Wenn von dem Brückenfenster aus der Anblick des Sturms würdevoll und überwältigend war, so sah es von dem Peildeck schlicht und ergreifend majestätisch und atemberaubend zugleich aus.
Ergriffen, fast in der tiefsten Demut, lauschte ich dort dem Konzert aus rauschenden Wassermassen, aus dem Stampfen des Schiffes gegen die anrollenden Wellen und aus den Hunderten von Violinen und Posaunen, die die Windböen durch die Aufbauten des Schiffes hindurch spielen ließen.
Aus dem manchmal ruhigen Lauf meiner Deutz-Bullen, die, sobald der Propeller aus dem Wasser kam, ihren Lauf, skandiert durch die trockenen Luftschläge der Abgasturbine, schlagartig von einem „Andante con Brio“ zu einen „Andante Furioso“ änderten, dort wurde mir auf einmal klar, dass kein Maler jemals in der Lage sein würde, solch ein Bild malen zu können.
Kein Schriftsteller, auch der begabteste nicht, so was in Worte aufs Papier zu bringen.
Kein Musiker, auch nicht der inspirierte, so eine Symphonie komponieren zu können.
So was muss man gesehen, gehört, erlebt und vor allem empfunden haben. Beschreiben mit Musiknoten, erklären mit Worten oder mit Farben, im Nachhinein jemanden nachempfinden lassen, was einer da sieht und empfindet, das kann man nicht, kein Mensch kann das.
So etwas beschreiben zu wollen, wäre nichts anderes als reiner, purer, dämlicher menschlicher Hochmut, nicht mehr und nicht weniger als das.
Viele, zu viele Schiffe sind während solcher Stürme auf See gesunken.
Viele, zu viele feine Männer haben dabei ihr Leben verloren: Gestorben auf havarierten Schiffen, erfroren im eiskalten Wasser auf See, ertrunken im Sog des sinkenden Schiffes.
Keiner dieser Männer hätte zu sterben brauchen, nicht ein einziger von denen, denn kein Schiff ist zum Sinken gebaut worden.
Stürme kann man in den meisten Fällen umgehen und wenn nicht, besonders die Küsten Europas bieten für solch extreme Fälle weiß Gott genügend Landschutzmöglichkeiten, wo Schiffe einen sicheren Ankerplatz finden können.
Es ist immer und nur der Mensch, der sich selbst und andere in Gefahr bringt, sei es aus schierer Dummheit oder Unerfahrenheit, aus reiner Fahrlässigkeit oder aus Feigheit vor dem Reeder, dass nur aus einem fahrenden Schiff Gewinn für sich selbst und seine Kommanditisten zu Buche schlagen kann.
Die drei Ritter des Todes auf See heißen: Inkompetenz, Unachtsamkeit, Missmanagement.
Bei uns an Bord erschienen sie alle drei zusammen in Gestalt des Steuermann, des Kapitän und des Agenten in Holland und sie setzten sich alle drei gleichzeitig zum Ernten bereit und schauten uns stumm zu, wie wir ums nackte Überleben kämpften.
Der der Inkompetenten: Der Steuermann hatte die Pontons des Zwischendecks dem schönes Wetter wegen nicht in Position gebracht, sondern nur notdürftig übereinandergestapelt und obendrauf nicht richtig gelascht.
Der der Unachtsamen: Der Kapitän hatte seinem jungen und unerfahrenen Steuermann nicht über die Schultern geschaut und ihn nicht angewiesen, aufgrund der uns bevorstehenden langen Seereise, die Pontons, wie es sich gehörte, auf ihre dazu vorgesehenen Positionen zu setzen.
Der des Missmanagements: Welcher Trottel an Land hatte uns einen 74-jährigen alten Große-Fahrt-Kapitän ohne jeglichen Kümo-Erfahrung an Bord geschickt?
Ich persönlich, wenn ich mir überhaupt für diesen Zustand einen Vorwurf, hätte machen können, so hatte ich eventuell nur einen einzigen Fehler gemacht: Aus lauter Betriebsgewohnheit hatte ich mich auf alles und alle verlassen.
Damals aber war Markus als Kapitän an Bord und der hatte seine Augen überall, mit ihm wäre so was gewiss nicht geschehen, denn er hätte bei so einem Fall den Steuermann in den Hintern getreten und ihn sofort angewiesen, die Pontons auf ihren Plätze zu setzen.
Der Markus war aber nicht da, dafür aber waren wir an Bord tief in der Scheiße.
Nachdem wir die Batteriekisten gut gelascht hatten, halb im Liegen, durchnässt und halb erfroren, uns gegenseitig helfend, schafften wir es wieder unbehelligt und ohne Verletzungen, vom Peildeck runter zu kommen und zurück ins Steuerhaus zu gelangen.
