„Panther erwartet dafür, dass Sie in Zukunft auf semi-private Versammlungen verzichten und sich voll und ganz den anspruchsvollen Unternehmenszielen widmen. Das Soll-Output für diesen Monat entnehmen Sie der aktuellen Rundmail. Jegliche Abweichungen werden unweigerlich sanktioniert. Guten Tag, meine verehrten Damen und Herren.“
Er verbeugte sich förmlich und dienerte so laut- und farblos davon, wie er gekommen war, eine fade Marionette seiner selbst.
„Hört, hört“, schwatzte es durcheinander wie ein aufgebrachter Hühnerhaufen. „Kinder, Kinder!“ Gesine klatschte in die großen, kräftigen Hände, zur Ordnung mahnend. „Besonnenheit!“
„Das hat doch einen Haken“, vermutete eine kleine, schmächtige Kollegin namens Katinka mit so piepsiger Stimme, dass sie mich an ein graues, unscheinbares Mäuschen erinnerte.
„Na, es wird gebührende Abzüge geben“, vermutete Gert, der warmherzige, lustige Chirurg, der heute ernst dreinschaute, musste er doch seine Zwillinge durch das teure Auslandstudium bringen, und das, obwohl seine Frau gerade ihren Job in einem Konkurrenzunternehmen verloren hatte. Die kleinen Grübchen auf seinen schwindenden Pausbacken waren Sorgenfalten gewichen.
„Ich schlage vor, wir warten zunächst das Monatsende mit den Abrechnungen ab.“ Gesine achtete sorgsam darauf, die Situation nicht voreilig zu bewerten.
„Dies ist zumindest ein Etappensieg“, bemühte ich mich, die Dinge positiv zu sehen.
Mutter, die erste Sekretärin, schneite herein. „Neptun braucht Unterstützung bei seinem jüngsten Projekt und ist schon sehr ungeduldig.“
Katinka eilte flink, leichtfüßig wie ein scheues Reh zu seiner Unterstützung, während wir in unsere Büros zurückkehrten.
SINTFLUT UND DIE ARCHE NOAH
Angie II, Adoptivtochter und Nachfolgerin der ersten Bundeskanzlerin, bemühte sich ebenso wie Gesine redlich, allerdings nicht im Tarifkampf, sondern um das Empowerment der Energiewende. Doch die Explosion der Grünstrompreise limitierte naturgemäß ihre Erfolge, sodass unwetterartige Niederschläge sich unaufhörlich überboten. Nicht mehr von Jahrhundertfluten war die Rede, sondern von Jahresfluten. Infolge der Klimaerwärmung schmolzen die Pole und Gletscher zusehend, selbst Iglus konnten nur aus Kunststoff oder mit Thermobarriere als Kühlaggregat konstruiert werden. Angie II, obgleich nicht Pfarrerstochter und auch nicht genetisch verwandt mit ihrer erfolgreichen Adoptivmutter, predigte durch Modelllernen ähnlich gleichförmig-distanziert, mütterlich-beruhigend und fürsorglich, böse Zungen nannten ihre Intonation „einschläfernd“, kontrastierend mit der Brisanz der katastrophalen Naturereignisse, die sich überschlugen. Auch sie strahlte Ruhe aus und formte, wie bereits der heilige Johannes um 1450, die Hände zur Raute, die Finger nach unten weisend.
Irgendwie mochte ich sie, sie war mir eine Art Vorbild, versprühte sie doch einen gewissen Ostcharme. Von Burn-out keine Spur. Bei aller Sparsamkeit, Nüchternheit und Prinzipientreue war sie durchaus lebensklug und effizient. Die Bürgerinnen und Bürger waren die marktkonforme Demokratie gewöhnt, auch hatte die geistige Flexibilität bei den steigenden Außentemperaturen sich tendenziell reziprok entwickelt, ebenso wie die Fertilität des empfindlicheren männlichen Geschlechtes, die zusätzlich durch die Kontamination der Gewässer mit ultrafeinen Plastikpartikeln minimiert wurde. Auch äußerlich, zumindest stilistisch, hatte Angie II sich ihrer Adoptivmutter angeglichen, trug ähnliche Blazer in changierenden Farbtönen, allerdings – aus Kostenbewusstsein und nicht, um die Bevölkerung zu foppen – als Wendejacken, was als opportunistische, pragmatische Verwandlungskünstlerin besonders gut ankam. Gelegentlich legte sie einen Zwischenstopp bei Karl Lagerfeld in Paris ein, um sich beraten zu lassen. Um ihre untere Gesichtspartie trotz schlankerer Silhouette straff zu bewahren und gleichzeitig die Gunst der jüngeren Generation zu gewinnen, trug sie seitlich der Mundwinkel jeweils ein dynamisches Piercing, das zur Korrektur von Faltenbildung schraubenförmig adjustiert werden konnte, abhängig davon, ob die situativen Erfordernisse mütterliche Wärme, kühle Arroganz oder schüchterne Zurückhaltung verlangten.
