Hilfskreuzer – richtig bezeichnet als Handelsstörkreuzer (HSK) – waren Handelsschiffe, die von der Kriegsmarine übernommen und entsprechend ausgerüstet wurden. Diese wurden üblicherweise mit sechs 15 Zentimeter-Geschützen sowie zum Teil einer entsprechenden Torpedobewaffnung und leichten Waffen versehen. Die Hauptaufgabe dieser Einheiten bestand darin, durch Bekämpfung der gegnerischen Handelsschifffahrt – hierzu zählten auch mit kriegswichtigen Gütern (Konterbande) für den Gegner beladene neutrale Schiffe –den Feind zu zwingen, seine Versorgungsrouten zu ändern und durch ein Konvoisystem den Nachschub insgesamt erheblich zu verlangsamen. Hinzu kommt die Bindung eines erheblichen Teils der gegnerischen Flotte durch die Sicherung der Handelsschifffahrt und die Jagd auf diese Störenfriede.
Getarnt als friedliche Handelsschiffe, mit wechselnden Schiffsnamen und Nationalitäten, haben diese Handelsstörkreuzer ausgezeichnete Erfolge bei der Bekämpfung des gegnerischen Nachschubes und der Zersplitterung der feindlichen Seestreitkräfte errungen, auch wenn sie sich am Ende dem übermächtigen Gegner nach tapferer Gegenwehr geschlagen geben mussten.
Die Geschichte der Feindfahrt eines solchen Handelsstörkreuzers ist Gegenstand des nachfolgenden Romans.
Ausdrücklich sei darauf hingewiesen, dass es sich hier um eine fiktive Handlung und auch fiktive Personen, ausgenommen historischer Personen, handelt, so dass jede Übereinstimmung von Handlungen und Namen mit tatsächlich lebenden oder toten Personen rein zufällig und keinesfalls beabsichtigt wäre. Das gleiche gilt auch für zufällige Übereinstimmungen genannter Schiffe mit vielleicht tatsächlich zu jener Zeit die Weltmeere befahrenden Schiffen aller Nationalitäten.
Berlin, 8. September 1939, 22.30 Uhr, Oberkommando der Kriegsmarine.
Im zweiten Stock im Westflügel des Gebäudes schob Kapitän zur See von Preuss einen größeren Aktenstapel auf die linke Seite seines alten, massiven Schreibtisches und schaute auf die 3 verbliebenen dünnen grauen Aktendeckel vor sich. Er fingerte sich eine neue Zigarette aus der grünen Packung „Eckstein“ vor sich, steckte diese in Brand und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, um die eben getroffene Entscheidung nochmals zu überdenken.
Nach einigen Minuten straffte er sich, drückte mit einer eckigen Bewegung den Stummel der Eckstein im überfüllten Ascher aus und griff zum Telefon. „Preuss, sagen Sie, Hälmer, ist der Admiral noch zu sprechen? Gut, dann melden Sie mich bitte an, ich komme sofort rüber.“
Wenige Minuten später stand von Preuss vor Vize-Admiral Scheidel.
„Ich danke Herrn Admiral, dass Herr Admiral mich noch so spät empfangen“, sagte von Preuss in strammer Haltung vor dem Schreibtisch des etwa gleichaltrigen Admirals stehend, „aber ich glaube, diese drei entsprechen den Vorstellungen des Herrn Admiral.“
„Nun lassen Sie mal, mein lieber Preuss“, entgegnete Admiral Scheidel, „ich fürchte, die Sache eilt wirklich, denn der Krieg lässt sich bekanntlich auch keine Zeit.“ Mit diesen Worten erhob sich der Mitt-Fünfziger hinter seinem Schreibtisch, der mit seinem fast weißen Haar, schmaler, kleinwüchsiger Statur und intelligentem Gesicht, mehr wie ein Gelehrter als ein Seeoffizier wirkte und deutete auf den Besuchersessel vor seinem fast spartanisch einfach wirkenden Schreibtisch.
Der Admiral lächelte, schob von Preuss die geöffnete Zigarettendose zu und meinte: „Wen haben wir denn da“, und blickte vielsagend auf die dünnen Aktendeckel in der rechten Hand des Kapitäns.
Von Preuss dankte nickend und nahm eine der von ihm zwar weniger geschätzten mit Filter und beeilte sich, dem Admiral Feuer zu geben. Als die Zigaretten brannten, rekapitulierte von Preuss aus den Personalakten.
