Ohne mich weiter um den alten Mann zu kümmern, ging ich aus der Brücke, Peter und die Jungs folgten mir ohne Widerrede.
Ein paar Minuten später waren wir alle vier zwar etwas nass und außer Atem, aber mit heilen Knochen bei dem losen Pontons im Laderaum.
Wir brauchten gut und gerne zwei Stunden, um all die Pontons so zu sichern, dass die einigermaßen gut und fest an der Backbordseite des Schiffes sicher befestigt worden waren.
So was hört sich einfach an, es war aber nicht so und ungefährlich war’s erst recht nicht.
Wir befanden uns im vordersten Teil des Laderaums, und das Schiff sprang wie ein wilder Mustang mit bis zu sechs Metern in die tiefen Wellentäler.
Am Ende aber, ohne uns dabei die Knochen zu brechen, hatten wir es fertig gebracht, nicht nur jeden der losen Pontons an die Spannten des Schiffes festzumachen, wir hatten auch noch eine gehörige Portion Holzpolster zwischen diese und die Schiffswand gesetzt.
Ganz felsenfest gelascht waren die nicht, wir hatten es nur geschafft, die alle gut zu befestigen, dort, wo die waren und so, wie die dort auch lagen.
Mehr war in so einer Lage einfach nicht drin gewesen.
Um zu vermeiden, dass die sich durch Eisen-auf-Eisen-Reibung noch weniger bewegen konnten, waren wir in der Lage gewesen, eine gute Verkeilung, nicht nur zwischen jedem Einzelnen von denen, sondern auch zwischen denen, die direkt an Deck lagen, und das Deck selbst hinzukeilen.
Damit hatten wir zur Rettung unserer Leben all das getan, was uns unter den gegebenen Umständen möglich gewesen war, der Rest lag nur noch in Gottes Hand.
Mir ist es heute noch ein Rätsel, wie wir es immer schafften, von unserem Wohnbereich in den Laderaum zu gelangen und zurückzukommen, ohne dabei von den anrollenden Brechern über Bord befördert zu werden.
Tatsache ist, dass wir es alle schafften und das alles auch ohne Verletzungen.
Auf der Brücke dann berichtete ich dem Kapitän, wie die Lage nun war, ich erklärte ihm, was wir getan hatten und was ich davon hielt.
Dabei machte ich ihm klar, dass die Pontons keineswegs sicher waren, sondern dass die eben nur so sicher waren, wie das Schaukeln des Schiffes es eben zuließ, mehr nicht und nicht weniger.
Mittlerweile hatte der Sturm an Stärke zugenommen.
Er schien sich bei einer steifen neun mit bis zu guten zehn Windstärken eingependelt zu haben.
Das Schiff schaukelte im Sekundentakt bis auf Dreißig-Grad-Neigung wild hin und her und man konnte nicht auf den Füßen stehen, ohne sich nicht irgendwo festzuhalten. Solange wir aber Kopf auf See blieben, war das im Grunde genommen zwar verflixt unangenehm und gefährlich, wir hätten es aber überleben können.
Hinzu kam, dass das Gewicht der Pontons, die an Backbord gestapelt waren, uns zwangsläufig ein paar Grade willkommener Schlagseite gab und das half noch mehr, die Scheißdeckel dort zu halten.
Jeder Kapitän, den ich kenne, aber auch die blödesten unter denen – und davon gibt es viele – wäre nun weiter, bis sich der Sturm beruhigt hatte, Kopf auf See geblieben.
Nur dieses Arschloch von Kapitän nicht, nein, der Trottel, als er hörte, dass die Pontons im Laderaum befestigt worden waren, schien nur den Teil meines Berichtes in sich aufzunehmen, der ihm passte zu begreifen.
„Mensch, Chief, danke, das war gute Arbeit, jetzt kann ich wieder auf Kurs gehen und mich bei Ouessant Radio abmelden!“, das war es, was der Herr Kapitän mir sagte.
Meine Antwort kam postwendend.
„Wenn Sie es wagen, dieses Schiff auch nur einen einzigen Grad aus dem gegenwärtigen Kurs zu bringen, so schließe ich Sie in Ihre Kammer und übernehme das Schiff!“, mehr sagte ich nicht.
„Das ist ja Meuterei. Ich werde Sie ins Tagebuch eintragen und bei der nächstbesten Gemeinheit den Hafenbehörden anzeigen!“, weiter kam er nicht.
