Im Umsehen nahm sie wahr, dass der Mann den Jungen dankbar anlächelte und verlegen nickte. Robert hatte nur noch Interesse für die Bekannten. Sofort waren alle in Gespräche vertieft. Sie hatten sich lange nicht gesehen und außerdem lockte die Bratwurst vom Holzkohlegrill.
Als sie später zu Hause angekommen waren, bekamen sie Lust auf ein gemütliches Abendessen, von der Wurst vom Weihnachtsmarkt waren sie nicht satt geworden. Der Bettler war schon vergessen. Doch jetzt erinnerte sich Anita wieder daran und sprach ihre Gedanken aus. Die waren auch bei dem Schüler, der ihnen in die Quere gekommen war. „Der sah aus wie ein Gammler mit seiner komischen Frisur und den ausgefransten Klamotten“, nörgelte Robert.
„Er hat dem alten Mann Geld gegeben.“ Anita plagten Gewissensbisse.
„Das hat er doch von seinen Eltern, der verdient doch noch nichts.“
„Dann hat er vom Taschengeld abgegeben. Wir haben unsere Rente und haben nichts gespendet.“
„Das Portemonnaie kann ich nicht so schnell bereit haben. Nicht umsonst wird vor Taschendieben gewarnt.“
„Hast ja Recht, wer weiß, ob der Bettler überhaupt einer war.“
Der Abend ging zu Ende.
Bei der täglichen Zeitungsschau am nächsten Morgen entdeckte Robert einen Artikel über den Bundespresseball.
„Hör dir das an: ‚Glanz in düsteren Zeiten‘ heißt die Überschrift.“ Er las laut vor: „‚150 internationale Spitzenköche, kanadischer Hummer, Ananas-Kokos-Törtchen, 1700 Flaschen Champagner‘ – so eine Prasserei, was sagst du dazu?“
„Was soll ich dazu sagen? Ich denke an den alten Mann vom Weihnachtsmarkt. Der hat vielleicht nicht einmal Brot.“
„Fang nicht wieder damit an. Wir können die Armut nicht abschaffen, so schlimm es auch ist.“
„Wie du meinst, ich stecke mir aber ab heute ein paar Euro-Stücke in die Manteltasche. Für alle Fälle.“
Hermann Friedrich
Der Heilsarmist leiert am Leierkasten und hält den Hut auf.
Spenden für Arme und Bedürftige! So spricht er die Vorbeikommenden in der spendenfreudigen Weihnachtszeit an. Sie sollen doch etwas Geld in den Hut werfen.
Ich frage ihn, warum ausgerechnet die Armen und Bedürftigen davon leben sollen.
Na, um zu überleben, sagt er.
Die meisten würden doch auch gern arbeiten gehen, meine ich. Und warum er den Armen keine Jobs vermittle.
Dafür sei doch die Arbeitsagentur zuständig, so seine Antwort. Außerdem müssen sich die Arbeitslosen doch selbst kümmern, in Lohn und Brot zu kommen.
Und wenn es keine Arbeit gibt?
Irgendwo gäbe es immer welche.
Doch bei Millionen Arbeitslosen sei diese Gesellschaft nicht mehr tragbar. Die Armen werden immer mehr. Und Spenden sind so ähnlich wie Kurzarbeitsgeld. Es wäre gerade so, als würde man ein Loch in einem Sieb stopfen, meine ich. Wir machen uns was vor. Ich bin gegen das Spenden. Das verkleistert die wahren Zustände.
Nikolaus
Vor Weihnachten der Nikolaus,
kommt jedes Jahr in jedes Haus.
Bringt allen viele schöne Gaben,
die Mädchen, Knaben wollen haben.
Er kommt mit einem Pferdeschlitten
und manchmal kommt er auch geritten
vom Himmel dort vom Himmelszelt
gibt’s Gaben gratis, ohne Geld.
Doch hat dies Jahr nur Schwierigkeiten,
die Flugzeuglotsen, sie war’n streiken.
Die Himmelsschneise über Bozen,
bestreikten die gestressten Lotsen.
Der Nikolaus kam drum recht spät,
wie das im Leben manchmal geht.
Er saß im Schlitten wie auf Kohlen
und um die Zeit noch aufzuholen,
schlittert er, ist viel zu schnell.
Es blitzt das Radar, das ein Quell
für kranke und für andre Kassen.
Muss Niklaus Geld nun springen lassen?
Die Polizei, die hält ihn auf,
da gibt’s ein Knöllechen noch drauf.
Und dann ein langes Fahrverbot.
Der Nikolaus, der kommt in Not.
Aus der Erfahrung, aus den Jahren,
sagt er: ich bin doch nicht gefahren!
