Die Besatzung sollte nach der Planung der SKL 402 Mann betragen. Zusätzlich sollten 8 Prisen-Offiziere, hierbei handelte es sich im Regelfalle um Handelsschiffskapitäne und –Offiziere, die mit dem Patent eines Kapitäns auf großer Fahrt ausgestattet waren, die als Leutnant (S), von der Kriegsmarine übernommen worden waren. Aufgabe dieser Prisenoffiziere sollte es sein, relativ unbeschädigt aufgebrachte Handelsschiffe des Gegners zu führen, die vom Zustand des Schiffes her, seinem Treibstoffvorrat und insbesondere auch des Wertes der Ladung, geeignet erschienen, mit deutscher Besatzung versehen, den Durchbruch in einen deutschen Hafen wagen zu können.
Zwischenzeitlich hatten die Seeoffiziere ihren Imbiss beendet und – nach einem Blick auf seine Armbanduhr – meinte Kapitän zur See von Preuss, „so mein Lieber, jetzt wissen Sie, was Sie erwartet.“ Der kleine untersetzte Kapitän zur See warf einen erneuten Blick auf seine Armbanduhr und verkündete Waldau, es sei jetzt an der Zeit, ihn dem Admiral vorzustellen, wo sie beide um 14.00 Uhr sich einzufinden hätten. Die Offiziere erhoben sich, wobei deutlich wurde, dass der kräftige, großgewachsene Waldau mit seinem Gardemaß von 1,84 Metern seinen Vorgesetzten um mehr als Kopflänge überragte.
Nachdem Kapitän zur See von Preuss und Korvettenkapitän Waldau sich beim Admiral, der etwa gleichgroß wie sein Stabschef war, aber noch wesentlich graziler, fast feminin wirkte, gemeldet hatten, lud auch dieser seine Untergebenen ein, Platz zu nehmen und deutete auf die bereits gefüllten Weinbrandgläser sowie die griffbereit liegenden Tabakwaren. Ohne einleitende Floskeln kam Admiral Scheidel zur Sache. „Nachdem Herr Kapitän von Preuss Sie, Herr Korvettenkapitän Waldau, in groben Zügen informiert hat, möchte ich Ihnen noch einige weitere Einzelheiten bekannt geben.“
Waldau erfuhr, dass – der Admiral erwähnte, er habe erst in den frühen Morgenstunden dieses Tages die entsprechende Zusicherung erhalten – das der Hilfskreuzer mit einem Funkmessortungsgerät – einem sogenannten Dete-Gerät – ausgerüstet werden würde, das der Schiffsführung auch bei Nacht und Nebel die Möglichkeit gab, andere Schiffe außer Sichtweite zu orten. Bei dem Dete-Gerät handelte es sich um den Vorläufer der Radargeräte. Dete-Gerät bedeutete Deutsches Technisches Gerät und bestand äußerlich sichtbar aus der am Mast befindlichen Dete-Haube, einer matratzenähnlichen Antennenanlage. Es handelte sich hierbei um ein Gerät, das damals noch strengsten Geheimhaltungsvorschriften unterlag. Das Mess-System beruhte auf dem Grundgedanken, ausgestrahlte Funkwellen, ähnlich wie beim Echolot, wieder aufzufangen, wenn sie auf ein Ziel stoßen und von diesem zurückgeworfen werden. Nach anfänglichen Versuchen auf 50 Zentimeter-Wellen, die jedoch schlechte Ergebnisse brachten, erzielte dieses Gerät im Dezimalbereich beachtliche Erfolge. Die zunächst ausschließlich auf den schweren Einheiten der Kriegsmarine installierten Funkmessgeräte arbeiteten zwischen 80 und 150 Zentimeter. Das Gerät lieferte hervorragende Entfernungsmessungen, nur die Genauigkeit nach beiden Seiten reichte bisher noch nicht aus, um dieses Gerät beispielsweise auch als Zielgerät für die Artillerie effektiv zu nutzen.
„Herr Korvettenkaptän Waldau“, eröffnete der Admiral dem zukünftigen Hilfskreuzer-Kommandanten, „Sie sind nun ziemlich genau darüber informiert, welches Schiff Sie künftig – hoffentlich mit dem gewünschten Erfolg – führen sollen. Es war Ihnen bereits anzumerken, dass Ihnen – einfach ausgedrückt – einiges nicht schmeckt.“
„Jawohl, Herr Admiral, mich stören die Minen“, antwortete Waldau und nahm, soweit möglich, auch im Sitzen korrekte Haltung an. „Tja, Korvettenkapitän Waldau, hierüber ist nicht zu verhandeln. Die SKL verspricht sich gerade von dem Mineneinsatz des ersten Hilfskreuzers sehr viel. Näheres, werden Sie den Ihnen bei Ausfahrt zu übergebenden schriftlichen Befehlen entnehmen können. Hierüber zu reden ist noch zu früh“, beschloss Admiral Scheidel diesen Punkt. „Aber“, fuhr der Admiral fort, „um Ihnen entgegen zu kommen, und wohl auch, da bekanntermaßen Kommandant, Offiziere und Besatzung eine wirkliche Einheit bilden müssen, gibt Ihnen die SKL Gelegenheit, Ihre Besatzung weitgehend selbst zusammenzustellen. Dieserhalb werden Sie nähere Anweisungen vom Admiral der Marinedienststelle Hamburg empfangen. Weitere Fragen?“ Waldau entgegnete, „Jawohl, Herr Admiral, besteht die Möglichkeit, die Bordflugzeuge per Katapult zu starten“?