Wir waren nicht nur nass, wir waren nicht nur vor Kälte am Zittern, wir waren auch stinksauer und hatten nur noch Mordsgedanken im Kopf.
Gerd hatte in der Zwischenzeit, wie auch immer, in der Kombüse für uns alle heißen Tee gemacht und so empfing er uns damit und das brachte uns sofort mehr oder weniger auf besseres und besonnenes Gedankengut.
Erst nach der zweiten Tasse Tee dachte ich, dass es langsam Zeit war, im Maschinenraum eine Runde zu drehen.
Der Fahrtstand auf der Brücke hatte zwar all die Parameter, die ich brauchte, um den Laufzustand der Anlage zu kontrollieren, aber ein Rundgang war sicherer. Mir war auch klar, dass die Alarmanlage in bester Ordnung war, aber ich bin nun mal ein alter Maschinenonkel, der sich immer vor Ort über den Zustand seiner Anlage vergewissern will.
So sagte ich den Herren, dass ich mal kurz in den Maschinenraum gehen wollte und ging nach unten.
„Bevor ich mich auch umziehen geh, wollte ich noch mal mit Gerd kurz in dem Laderaum nach dem Rechten schauen, könntest du noch eine Weile hier bleiben, Meister?“, fragte Peter.
„Klar, Peter, geh nur, aber sei bitte vorsichtig!“, antwortete ich.
„Aber ihr seid doch vor kaum einer Stunde dort gewesen, was soll denn das?“, fragte der Kapitän trotzig.
„Verdammt noch mal, sind Sie denn so sicher, dass die Scheißpontons noch festgelascht sind? Es ist doch Ihre Schuld, wenn wir in Seenot sind, und beten Sie zu Gott, dass, falls wir es schaffen, heil aus dieser Scheiße rauszukommen, ich Sie nicht bei der Seefahrtinspektion bei uns zu Hause in Holland anzeige!“, fauchte ihn Peter sofort auf Holländisch an.
Der alte Mann verstummte auf der Stelle.
Während Peter und Gerd nach unten gingen, schenkte ich mir noch eine Tasse Tee ein und ging mit meinem Mock nach draußen auf das Steuerbordnock, um die beiden im Auge zu behalten.
„Wir haben noch ein paar Spant-schrauben und noch ein paar Ketten angebracht, wir haben auch noch mehr Holzkeile und Bretter hingesetzt, einige Pontons hatten sich doch etwas frei bewegt. Wir müssen am besten jede Stunde da unten nachschauen gehen!“, berichtete uns Peter eine halbe Stunde später, als er zusammen mit Gerd wieder auf die Brücke kam.
„Wir werden am besten Wachen aufstellen müssen, Kapitän. Ich schlage vor, dass Peter und Gerd sich jetzt schlafen legen, Martin und ich übernehmen die erste Laderaumwache bis zwanzig Uhr, danach sind Sie dann dran!“
„Ja, Chief, machen wir es so, ich bleibe sowieso hier auf der Brücke“, antwortete der Mann, der doch in ein paar Stunden um Jahre gealtert zu sein schien.
Endlich konnten Peter und ich uns umziehen gehen. Martin hatte ich schon vorher, während die beiden im Laderaum waren, nach unten geschickt, wo er seine nasse Klamotte wechselte.
Gerd hatte sich noch, bevor er wieder auf die Brücke kam, schnell umgezogen, nun waren wir beide dran, und so gingen wir in unsere Kabinen.
Schnell zog ich mich im Badezimmer aus, ließ die nassen Sachen auf den Boden fallen, trocknete mich rasch ab und zog mir frische, saubere und vor allem trockene Klamotten an.
Luwala lag immer noch selig auf dem Rücken in meiner Koje.
Sie hatte sich zwischen die Matratze und den Schott eingekeilt, sie musste aber irgendwann aus der Koje gekommen sein, denn sie hatte auf den Boden gepisst.
„Gut für dich, dass du nicht in die Koje gepisst hast, du alte Sau!“, sagte ich ihr und ohne mich um ihre treudoofen Augen zu kümmern, legte ich ein paar Putzlappen auf ihre Pisse drauf und ging in den Maschinenraum zu den Deutz-Bullen.
Dort, wie erwartet, war alles bestens.
Vorsichtshalber aber tat ich, was ich von Anfang unserer Misere und aufgrund der übermäßigen Schaukelei hätte tun sollen: Ich stellte nämlich den Schmierölseparator ab, ließ den zweiten Hilfsdiesel anlaufen und brachte es parallel zu dem anderen aufs Netz.
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