„Machen Sie es ruhig, Kapitän, und da Sie schon dabei sind, setzen Sie meinen Namen gleich dazu!“, schrie ihn Peter auf Holländisch sofort an. „Falls Sie lebensmüde sind, so springen Sie meinetwegen gleich außenbords. Dieses Schiff drehen Sie aber nicht, nicht jetzt, denn ich habe Frau und Kinder daheim und die wollen mich wiedersehen, haben Sie mich verstanden, Herr Kapitän!“
Peter, als erfahrener Bootsmann, hatte die Gefährlichkeit unserer Lage sofort erfasst und war mir zu Hilfe gekommen.
„Da draußen gibt es manche Sturmböen, die fast Orkanstärke haben!“, sagte ich zu dem alten Mann und dabei deutete ich mit meiner Hand auf die rollenden Wellen, die an uns vorbeizogen. „Wo zum Teufel wollen Sie eigentlich hin, Kapitän?“, fragte ich den alten Mann, der, erschrocken über Peters Einmischung, sprachlos geworden war.
„Ihre Pflicht ist es, am Ouessant Radio unsere Situation zu melden, wir sind faktisch in Seenot. Jede Minute kann sich ein Ponton lösen, jede Minute kann einer davon durch die Schiffswand gehen und wir saufen, ohne dass es jemand merkt, einfach ab; Kapitän, melden Sie uns unverzüglich der französischen Küstenwache als Schiff in Seenot, bitte!“
Der Mann, der nur an sich selbst und sein eigenes Ansehen dachte, griff wortlos nach dem UKW-Mikrofon und rief Ouessant Radio an.
Ruhig, mit fast monotoner Stimme, meldete er unsere Position und Schiffslage und bat sie, wenn wir auch quer zum Fahrweg standen, dort bleiben zu können, wo wir waren, so wie wir waren.
Er beantwortete all die Fragen, die Ouessant Radio ihm über Schiffsgröße, Tiefgang, Art der Ladung, Ausgang und Ankunftshafen sowie Reederei und Agentennamen stellte. Er gab alles durch, und am Ende verlangte die Küstenradiostation, nachdem sie uns auf ihrem Radar festgenagelt hatte, von ihm bis auf weiteres im Fünfzehn-Minuten-Takt Position und Schiffszustandsmeldung.
Danach wünschte sie uns Hals- und Beinbruch und beendete somit das Gespräch.
Gerade als ich dachte, nach unten zu gehen, um meinen nassen Kombianzug zu wechseln, begann am Peildeck über uns etwas gegen etwas anderes zu knallen.
Die Schläge kamen im Rhythmus des rollenden Schiffes und wurden immer lauter.
„Was zum Teufel soll denn das jetzt schon wieder sein?“, fragte mich Peter, der genau so wie ich und die Jungs bis auf die Knochen nass und am Frieren war.
„Es gibt nur einen Weg, um es herauszufinden, Junge, lass uns nach oben gehen, und wir werden es wissen!“, antworte ich.
Ohne zu zögern, von Steuerbord aus, ging ich, gefolgt von Peter, an dem teilnahmslosen Steuermann vorbei, der immer noch neben der Tür stand und stumpfsinnig verbissen, wie in Trance, nach draußen schaute an Deck.
Das Peildeck ist das höchste Deck eines jedes Schiffes, denn höher als das sind nur noch der Kamin und die Masten.
Dort, auf fast jedem Schiff älterer Bauart, befinden sich in einer Holzkiste die Zwölf-Volt-Batterien für die Funkanlage des Schiffes.
Gerade der Scheiß hatte sich teilweise losgerissen und knallte mit dem rollenden Schiff gegen die Reling.
Wenn es nicht einfach gewesen war, auf das Peildeck zu gelangen, war es beileibe noch weniger einfach, die schwere Kiste wieder gegen die Reling zu bringen.
Der Pendelweg des Schiffes dort oben ist am stärksten und sehr gefährlich.
Mit vereinten Kräften, teilweise flach an Deck liegend, klatschenass und halb erfroren, schafften Peter und ich es aber doch nach einer Weile, die Kiste wieder gegen die Reling gedrückt zu halten.
Daraufhin knallte ich meine 110 Kilo darauf, hängte irgendwie meine Beine und Arme über die Reling und schaffte es auch, mit meinen fast eingefrorenen Arschbacken die verdammte Kiste in Position zu halten, bis Peter in dem kleinen Abstellraum im Schornstein zum Glück genügend alte Wurfleinen fand, um die verflixte Kiste an der Reling wieder festzulaschen.
„Falls die Reling auch noch vergammelt ist und nachgibt, so lade ich samt den Batterien Vierkant in den Bach und dann wird es das wohl gewesen sein!“, dachte ich grinsend, als ich wie ein Affe am Baum da am der Reling hing, während die Gischt der vorbeiziehenden Wellen mir die Fresse polierte.
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