aufbringen des Bootes, sodass sie nicht feststellen musste, dass dieses mit Nuklearwaffen ausgerüstet war. *
Der zweite Offizier war der Oberstleutnant Stanislaw Petrow. In der Zeit der Präsidentschaft Reagans verschärften sich die Spannungen zwischen den beiden Großmächten immens. Das lag weniger an Reagans Definition vom „Reich des Bösen“, als vielmehr daran, dass Marine und Luftwaffe der USA sowohl im Nordmeer als auch vor Wladiwostok Manöver durchführten, mit denen die sowjetische Aufklärung „getestet“ werden sollte. In Moskau wuchs die Besorgnis, dass es sich um die Vorbereitung eines Angriffes der USA handeln könnte. Ausgerechnet in dieser angespannten Situation erschienen auf dem Satellitenbild zuerst eine, danach noch weitere US-Atom-Raketen, die sich auf die Sowjetunion zu bewegten. Petrow wusste, dass für eine derartige Lage der Befehl zum atomaren Gegenschlag galt. Was ihn zweifeln ließ, war die geringe Zahl der anfliegenden Atomraketen. Aus eigenem Entschluss und mit hohem Risiko meldete er der militärischen Führung einen Fehlalarm und blieb bei seiner Einschätzung. Der Gegenschlag, der das atomare Inferno ausgelöst hätte, wurde deshalb nicht eingeleitet. Am Morgen darauf erhielt Petrow dann die endgültige Bestätigung, dass ein Fehler des Überwachungssatelliten den falschen Alarm ausgelöst hatte. Angesichts der ohnehin äußerst kritischen Situation muss man davon ausgehen, dass – bei einer Meldung, dass US-Raketen im Anflug seien – der Befehl zum Gegenschlag unvermeidlich gegeben worden wäre.
Beide Männer nahmen ein hohes persönliches Risiko auf sich. Archipow hätte vor ein Militärgericht gestellt werden können und Petrow gab – im Unterschied zu vielen anderen – die Verantwortung nicht „nach oben“ weiter, sondern entschied in seiner kaum vorstellbaren Extremsituation aus eigener Verantwortung.
Nachrichten von Kriegsschauplätzen oder: Der Abschied von Clausewitz
Seit 1945 hat sich die Kriegsführung stetig und radikal verändert. Aus den Kriegen mit operativer Führung und relativ klaren Fronten, sind längst Kriege ohne Fronten geworden. Erstmals in dieser krassen Form im Indochina- und im Vietnamkrieg. Vietminh und Vietcong operierten unsichtbar, sie trugen oftmals keine Uniformen, schlugen zu und verschwanden im undurchdringlichen Regenwald.
In den zahllosen Bürgerkriegen kämpfen reguläre Armeen und paramilitärische Verbände, Milizen und Bürgerwehren, deren Kriegsführung nicht allein auf den Sieg über den militärischen Gegner ausgerichtet ist, sondern gleichermaßen auf die Vernichtung seiner Anhänger, also Stammesangehöriger oder religiöser Gemeinschaften. Diese Massaker unter der Zivilbevölkerung, an wehrlosen Frauen, Kindern, Männern, sind Teil der Kriegsführung geworden.
Gänzlich andere Kriegsschauplätze ohne Fronten sind seit Jahrzehnten die Städte, in denen Kommandos von Terroristen oder so genannte Selbstmordattentäter Bomben zünden, Gebäude erstürmen und wahllos Zivilisten töten…
Seit Jahren preisen Militärs und unbedarfte Politiker angeblich „intelligente“ Waffen, die mit tödlicher Sicherheit ihre Ziele träfen. So, als würden diese Waffen „saubere“ Kriege ermöglichen. In Wahrheit ist genau das Gegenteil zutreffend. Kam im I. Weltkrieg auf acht gefallene Soldaten ein getöteter Zivilist (im II: Weltkrieg kamen noch vier Soldaten auf einen toten Zivilisten) so ist das Verhältnis heute – im Zeichen „intelligenter“ Waffen – genau entgegengesetzt: auf einen gefallenen Soldaten kommen nunmehr acht getötete Zivilisten.
Einen weiteren tiefgreifenden Wandel erfuhren auch die Ziele von Kriegen. Die letzten großen Eroberungskriege führte Deutschland im II. Weltkrieg in Europa und Japan im Pazifik. Insbesondere der NS-Staat verband bereits seine Eroberungsfeldzüge mit einem Weltanschauungskrieg, der sich gegen die europäischen Juden und gegen die slawischen „Untermenschen“ richtete.
Auch wenn es in den Kriegen der zurückliegenden Jahrzehnte um Macht, Einflusssphären, Sicherung von Rohstoffquellen u. a. ging, so wurden sie primär als Weltanschauungskriege begründet und geführt, deren Ziel nicht die Besetzung fremder Territorien war. Der Einsatz von hochtechnologischen und immer teureren Waffensystemen ließ die Kosten solcher Kriege ins Unermessliche steigen. Gewinne machte naturgemäß vor allem die Rüstungsindustrie. Alle Versuche, in diesen Kriegen den jeweiligen Gegner vollständig zu unterwerfen, waren bislang zum Scheitern verurteilt.
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