Burkhard Müller
LUFTHUNDE
Portraits der
deutschen literarischen Moderne
Burkhard Müller, Jahrgang 1959, ist Dozent für Latein an der TU Chemnitz und regelmäßiger Mitarbeiter beim Feuilleton der Süddeutschen Zeitung ; er hat dieses Jahr den Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik erhalten. Zuletzt sind von ihm bei zu Klampen erschienen: »Der König hat geweint. Friedrich Schiller und das Drama der Weltgeschichte«, 2005; »Die Tränen des Xerxes. Von der Geschichte der Lebendigen und der Toten«, 2006.
Reihe zu Klampen Essay ,
herausgegeben von Anne Hamilton
© 2008 zu Klampen Verlag · Röse 21 · D-31832 Springe
info@zuklampen.de· www.zuklampen.de
Umschlag: Matthias Vogel (paramikron), Hannover
Umschlagabbildung: Albo - Fotolia.com
Satz: thielenVERLAGSBÜRO, Hannover
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016
ISBN 978-3-86674-211-6
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über ‹ http://dnb.ddb.de› abrufbar.
Cover
Titel Burkhard Müller LUFTHUNDE Portraits der deutschen literarischen Moderne
Der Autor Burkhard Müller , Jahrgang 1959, ist Dozent für Latein an der TU Chemnitz und regelmäßiger Mitarbeiter beim Feuilleton der Süddeutschen Zeitung ; er hat dieses Jahr den Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik erhalten. Zuletzt sind von ihm bei zu Klampen erschienen: »Der König hat geweint. Friedrich Schiller und das Drama der Weltgeschichte«, 2005; »Die Tränen des Xerxes. Von der Geschichte der Lebendigen und der Toten«, 2006.
Impressum Reihe zu Klampen Essay , herausgegeben von Anne Hamilton © 2008 zu Klampen Verlag · Röse 21 · D-31832 Springe info@zuklampen.de · www.zuklampen.de Umschlag: Matthias Vogel (paramikron), Hannover Umschlagabbildung: Albo - Fotolia.com Satz: thielenVERLAGSBÜRO, Hannover 1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016 ISBN 978-3-86674-211-6 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹ http://dnb.ddb.de › abrufbar.
Einleitung
I.
Oheim, was ist Euch?
Wilhelm Busch – nach hundert Jahren
Nietzschestechen
Der hydraulische Novellist
Sigmund Freud heute
II.
Bedenke auch den kleinen weissen Hund
Das lyrische Werk Gertrud Kolmars
Rainer Maria Rilke
oder der Fluch des Virtuosen
Baum des Hasses und Vogel des Tods
Über die Zeit in der Lyrik von Karl Kraus
Kopf aus ertrunkenen Mandeln
Ein Denkmal für Meret Oppenheim
Ich kenne nicht des Todes Bild und nicht des Sterbens Nöte
Die Galgenlieder Christian Morgensterns
III.
Trost im Fell des Nachbarn
Zu Kafkas Tierparabeln
Der Fluch des Allerliebsten
Eine Neulektüre der »Buddenbrooks« nach fünfundzwanzig Jahren
Der Humor des Nachtpfauenauges
Zum 125. Geburtstag von Hermann Hesse
»Kein Jude ist Löwe«
Irmgard Keuns Roman »Nach Mitternacht«
IV.
Zweimal Benn
Herrenwissen vom Seidelbast
Der letzte Band der Jünger-Werkausgabe
Günter Grass: »Die Blechtrommel« / Martin Walser: »Halbzeit«
Zwei Klassiker der jungen BRD im Kontrast ihres Ranges
Anstelle eines Textnachweises
Fußnoten
Lufthunde: Das sind in Kafkas Erzählung »Forschungen eines Hundes« jene Wesen, die, obschon zweifellos dem großen Volk der Hunde zugehörig, welchem das warme Beisammensein über alles geht, es sich dennoch herausgenommen haben, allein und auf eigene Faust sich hoch in den Lüften umherzutreiben. Was sie dort oben anstellen, was sie an greifbaren Forschungsresultaten mitbringen, das erscheint alles sehr zweifelhaft. Es kann sogar aussehen, als wären sie bloß ein schönes Fell und ihre Frisuren größer als der ganze Hund. Und trotzdem erfüllen sie in ihrer grandiosen, manchmal traurigen Vereinzelung hoch droben, wo sie nur mit dem Wind zu kommunizieren scheinen, einen wichtigen, wenngleich unbestimmten Auftrag. Wer in der Hundeschaft emporblickt, kann ihre Kontur als kleine Wolken über sich erkennen.