Obwohl bereits Sommeranfang, ergossen sich folglich auch dieses Jahr sintflutartige Niederschläge. Wer es sich leisten konnte, hatte sein Haus zu einem Pfahlbau umgerüstet, lebte bereits in einem Hausboot oder hatte rückgebaut. In den Mietshäusern mussten in den Überschwemmungsgebieten die unteren Etagen ausgebootet werden. Dies war wesentlich kostengünstiger, als die Ausbesserung der durch Hitzewellen porösen Deiche. Lediglich die Tierwelt war nahezu unprotegiert und den Naturgewalten ausgeliefert. Überraschenderweise verkraftete sie diese erstaunlich gut. Die Mücken vermehrten sich rasant und entwickelten sich zu besonders blutrünstigen, unangenehmen Plagegeistern. Einige Laufkäfer mutierten zu wendigen Flugbooten und auch Ameisen verknoteten erfindungsreich ihre flinken Beine zu Rettungsbooten, während sie mit den Armen unermüdlich ruderten. Koi-Karpfen tummelten sich auf Wiesen, Schwäne, Hechte und Welse erkundeten neue Reviere auf überfluteten Äckern.
Für die weniger flexible Tierpopulation hatte Panther eine besondere Werbekampagne ersonnen: Er hatte eine schwimmende Arche vor dem Konzern stationiert, in welcher gestrandete Tiere Asyl fanden, unter anderem herrchenlose Hunde jeglicher Rassen, vom Chihuahua bis zum Kampfhund, aber auch ein völlig verschrecktes Kälbchen, eine braunweiß gescheckte Katzenmutter namens Flöcki mit ihren possierlichen Jungen und freundlicherweise mein braunes, stattliches Rentnerpferd Antoinette mit dem sternförmigen Abzeichen, da das sie beherbergende Rittergut für Pferdesenioren weitreichend überflutet war. Mangels Veterinärmedizinern war die medizinische Versorgung der tierischen Gäste unsere Aufgabe. Dies dauerte natürlich empfindlich länger, und selbst für Bagatelleingriffe wie eine Venenpunktion mussten die Tiere von unserer Anästhesistin in Narkose versetzt werden, damit wir in Ruhe fündig wurden, unterschied sich doch die Anatomie von der menschlichen teilweise empfindlich.
Nun war Panther nicht durch die Flut der Ereignisse zu Menschlichkeit mutiert, sondern er erwartete von uns – ganz nebenbei – Tierversuche in Bezug auf die Verträglichkeit und Effektivität seines Lebenselixiers, was mich in erhebliche Gewissenskonflikte stürzte, waren diese doch bereits von Angie I bei Strafe untersagt worden. Natürlich waren aufgrund der geringen Tierpopulation keine Doppelblindstudien vom ersten Evidenzgrad möglich, sondern lediglich Einzelfallanalysen, die allenfalls Expertenmeinungen vom Evidenzgrad 4 spiegelten. Sollte ich den frisch gebackenen Mediator des Konzerns, der gerade seine diesbezügliche Weiterbildung abgeschlossen hatte, zu dieser Problematik befragen? Hier meldeten sich bei mir erhebliche Zweifel an, schließlich war er noch in der Probezeit und bisher lediglich dadurch aufgefallen, dass er sich zur näheren Orientierung beflissentlich und übereifrig selbst zu unwichtigen Details Notizen machte, vermutlich, um für seinen monatlichen Report an die Geschäftsführung überhaupt einen Inhalt und damit eine Daseinsberechtigung zu kreieren. Dies schloss ich alsbald aus. Ebenso gut hätte ich diesen Entscheidungskonflikt auch Panther direkt soufflieren können. Klüger erschien es mir, mich bei einer günstigen Gelegenheit während des Abwaschens mit der erfahrenen Kollegin Gesine zu beraten, zumal sie selbst an der Problematik als Besitzerin einer noch kürzlich aufgenommenen Yorkshire Terrierin mit dem spitzbübischen Namen Pfiffie emotional beteiligt war.
„Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird“, bemerkte sie zutreffend. „Wir haben auch Macht, denn Panther kann nicht alles kontrollieren und ist in gewissem Maße auf ein Vertrauensverhältnis angewiesen.“
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