Ich habe das Problem gewittert
und bin in das Radar geschlittert!
Ganz ungestraft rutscht er nun weiter,
doch was noch kommt, ist wenig heiter.
In seiner großen Zeites-Not,
hält er in einem Haltverbot!
Bekommt hier eine Laufradkralle,
das ist für ihn doch keine Falle …
An seinem Schlitten sind die Kufen,
die schnellen Pferde haben Hufen.
Und er beschenkt die vielen Kinder,
in diesem strengen, kalten Winter.
Die Kinder von den Politessen,
hätt er aus Ärger fast vergessen.
Auch sie bekommen ihre Gaben,
damit sie Freud am Fest noch haben.
Und die Moral von der Geschicht?
verderbt es mit dem Niklaus nicht …
Steht eine Ampel mal auf Rot,
begleitet ihn in dieser Not,
mit Hupen und mit blauem Licht!
Stopp und Ende vom Gedicht.
Matthias Albrecht
Eine Kinderweihnachtsfeier im Gefängnis
Unsere Gewerkschaft hatte Mitte der neunziger Jahre die Tradition ins Leben gerufen, alljährlich eine Weihnachtsfeier für die Kinder der Bediensteten unserer Justizvollzugsanstalt auszurichten. Die dafür benötigten finanziellen Mittel wurden aus den sogenannten „Rücklaufgeldern“ der monatlichen Beiträge sowie aus einem geringen, vor der Feier zu zahlenden Obolus der Eltern beglichen. Als Ausrichtungsort diente stets der große Speisesaal unserer Anstalt.
Die Veranstalter sahen der ersten Feier mit gemischten Gefühlen entgegen, fehlte es doch noch an Erfahrungen auf diesem Gebiet. Man hatte einen künstlichen Tannenbaum besorgt und festlich geschmückt, für jedes Kind einen buntbedruckten Weihnachtspappteller mit den üblichen Backwaren, Nüssen, Schokoladenfiguren und Früchten bereitgestellt, einen Zauberer für das Rahmenprogramm engagiert und mit den Eltern vereinbart, dass diese vor dem Festakt ein verpacktes, beschriftetes Geschenk für ihre Sprösslinge abzugeben hatten. Soweit, so gut. An alles war gedacht worden – nur die Hauptsache fehlte noch: der Weihnachtsmann! Einen solchen über die „Weihnachtsmannagentur“ zu ordern, kam aus Kostengründen nicht infrage. Was lag da näher, als ihn aus den Reihen unserer Bediensteten zu rekrutieren? Doch seltsam, niemand wollte diese Rolle übernehmen, nicht einmal diejenigen, welche sonst die große Klappe hatten oder sich gern reden hörten. Typisch Männer! Unsere Frauen hatten da weniger Berührungsängste. Drei meldeten sich noch während der Versammlung freiwillig, gaben allerdings selbst zu bedenken, dass eine weibliche Rollenbesetzung einen gewissen Gesichtsverlust für unsere Anstalt bedeuten könnte, waren doch hier weit mehr Männer als Frauen beschäftigt. Naturgemäß stand auch zu befürchten, dass von den Kindern eine „Weihnachtsfrau“ auf weitaus geringere Akzeptanz stoßen würde, als ein männlicher Vertreter dieser Zunft.
Nach erfolgreicher Überzeugungsarbeit unseres Vorsitzenden erklärte schließlich ich mich bereit, den Part des allseits beliebten Weihnachtsmanns zu übernehmen. Schien ich doch infolge meiner tiefen Stimmlage und wohlgenährten Erscheinung dafür geradezu prädestiniert zu sein und besorgte mir im Weiteren das entsprechende Outfit: Bart, Mantel mit Kapuze, Stiefel, Rute, weiße Zwirnshandschuhe und eine Gesichtsmaske. Auf letztere hätte ich unter anderen Umständen verzichten können, doch meine sechsjährige Tochter, welche mit von der Partie war, durfte mich nicht erkennen, um nicht den Glauben an die Wahrhaftigkeit des Weihnachtsmanns zu verlieren oder meine Tarnung auffliegen zu lassen.
Endlich war es soweit. Drei Dutzend aufgeregt schnatternde Kinder waren mitsamt ihrer nicht weniger mitteilsamen Geschwister, Eltern und Großeltern im aus den Nähten platzenden Speiseraum versammelt und harrten der Dinge, die da kommen sollten, während ich (noch in Zivil) im Nachbarraum zum hundertsten Mal meine Begrüßungsverse vor mich hin brabbelte und nervös eine Zigarette nach der anderen rauchte. Das Lampenfieber hatte sich meiner bemächtigt. Die Minuten dehnten sich zu Stunden.
Читать дальше