Lufthunde: Wer so eine Sammlung von Essays über die Autoren der deutschen literarischen Moderne tauft, der vereinzelt sie gegeneinander und erteilt ihnen allen dasselbe leichte Gewicht. Aber er handelt nicht respektlos. Er betreibt keine biographischen Studien, aber er blendet auch nicht in werkimmanentem Furor die Tatsache aus, dass nur lebendige Wesen Werke zu schaffen vermögen. Portraits wollte ich geben. So, denke ich mir, wünscht sich jeder schöpferisch Tätige zur Kenntnis genommen zu werden: Dass man über dem Werk nicht den Menschen, und über dem Menschen nicht das Werk vergisst. Tradition genügt nicht; man sollte sich bereit finden, Nachwelt zu sein. Nur im Modus der Nachwelt wird dem Tod das entscheidende Schnippchen geschlagen. Sie ist eine höchtspersönliche Angelegenheit, auf beiden Seiten: jemand ist sie für jemanden. Mit einer Doppel-Ausnahme sind alle Menschen, die in diesem Buch auftauchen, tot, teils schon länger, als man es sich eingestehen möchte; fast ein Jahrhundert trennt uns inzwischen von Kafka. Dazu müssen diese Portraits sich verhalten. Sie müssen ihre Auswahl begründen und jeweils erkennbar machen, was an den Verstorbenen so lebendig und unverjährt ist, dass sie hier ihren Platz finden.
Es kann, so paradox es klingt, belebend auf jemanden wirken, wenn er tot ist. Solang er lebt, bietet sich sein Leben als unentrinnbar progressive Linie dar. Alles, was vor dem gegenwärtigen Augenblick liegt, den er mit sämtlichen anderen jetzt Lebendigen teilt und dessen Tyrannei er nicht zu entrinnen vermag, kann nur als vorbereitender Weg ins Jetzt gedeutet werden. Der Tod erst hebt diese unbedingt verpflichtende Linie auf und zerbricht das gewesene Leben in seine einzelnen Punkte, die plötzlich Selbständigkeit erlangen. So gewinnt das einstige Besondere, der geglückte Abend zum Beispiel, der sich nie wiederholen sollte, eine absolute Freiheit, die es nie zuvor genoss. Aus Stationen werden gültige Orte. Man muss dann den mittleren Nietzsche nicht mehr im Zeichen des sich anbahnenden Wahnsinns lesen, und in Gertrud Kolmars Lyrik nicht mehr nach den Vorahnungen von Auschwitz fahnden. Das Unwissen von dem, was noch kommen soll, ist der vitale Kern jedes Menschen (unserer auch). Es könnte keiner glücklich sein, der seine Zukunft kennt, nicht einmal wenn es eine glückliche Zukunft wäre.
Die Form des Portraits und seine entschiedene Tendenz zum Kontrahieren nimmt die Figur aus der Zeit heraus und erstattet sie an den Raum. Fünfzehn solcher Portraits also habe ich zusammengestellt, eine angemessen unrunde Zahl. Das Zufällige und das Unzufällige haben dabei, wie in einem Kartenspiel, ihre Rolle vereint gespielt. Manche Autoren gerieten en face ins Visier, manche wurden im Halbprofil angeschnitten, je nachdem was der Aufgabe zu entsprechen schien. Manche sind vergrößert, manche verkleinert aus dem Prozess hervorgegangen; Pietät wurde nicht geübt. Die hier versammelten Texte sind zu verschiedenen Gelegenheiten entstanden, gern zu runden Geburts- und Todestagen – sie gehen aus der Zeitlichkeit hervor, um ihr Trotz zu bieten. Der Begriff der Moderne scheint, nach beiden Seiten, von mir ein wenig überstrapaziert, indem sowohl schon Wilhelm Busch als auch noch Martin Walser und Günter Grass ihren Platz finden. Entscheidend war, dass sich mir die Autoren als eine frische Vorwelt darboten, deren wirkende Kraft sich in der Gegenwart spüren lässt (Walser und Grass mögen mir verzeihen, die Bücher, von denen ich spreche, sind fünfzig Jahre alt); und dass sie in meiner Sprache, dem Deutschen, schrieben.
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