„Jockl, tut mir leid, Alter, wird nichts mit der Entenjagd. Nimm’s nicht so schwer, Kamerad.“
Herr und Hund gingen in Haus zurück, wo sie bereits von den Eltern, die das Zwischenspiel auf dem Hofplatz durch das Fenster verfolgt hatten, erwartet wurden. „Was ist, Junge“, fragte der Vater. „Schlechte Nachricht“? „Wie man’s nimmt“, meinte Waldau jr. und reichte seinem Vater das Telegramm. „Zumindest wird es Jockl bedauern, da aus der Jagd wohl nichts mehr wird. Ich muss wohl sofort nach Berlin. Ich ziehe mich um. Seid bitte so nett, und stellt mir die schnellste Verbindung nach Kiel fest.“
Am späten Vormittag des darauffolgenden Tages lief der D 312 in Berlin ein. Korvetten-Kapitän Waldau prüfte noch kurz im spiegelnden Glas den korrekten Sitz der Uniformmütze und bestieg eines der vor dem Bahnhof wartenden Taxis. Da die Züge noch fast friedensmäßig verkehrten, nur unter den Fahrgästen waren mehr Uniformierte festzustellen, hatte Waldau die Reise schnell und eigentlich recht erholsam hinter sich gebracht, nachdem er zuvor in Kiel noch sein Köfferchen gepackt und erforderliche Formalitäten erledigt hatte. Natürlich hatte ihn während der ganzen Zeit vornehmlich die Frage beschäftigt, was ihn beim Oberkommando der Marine erwarten würde? Da er sich nicht bewusst war, irgendwelche „Bolzen“ gedreht zu haben und diese auch allgemein auf weit unterer Ebene abgehandelt wurden, konnte es sich also nur um eine Sache von wirklich herausragender Bedeutung handeln. Vielleicht auch ein neues Kommando, aber welches? Schließlich befasste sich hiermit auch üblicherweise nicht die oberste Marineführung. Nun, wie dem auch sei, er würde es ja bald wissen.
Kurz vor 12.00 Uhr hielt der schwarze Opel und Waldau entlohnte den Fahrer, griff sich seinen Koffer und strebte gemessenen Schrittes auf den Eingang zu. An den salutierenden Posten vorbei betrat der Korvettenkapitän das Gebäude und gelangte schließlich – mit Hilfe eines beflissenen Oberleutnants zur See, der ihm auch sein Köfferchen abnahm, bis zum Vorzimmer der Abteilung A III. Dort wurde er zunächst in eine Art Vorzimmer, in dem ein jüngerer Kapitänleutnant sowie zwei Schreibkräfte geschäftigt wirkten, geführt. Nach einigen Minuten, die sich für Waldau wie Ewigkeiten dehnten, öffnete sich die große Doppeltür und mehrere Offiziere verließen den dahinterliegenden Raum. Der Kapitänleutnant erhob sich und verkündete Waldau, ihn jetzt beim Herrn Kapitän anzumelden. Wenige Augenblicke später erschien der Vorzimmerkrieger und bedeutete dem Korvettenkapitän ihm zu folgen. „Korvettenkapitän Waldau, Herr Kaptän“, meldete der Kaleu und Waldau beeilte sich zu melden, „Korvettenkapitän Waldau wie befohlen zur Stelle, Herr Kaptän.“
Kapitän zur See von Preuss hatte sich bereits erhoben, dankte für die Meldung und wies zu einer kleinen ledernen Sitzgruppe linker Hand seines Schreibtisches. Die Offiziere setzten sich, wobei Waldau genau auf eine Karte des Nordatlantiks blickte, die einen Großteil der ihm gegenüberliegenden Wand einnahm. Erwartungsvoll blickte er den vorgesetzten Offizier an, der ihn seinerseits noch einmal kritisch musterte.
„Ganz ehrlich, Herr Waldau, eigentlich hatte ich Sie frühestens morgen erwartet“, meinte der Kapitän jovial und bedeutete dem Jüngeren, sich der auf dem Tisch befindlichen Rauchwaren zu bedienen. Waldau griff zur Zigarette, ließ das massive Tischfeuerzeug aufschnappen und entzündete sein Stäbchen.