„Herr Korvettenkapitän Waldau, antwortete der Admiral Scheidel, „Sie werden zunächst ohnehin das Schiff genauer anschauen und dann Gelegenheit haben, ausrüstungsmäßige Vorschläge – genau wie im Hinblick auf Offiziere und Besatzung – noch näher vorzutragen. Ihre Marschbefehle sind ausgefertigt.“
Damit war Waldaus erster Besuch bei der SKL in Berlin beendet.
2. Ein Frachter wird zum Kriegsschiff
Wenige Tage später, Montag, den 11. September 1939, stand der Korvettenkapitän auf Oberdeck des von ihm künftig zu führenden Schiffes. Die Umbauarbeiten in Dock 3 der Hamburger Kriegsmarinewerft waren in vollem Gange. Die Laderäume 4 und 6 waren bereits zu Mannschaftsquartieren umgerüstet und auch die Laderäume 9, 10 und 12 zur Aufnahme erwarteter künftiger Kriegsgefangener bzw. Internierten bestens vorbereitet. Unter anderem war dafür Sorge getragen, dass diese Räume über ausreichende sanitäre Anlagen verfügten und auch Männlein und Weiblein – für letztere waren selbstverständlich wesentlich kleinere Räumlichkeiten vorgesehen – getrennt werden konnten. Die schwere Artillerie – 6 x 15-Zentimeter Kanonen, die von einem alten Linienschiff stammten, waren bereits installiert und zwar die Geschütze 1 und 2 in versenkbaren Luken im Bereich der vorderen Laderäume, die Geschütze 3 und 4 seitlich vor den Brückenaufgängen, die sich am Ende des ersten Schiffs-Drittels erhob, so wie das 5. Geschütz in einem der hinteren Laderäume, ebenfalls versenkbar, eingebaut. Geschütz 6 befand sich auf dem Achterdeck. Das letzte Geschütz stand noch frei und sollte später im Bedarfsfalle durch eine imitierte Decksladung getarnt werden. Ebenso waren bereits die beiden Unterwassertorpedorohre im Bug des Schiffes, nach vorn gerichtet, installiert. Die beiden Drillingstorpedosätze sollten kurz hinter der Brücke mittschiffs, durch imitierte Decksladung getarnt, aufgestellt werden. Zurzeit war die Werft damit beschäftigt, die Minenräume auf dem Achterschiff herzurichten. Dem Gewimmel der emsig wirkenden mehr als 200 Werftarbeiter und Ingenieure entging der Kommandant dadurch, dass er sich zunächst mit der Aufstellung seiner künftigen Besatzung beschäftigte. Die SKL und auch der Admiral der Marinedienststelle Hamburg hatten ihm – anlässlich eines persönlichen Gesprächs am Vortrag alle Unterstützung und weitgehende eigene Auswahl bei der Zusammenstellung seiner künftigen Besatzung zugesagt. Besonders glücklich war Waldau, dass ihm sein ehemaliger Crew-Kamerad, Bodo Graf v. Terra, als 1. Offizier genehmigt wurde. Ebenso gelang es ihm, Oberleutnant z. S. Carstens, seinen ehemaligen Torpedooffizier des Zerstörers „Griepen“ für das neue Kommando überstellt zu erhalten. Bezüglich des leitenden Ingenieurs gelang es Waldau nach zähem Ringen mit der SKL schließlich durchzusetzen, dass der ehemalige Leitende des Frachters in der Kriegsmarine mit dem Reservistendienstgrad eines Oberleutnant (Ing.), übernommen wurde. Waldau ließ sich hierbei von dem Gedanken leiten, dass dieser von der Ausrüstung des Schiffes an – über Werftprobefahrten bis zur Ablieferung des Schiffes an die Reederei – die Maschinen betreut hatte, mit Sicherheit am besten über alle „Nucken“ informiert sei und somit auch für den künftigen Hilfskreuzer von unabschätzbarem Wert wäre. In Anbetracht der durch Kriegsausbruch ohnehin abgekürzten Bürokratie wurde auch dieses schließlich möglich gemacht.
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