Sobald sich die Badezimmertür geschlossen hatte, taumelte Josephine gegen die Wand. Die Dusche hatte sie aufgewärmt, aber diese unfassbare Situation setzte sie so unter Adrenalin, dass ihre Knie weich waren wie gekochte Nudeln.
Shadow schob sein Maul in ihre Hand. Er bettelte um Aufmerksamkeit und bekam sie auch. Mit gesprenkelten braunen Augen schaute er zu ihr auf, das eine Ohr aufgestellt, das andere geknickt. Noah hatte immer gescherzt, es sei kaputt, aber Josephine hielt dagegen, es sei einfach Teil seines Charmes.
„Gut jetzt, Mädchen“, murmelte sie sich selbst zu. „Reiß dich zusammen.“ Sie wandte sich der Speisekammer zu, schob Dosen beiseite, überflog die Etiketten, gab aber angesichts der wilden Mischung bald auf. Der Gefrierschrank spuckte immerhin etwas Hackfleisch und gefrorenen Brokkoli aus.
Sie taute das Fleisch auf, und als sie hörte, wie Noah im Nebenzimmer das Feuer schürte, brutzelten längst Frikadellen in der Pfanne. Ein bisschen Fett spritzte ihr aufs T-Shirt, als sie einen der Burger umdrehte, aber das war ihr so was von egal.
Als er sagte, er würde trockene Kleider für sie heraussuchen, hatte sie eins seiner T-Shirts und eine Jogginghose erwartet. Doch diese Klamotten schrien förmlich nach „Mary Beth Maynor“. Sie versuchte, nicht weiter über den Grund nachzudenken, warum Mary Beth Kleider in Noahs Zuhause aufbewahrte. Versuchte, alle Gerüchte aus ihrem Kopf zu verbannen. Aber sie krochen immer wieder aus den Schatten und verspotteten sie.
Das geht dich alles nichts an, Josephine. Er gehört dir nicht mehr. Egal, was es mit den Papieren auf sich hat.
Sie briet die Frikadellen fertig, packte sie mit einem großzügigen Klecks Senf zwischen zwei Scheiben Weißbrot und legte zwei davon auf Noahs Teller. Sie verteilte den dampfenden Brokkoli und platzierte die Teller auf dem Tisch der Essecke, die einst seiner Großmutter gehört hatte.
„Es ist fertig“, rief sie.
Noah betrat den Raum. Er roch sauber und trug frischgewaschene Jeans und T-Shirt.
Er setzte sich ihr gegenüber und senkte den Kopf, schloss sie aus seinem stillen Gebet aus. Vermutlich bat er Gott um eine Hitzewelle.
Früher hatte er an genau diesem Tisch immer ihre Hand gehalten und für sie beide gebetet. Nach dem Amen hatte er dann sanft ihre Hand gedrückt. Josephine hatte es nicht so mit dem Beten. Es hatte ihr nie viel gebracht. Aber aus ihrem abendlichen Ritual hatte sie Mut geschöpft. Aus seinem Glauben.
Jetzt sah sie seine Hände an, die zu Fäusten geballt neben dem Teller lagen. Seine starken, männlichen Hände hatte sie immer gemocht. Männerhände: rau, schwielig, aber zärtlich. Ein Hauch dunkler Haare zog sich über seinen Unterarm und führte zu ihrem Lieblingsteil seiner Anatomie – seinem Bizeps, geformt und gehärtet durch stundenlange körperliche Arbeit. Sein Beruf hatte sich verändert, nicht aber diese Arme.
Ihr Blick wanderte hinauf zu seinem arglosen Gesicht. Dunkle Augenbrauen schwangen sich über seinen geschlossenen Augen. Seine Wimpern waren feucht und hoben sich spitz von seiner olivfarbenen Haut ab, und dichte Stoppeln zogen sich über seinen Unterkiefer. Zwei-Tage-Bart, schätzte sie.
Damals hatte sie ihn manchmal an faulen Samstagvormittagen rasiert. Er konnte nie stillhalten oder seine Hände bei sich lassen. Oft lag er am Ende halb rasiert wieder mit ihr unter den kühlen Bettlaken, wo sich das Lachen in seinen Augen schnell genug in Lust verwandelt hatte.
Seine Augen öffneten sich und richteten sich auf ihre. Sie war wie ein Reh im Scheinwerferlicht gefangen. Sie fragte sich, ob er wohl ihre Gedanken lesen konnte, und lief rot an. Was die wechselseitige Chemie anging, hatten sie nie Probleme gehabt.
Sie senkte den Blick auf ihren Teller und hob ihren Burger mit zitternden Händen.