„Ja, nun sagen Sie einmal, Herr Waldau, konnten Sie denn die Dienstgeschäfte so zügig abwickeln?“ Waldau beeilte sich, die Frage des Kapitäns zu beantworten, „Jawohl; Herr Kaptän, ich bin sofort nach Erhalt des Telegramms auf die „Griepen“ zurückgekehrt, die – wie Herrn Kaptän sicherlich bekannt – ja leider für eine Reparaturdauer von noch mindestens einer Woche ausfallen wird und habe daran anschließend sofort die erforderlichen Gespräche mit dem Inspektor der Werft geführt und alle weiteren Arbeiten meinem IO sowie dem LI übertragen.“ Auf den etwas skeptischen Blick seines gegenüber beeilte sich Waldau hinzuzufügen. „ich bin sicher Herr Kaptän, da ich mich voll und ganz darauf verlassen kann, dass diese beiden alles Erdenkliche tun werden, das Schiff schnellstens wieder einsatzfähig melden zu können. Auch der Wertinspektor hat dieses ausdrücklich zugesichert.“
„Sehr schön“, entgegnete der Ältere, „nach allem, was sich aus Ihrem bisherigen Werdegang bei der grauen Dampferkompanie gemäß Ihrer Personalakte herauslesen lässt, besteht für mich auch kein Zweifel, dass Sie Schiff und Besatzung voll im Griff haben – was wohl bei dem Boot und seiner anfälligen Turbinenanlage – gar nicht immer einfach für Sie und Ihren LI gewesen sein wird.“
„Aber das wird ja jetzt für Sie bald Vergangenheit sein, denn wir …“, hier brach von Preuss ab, um fortzufahren, „aber sagen Sie, lieber Waldau, Sie müssen ja Stunden unterwegs sein; haben Sie überhaupt Gelegenheit gehabt, noch zu essen?“ „Nein, Herr Kaptän, aber darauf wird es sicherl…“ Hier wurde er von seinem Gegenüber unterbrochen: „Nee, nee, lassen Sie mal, mit knurrendem Magen redet es sich schlecht.“ Der Kapitän erhob sich, wandte sich Richtung des auf dem Schreibtisch befindlichen Telefons, überlegte es sich dann aber offensichtlich anders und verließ kurz den Raum. Durch die schalldichte Tür konnte Waldau nicht vernehmen, was im Vorzimmer gesprochen wurde, aber wenige Augenblicke später kehrte Kapitän zur See von Preuss zurück und nahm wieder Platz.
„Ich habe uns erst einmal einen kleine Imbiss geordert. Aber wollen wir zur Sache kommen.“ Gespannt sah Waldau auf.
„Tja, mein lieber Korvettenkapitän, Sie sollen an beste deutsche Marinetradition aus dem Weltkrieg anknüpfen“, verkündete ihm der Kapitän, machte eine kleine Kunstpause, die Waldaus Spannung fast ins Unerträgliche steigerte, „Sie sollen einen Hilfskreuzer übernehmen.“
Ob dieser – in kühnsten Träumen nicht erwarteten – Eröffnung konnte es der junge Seeoffizier nicht verhindern, dass sein, ihn ob seiner Reaktion genau musternder Gegenüber sich veranlasst sah, leise zu schmunzeln.
„Doch, doch, mein lieber Herr Waldau, der Planungsstab – und auch der Admiral – ist sich sicher, Sie sind der richtige Mann, für diese schwere Aufgabe; aber irgendwie wohl doch das schönste Kommando, das ein aktiver Seeoffizier und bewährter Kommandant – zumindest meiner Meinung nach – sich in der jetzigen Situation nur wünschen kann“, beendete der Stabsoffizier seine Eröffnung und blickte Waldau erwartungsvoll an.
Dieser fasste sich mühsam. Zu überwältigend war für ihn das in Aussicht gestellte Kommando. Hatte er doch in der Vergangenheit träumerisch immer wieder sich bis ins Einzelne ausgemalt, welche Möglichkeiten ein derartiges Kommando – weitgehend auf sich selbst gestellt und nur seinen eigenen Entscheidungen unterworfen – sich einem guten Taktiker hier eröffneten. Unwillkürlich musste er an den Grafen Luckner denken, der im Weltkrieg als Kommandant eines zum Hilfskreuzer umfunktionierten Großseglers, Seekriegsgeschichte geschrieben hatte.
Aus diesem Gedanken riss ihn ein Klopfen an der Tür in die Wirklichkeit zurück. Der Imbiss wurde von einer der ihm im Vorzimmer bereits aufgefallenen Schreibkräfte serviert. Während die Offiziere aßen und sich die belegten Brote und den starken, schwarzen Kaffe schmecken ließen, kam der Kapitän auf weitere Einzelheiten zu sprechen. Waldau erfuhr, dass das Motorfrachtschiff „Katarina Horn“ der Hamburger Reederei Gebrüder Horn bereits am 02. September 1939, gerade zurückgekehrt von seiner weiten Reise an die Westküste der Vereinigten Staaten von Amerika, von der Kriegsmarine übernommen worden war, um als Hilfskreuzer ausgerüstet zu werden. Es handelte sich hierbei um ein erst im Frühjahr 1939 in Dienst gestelltes Motorfrachtschiff von 8806 brt (Bruttoregistertonnen) mit folgenden technischen Daten: Länge 164,2 Meter, Breite 20,2 Meter, Tiefgang 8,5 Meter, Maschinenleistung 17000 PS, Geschwindigkeit 19 kn (Knoten).Für das Schiff war eine Bewaffnung von 6 x 15-Zentimeter-Geschützen, 4 x 3,7-Zentimeter-Flak in zwei Doppellafetten, 8 x 2-Zentimeter-Flak in Doppellafetten sowie 6 x 53,3-Zentimeter Torpedorohre in Dreiersätzen und 2 x 53,3-Zentimeter-Unterwassertorpedorohre vorgesehen. Zusätzlich sollte das Schiff ca. 100 Minen übernehmen und mit 2 Bordflugzeugen Arado 196 A-I sowie einem leichten Minenschnellboot ausgerüstet werden. Der neue Hilfskreuzer versprach also von der Bewaffnung her eine durchaus kampfkräftige Einheit zu werden, natürlich mit dem unabdingbaren Handicap aller Hilfskreuzer behaftet, eben über keinerlei Panzerung zu verfügen, sondern für gegnerische Granaten genauso anfällig zu bleiben, wie jedes normale Handelsschiff.
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