Burkhard Müller - Fälschungen, Verwandlungen

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Kunstfälscher und Hochstapler erschüttern unsere festgefügten Überzeugungen von dem, was wahr und was falsch sei. Denn die Übergänge zwischen Täuschung und Verwandlung, Sein und Schein sind oft fließend. Wenn Wolfgang Beltracchi Bilder der klassischen Moderne echter malen kann als die Originalkünstler, wenn Gert Postel, gelernter Postbote, jahrelang unbehelligt als Oberarzt in der Nervenklinik amtiert, wenn eine Republik ein Königsschloss neu aufbaut, obwohl sie gar nicht weiß, wie sie es nutzen soll – was sagt das über unser Selbstverständnis?
Burkhard Müller geht aufsehenerregenden Fälschungen und Verwandlungen der jüngeren Vergangenheit nach, durch die plötzlich sehr zweifelhaft erscheint, was einst als eherne Gewissheit galt. Bilder, Häuser und Leute können immer auch etwas ganz anderes sein, als wir glauben.

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BURKHARD MÜLLER

Fälschungen, Verwandlungen

Geschichten von Bildern,

Häusern und Menschen

Reihe zu Klampen Essay Herausgegeben von Anne Hamilton Burkhard Müller geboren - фото 1

Reihe zu Klampen Essay

Herausgegeben von

Anne Hamilton

Burkhard Müller,

geboren 1959, ist Dozent

an der Technischen Universität Chemnitz. Er schreibt regelmäßig für die »Süddeutsche Zeitung« und »Die Zeit«. 2008 erhielt er den Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik. Im zu Klampen Verlag sind in den vergangenen Jahren erschienen: »Schlussstrich. Kritik des Christentums« (2004), »Der König hat geweint. Schiller und das Drama der Weltgeschichte« (2005), »Die Tränen des Xerxes. Von der Geschichte der Lebendigen und der Toten« (2006), »Lufthunde. Portraits der deutschen literarischen Moderne« (2008) und »Verschollene Länder. Eine Weltgeschichte in Briefmarken« (2013).

Inhalt

Cover

Titel BURKHARD MÜLLER Fälschungen, Verwandlungen Geschichten von Bildern, Häusern und Menschen

Reihe zu Klampen Essay Reihe zu Klampen Essay Herausgegeben von Anne Hamilton Burkhard Müller, geboren 1959, ist Dozent an der Technischen Universität Chemnitz. Er schreibt regelmäßig für die »Süddeutsche Zeitung« und »Die Zeit«. 2008 erhielt er den Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik. Im zu Klampen Verlag sind in den vergangenen Jahren erschienen: »Schlussstrich. Kritik des Christentums« (2004), »Der König hat geweint. Schiller und das Drama der Weltgeschichte« (2005), »Die Tränen des Xerxes. Von der Geschichte der Lebendigen und der Toten« (2006), »Lufthunde. Portraits der deutschen literarischen Moderne« (2008) und »Verschollene Länder. Eine Weltgeschichte in Briefmarken« (2013).

Vorwort

Wolfgang Beltracchi

oder warum die Kunst den Zweifel braucht

Karl Waldmann

oder vom Tod eines Autors, der nie gelebt hat

Dein gemartertes Antlitz

Eine Pilgerfahrt zum heiligen Grabtuch in Turin

Gert Postel

oder die Einsamkeit des Hochstaplers

Troja im Chiemgau

Schicksale eines Pferdes

Die Rückkehr der steinernen Glocke

Dresden und seine Frauenkirche

Paläste für die Republik

Berlin – Potsdam – Braunschweig

Großmut an Fremden

Ein Besuch in Głogów

Camp

oder wie sich Ironie in einen Tatbestand verwandelt

Impressum

Fußnoten

Vorwort

DIESES Buch hat seinen Autor überrascht. Es ist hervorgegangen aus einer Reihe von Begegnungen, die sich im Zeitraum von etwas mehr als einem Jahr ergeben haben. Spät habe ich das Muster darin erkannt. Dabei zog die eine die andere nach sich. Es ging los mit dem Kunstfälscher Beltracchi, dessen erhellender Wert für Kunst und Kunstmarkt mir auf Anhieb einleuchtete. Als der entsprechende Artikel im »Merkur« erschien (dem ich bei dieser Gelegenheit danken möchte, dass er drei der hier versammelten Texte abgedruckt hat, noch ehe ihr Zusammenhang sichtbar geworden war), meldete sich bei mir Gert Postel, der jahrelang trotz fehlender Qualifikation als psychiatrischer Oberarzt gearbeitet hatte, und wünschte sich, dass ich auch über ihn etwas schriebe. Und es kam die Nachricht, dass in diesem Jahr das Turiner Grabtuch aus der Versenkung geholt und ausgestellt würde – sie hätte mich sonst kaum berührt, aber plötzlich s a h ich in diesem Tuch etwas, das mir vorher entgangen war.

Als diese drei beisammen waren, nahm das Buch seinen Lauf. Thomas Steinfeld, Redakteur der »Süddeutschen Zeitung«, war dem Fall Karl Waldmann auf die Spur gekommen, einem Collagen-Künstler, der nie gelebt hat, und nahm mich mit zu Ausstellung und Pressekonferenz. In einem oberbayerischen Internat gab sich ein bronzenes Pferd, das jahrzehntelang unbehelligt im Schulhof gestanden hatte, jäh als Nazi-Plastik zu erkennen und versetzte die Öffentlichkeit in Wallung. Hier fand die Metamorphose ganz im Auge des Betrachters statt.