Sie musste aufhören, so zu denken. Da sah man doch gleich, was es mit ihr machte. Sie konnte nicht einmal in seiner Nähe sein, ohne ihn wiederhaben zu wollen. Sie hatte sich gesagt, diese Gefühle seien tot, aber offenbar hatten sie nur Winterschlaf gehalten. Und drohten bei der leisesten Hoffnung auf Wärme wieder ans Licht zu kommen.
„Immer noch ein Mann des Gebets, wie ich sehe.“ Sie freute sich, dass ihre Stimme stark und gleichgültig klang.
„Das hat mich durchgetragen.“ Er biss in seinen Burger, und Josephine schwieg.
Warum hatte sie das nur wieder gesagt? Sie wollte nicht über den Glauben reden. Das war eine der verwirrenden Facetten ihres Lebens. Die emotionale Bekehrung, als sie noch ein Kind war, die Abwesenheit Gottes, als sie ihn am meisten gebraucht hätte, ihr widersprüchliches Bedürfnis nach Vergebung und Buße. Sie konnte dem Ganzen keinen Sinn abgewinnen. Also hatte sie aufgehört, es zu versuchen.
Als sie frisch in die Stadt gezogen war, hatten ihre leisen Beichten bei Pastor Jack ihr kurzzeitig Trost geschenkt. Doch als ihr klar wurde, dass der lutherische Pfarrer ein guter Freund von Noah war, hatte sie aufgehört, sich mit ihm zu treffen. Soweit sie wusste, hatte er sowohl ihre Treffen als auch ihre Geheimnisse für sich behalten.
Sie aßen schweigend. Die Mahlzeit zog sich, bis Josephine kurz vorm Verrücktwerden war.
Zu guter Letzt stand Noah auf und trug seinen Teller zur Spüle. „Ich werde mal nach dem Wetter schauen.“ Er verschwand im Zimmer nebenan.
Josephine aß zu Ende und ließ sich dann beim Abwaschen Zeit. Als sie das Wohnzimmer betrat, entdeckte sie Noah, der auf seinen Laptop starrte. Das Leuchten des Monitors hob seine Gesichtszüge rau hervor.
Sie hielt an der Schwelle an, zögerte, das zu kleine Zimmer mit seinem knisternden Feuer und der vertrauten Couch zu betreten. Der Raum wirkte gemütlich im sanften Licht, mit dem steingefassten offenen Kamin und den Deckenbalken. Ein großer Flickenteppich lag auf dem Holzfußboden und lud die Gäste dazu ein, ihre Schuhe abzustreifen.
Noah, der stirnrunzelnd den Monitor betrachtete, schien ihre Ankunft nicht zu bemerken.
Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Was sagt denn die Wettervorhersage?“
Sein Blick huschte zu ihr, dann wieder zurück auf den Bildschirm. „Das gleiche Wetter wie jetzt, und das für die nächsten paar Stunden. Eigentlich hätte die Temperatur über dem Gefrierpunkt bleiben sollen, aber es ist zu erwarten, dass sie jetzt doch eine ganze Weile grenzwertig bleiben wird.“
„Mehr Graupel und Schneeregen.“
„Anscheinend.“
Sie verlagerte das Gewicht auf ihren Füßen. Es sah aus, als würde sie die Nacht über hierbleiben müssen. Seinem finsteren Blick nach war Noah noch unglücklicher darüber als sie.
Der kleine Gefallen, den sie sich da ausgedacht hatte – was für ein Schuss in den Ofen. „Ich schätze, da hast du mich bis morgen am Hals.“
Noahs Nasenlöcher weiteten sich, und seine Augen wurden schmaler, obwohl er sie weder ansah noch antwortete.
„Hast du ein Gästezimmer?“
„Nein.“
Sie war am Hauptschlafzimmer vorbeigekommen, wo ein Doppelbett fast den ganzen Raum ausfüllte. Aber ihr war auch die schmale Treppe am Ende des Flurs aufgefallen. „Was ist oben?“
„Das ist noch nicht fertig.“
Oh. Na ja, sie würde auf gar keinen Fall sein Bett benutzen. „Dann nehme ich die Couch.“
Im Kamin verrutschte ein Holzscheit. Funken stoben auf.
Eine Ader pulsierte in Noahs Stirn. „Du kannst das Bett haben.“
„Es macht mir nichts aus, auf dem Sofa zu schlafen.“
Er durchbohrte sie mit einem harten Blick.
Die Intensität ließ sie zurückweichen, aber sie fand noch ein bisschen Mumm in der Stimme. „Na gut.“
„Na gut.“
Ihr Blick flog zur Uhr auf dem Kaminsims. Es war zu früh, um ins Bett zu gehen. Viel zu früh, aber das war eben Pech. Hier, wo sie keinen Moment länger erwünscht war, würde sie auch keinen Moment länger bleiben.
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