„Tja mein Lieber“, meinte der Admiral, als sein 1. Stabsoffizier seinen Bericht beendet hatte, „gute Arbeit, mein Lieber. Aber von Ihnen ja auch nicht anders zu erwarten.“ Der Admiral streckte die Linke aus und nahm die drei Aktenhefter entgegen, blätterte diese seinerseits noch kurz durch und sagte: „Wirklich mein lieber Preuss, ganz ausgezeichnet, ich kann mich Ihren Vorschlägen nur anschließen, alle drei bestens geeignet als Kommandant eines Hilfskreuzers. Nur werden wir den guten Kapitän Schmid und wohl auch unseren gemeinsamen Crew-Kameraden Leusen wohl kaum ganz auf die Schnelle von ihren jetzigen Kommandos freistellen können. Bleibt also zur sofortigen Verwendung nur der junge Waldau.“
„Jawohl, Herr Admiral“, beeilte sich von Preuss seinem Admiral zuzustimmen. Der Admiral erhob sich. „Gut mein Lieber, veranlassen Sie alles weitere. Ich möchte den Waldau schnellstens hier sehen.“
Dietrich Waldau, 34-jähriger Korvetten-Kapitän der deutschen Kriegsmarine und z.Z. Kommandant des Zerstörers „Arndt Griepen“, hatte gerade sein Frühstück in der Küche des elterlichen Bauernhofes in Reher bei Plön beendet. Seine Mutter war noch im Kindbett verstorben, so dass er diese gar nicht gekannt hatte. Seinen Vater, Karl-Heinz Waldau, aktiver Seeoffizier des 1. Weltkrieges, schwer verwundet in der Skagerak-Schlacht auf dem Kreuzer „Frauenlob“, hatte es in den Wirren nach Beendigung des ersten Weltkrieges von der alten Heimat Bremerhaven, nach Schleswig-Holstein verschlagen, wo er seine zweite Frau Magda kennenlernte und 1920 heiratete. Kurz nach der Hochzeit starb der zu dieser Zeit bereits vom Tode gezeichnete Schwiegervater, so dass Karl-Heinz Waldau sich plötzlich gezwungen sah, den Bauernhof der Schwiegereltern zu übernehmen und selbst Bauer zu werden. Durch die Heirat mit Magda sah er sich glücklicherweise auch in die Lage versetzt, seinem Sohn endlich ein Zuhause zu bieten, der bisher die ersten Jahre seines Lebens bei den Großeltern in der Nähe von Emden aufwuchs und bis zur Hochzeit seines Vaters bei dessen Bruder Oskar und seiner Frau, einem Lehrerehepaar, in Bremen wohnte.
Dietrich Waldau, vom Vater, Großeltern und jetzt auch Stiefmutter Magda, die ihm eigentlich eine wirklich herzensgute Mutter geworden war, seit jeher „Didi“ genannt, war eigentlich ganz froh, trotz des Kriegsausbruches einige Tage unerwarteten Urlaub zu haben. Aber sein Schiff, der Zerstörer „Arndt Griepen“, war durch dringend erforderliche Überholung der Maschinen und Einbau zusätzlicher Flakbewaffnung in der Kriegsmarine-Werft Kiel für mindestens 10 Tage ausgefallen. Da er von Plön aus im Bedarfsfall jederzeit in weniger als zwei Stunden zu seinem Schiff zurückkehren konnte, bestand also keine Veranlassung, diese Möglichkeit nicht zum Besuch der Eltern zu nutzen, zumal sich hierbei auch die Gelegenheit ergab, der vom Vater wohl ererbten Jagdleidenschaft im elterlichen Revier zu frönen.
Dietrich Waldau war eigentlich mit Leib und Seele Seeoffizier. An der Küste aufgewachsen, hatte er sich bereits von frühester Jugend an für alles, was mit der Seefahrt zu tun hatte, sehr interessiert und natürlich auch mit größtem Eifer den Seekrieg 1914 bis 1918 verfolgt und im jugendlichen Unverständnis manchmal bedauert, hieran nicht aktiv teilnehmen zu können. Nach mittelprächtigem Abitur hatte er dann das große Glück, als Offiziersanwärter, trotz der großen Bewerberzahl, auf die wenigen freien Plätze, in die Reichsmarine aufgenommen zu werden.
Sein unbedingter Wille, Seeoffizier zu werden, ließ ihn auch alle Schleifereien und Ungerechtigkeiten auf dem Weg dorthin in Kauf nehmen, ohne „allzu dumm aufzufallen“, was damals manche angestrebte Offizierslaufbahn beendet hat, bevor die ersehnten Leutnantsstreifen in Empfang genommen werden konnten.
Da ihm in frühester Jugend bei den Großeltern und später auch bei Onkel und Tante, dem Lehrerehepaar in Bremen, eigentlich nie Ungerechtigkeiten widerfahren waren, geschweige denn, von Seiten seines Vaters, der ebenso wie sein Lehrerbruder, stets bemüht war, auch Dietrich zu einem ehrlichen, aufrechten aber auch nachdenklichen Menschen zu erziehen, der alle Ungerechtigkeiten verachtete und durchaus nicht bereit war, diese widerspruchslos hinzunehmen, fiel es ihm besonders schwer, insbesondere auch die zum Teil recht niederträchtigen und mit voller Absicht ungerechten Schleifereien der Unteroffiziere während der Grundausbildung – und zum Teil auch noch während der Kadettenausbildung auf einem Segelschulschiff, ohne Aufbegehren zu schlucken.
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