Und ebenso verhielt es sich mit dem Phänomen des »Camp«, das Susan Sontag schon vor fünfzig Jahren beim Namen genannt und damit recht eigentlich ins Leben gerufen hatte: die liebevollironische Betrachtung von Kulturschaffenden und ihren Werken, die sich selbst sehr ernst nahmen und es darum nie erfahren durften, dass ihr Charme in ihrer Gebrechlichkeit lag. Auch hier waren es Bilder und das Gespräch mit ihrem Künstler Jan Kummer, was mir unverhofft weiterhalf.

Und dann natürlich Gebäude! Sie dauern am nachdrücklichsten, oder scheinen es wenigstens; aber gerade darum taugen sie als Zeugen der Veränderung. Neu erstandene Königsschlösser in Demokratien; eine verschwundene Kirche, zurückgeholt in eine säkulare Gemeinschaft; eine dem Erdboden gleichgemachte Stadt des geschlagenen und verjagten Feindes, an deren Wiederbringung der Sieger die Mühe vieler Jahre wendet – was hat das alles zu bedeuten?

»Fälschungen, Verwandlungen« lautet der Titel. Nicht »Fälschungen« allein, denn bliebe es bloß bei ihnen, so stünde im Zentrum unbefragt das Echte, sei es, dass es zur Verteidigung, sei es, dass es zu seiner Bestreitung herausfordert, und die Oberhand hätten Neugier, Empörung und Schadenfreude. Das Echte aber ist immer das Fraglichste. Alles, was da ist, hält sich gern für echt, aus dem einfachen Grund, weil es nun mal so und nicht anders sei. Aber anders wird es dennoch immer, es verwandelt sich, manchmal offenkundig und manchmal hinterrücks; gerade das sind die interessantesten Fälle, in denen sich dann nicht selten Schreck und Verwunderung einstellen. Um ihren Augenschein geht es hier.

Ich danke Anne Hamilton, meiner Lektorin seit vielen Jahren und Gefährtin so manchen Buchs. Ohne sie und ihre Idee hätte es dieses Buch nicht gegeben.

Februar 2016

Wolfgang Beltracchi

oder warum die Kunst den Zweifel braucht

ZWEI Tage hatten die Interviewer vom »Spiegel« sich Zeit genommen für das Ehepaar Wolfgang und Helene Beltracchi. Weniger schien nicht angemessen für diesen größten Fall von Kunstfälschung der Nachkriegszeit, ja aller Zeiten. Die beiden Beltracchis sind rechtskräftig zu mehreren Jahren Haftstrafe verurteilt, genießen aber das Privileg des offenen Vollzugs und wirken recht entspannt.

»Lieben Sie Kunst?« wollen die zwei Herren vom »Spiegel« wissen. Und Beltracchi antwortet, wie damals der Bundespräsident Gustav Heinemann, als die Presse von ihm wissen wollte, ob er sein Vaterland liebe: »Ich liebe meine Frau.« Die nächste Frage rückt ihm schon dichter auf die Pelle: »Sind Sie ein Künstler?« »Natürlich.« Das kann der »Spiegel« so nicht auf sich beruhen lassen und setzt nach: »Was ist ein Künstler?« Was Wolfgang Beltracchi darauf erwidert, scheint eine bloße Tautologie und vollzieht doch eine entscheidende Verschiebung: »Einer, der Kunst macht.« So unscheinbar wie möglich ist damit der Akzent vom Sein des Künstlers aufs Machen der Kunst verlagert worden. Das zieht, kaum überraschend, die nächste Erkundigung nach sich: »Aber wann ist etwas Kunst?« Hier nun sieht sich Wolfgang Beltracchi zu einer etwas längeren Auskunft genötigt. »Für den Zyniker definiert sich Kunst über Geld. Das ist natürlich eine ganz traurige Aussage. Ein Künstler aber ist jemand, der kreativ tätig ist.« Da scheint es nun wieder im Kreis herumzugehen, denn was hieße »kreativ«? Beltracchi aber fügt schmunzelnd (so stellt man sich vor) hinzu: »Lesen Sie mal ein Buch von Beuys. Dann wissen Sie überhaupt nicht mehr, was Kunst ist.«

So viel jedenfalls wird klar: Zu den Zynikern rechnet Beltracchi sich nicht. Eher schon den Beuys, der für solche Verwirrung gesorgt hat. Und besonders schlecht zu sprechen ist er auf Damien Hirst, der den Kunstmarkt als solchen für Kunst erklärt hat – zahlt dieser doch für ein Stück Superkitsch wie Hirsts diamantbesetzten Schädel Summen, die mental nur verkraftet, wer das Ganze als Performance bucht. Gegenüber einem Windhund wie Hirst und einem Schamanen wie Beuys wünscht sich Beltracchi als aufrechter Schöpfer abzusetzen. Hier fängt es eigentlich an, interessant zu werden. Der »Spiegel« aber, der schon zwei Tage hinter sich hat und ermüdet ist, spricht an diesem Punkt seine klassische Entlassungsformel: »Frau Beltracchi, Herr Beltracchi, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.«

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